1. Nordirland: "Game of Thrones"-Drehorte
Für Serienfans verschwimmen in Nordirland immer mehr die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Der Unterschied ist ja auch wirklich kaum mehr zu erkennen, seitdem die Macher des Fantasy-Erfolgs "Game of Thrones" einen Teil ihrer Dreharbeiten auf die Insel verlegt haben und die hiesigen Anbieter die Geschichte im Programm führen, als handelte es sich dabei um die Vergangenheit Irlands und nicht nur den Ideenkosmos des Autors George R. R. Martin. Eine dreitägige Tour beispielsweise wird mit dem Hinweis beworben, dass sich in Nordirland mehr Orte der Sieben Königslande befinden würden als sonst wo auf der Welt. Wer braucht schon den Originalschauplatz der Schlacht von Boyne, wenn man dafür auch die realen Drehstätten der Sklavenbucht, der Eiseninseln oder Winterfells besuchen kann. Ganze Busladungen von verkleideten Touristen streifen auf den Spuren der ans europäische Mittelalter angelehnten Serie durch Wälder wie den Tollymore Forest und entlang des Ballintoy Harbour an der Küste. An vielen Drehorten jedoch, wie am 1180 gegründeten, geradezu kariös wirkenden Zisterzienserkloster Inch Abbey, am Castle Ward aus dem 16. Jahrhundert oder dem Mussenden-Tempel, landet man gleichzeitig auch mitten in der Geschichte Irlands. Nur auseinanderhalten sollte man das echte Mittelalter des Landes und jenes aus "Game of Thrones" noch können. (www.discovernorthernireland.com) Dominik Prantl
2. Tallinn: Festessen
Essen wie im Mittelalter, das bedeutet zunächst einmal, dass man gute Augen braucht. Das Restaurant "Olde Hansa" in der Altstadt von Tallinn ist auch tagsüber nur von Kerzen beleuchtet. Es dauert ein Weilchen, bis man sich an die Schummeratmosphäre gewöhnt. Kostümierte Mägde und Diener führen die Gäste zu grob gezimmerten Holztischen. Turbulent geht es hier zu. Auf den drei Stockwerken des Lokals finden 300 Personen Platz. Süffig süßes Honig-, Zimt- und Dunkelbier mit Kräutern wird in Tonbechern aufgetragen, dazu erklingt mediävale Tandaradei-Musik mit Flöten, Lauten und Schalmeien. Die Wände sind mit Blumenranken und Jagdszenen bemalt, und auch auf der Speisekarte findet sich viel Wild aus lokaler Erzeugung: Würste vom Wildschwein und Elch beispielsweise oder Bärensteaks mit Safran und gekochtem Dinkel. Der kalorienreiche, dafür geschmacksarme Getreidebrei kommt einer realistischen mittelalterlichen Mahlzeit wohl am nächsten. In einer Epoche, in der Kriege, Epidemien und Missernten regelmäßig zu Hungersnöten und Mangelernährung führten, war Fleisch den Adligen und Reichen vorbehalten. Aber so gesehen passt das auch wieder, da das "Olde Hansa" einen auf Haushalt eines wohlhabenden Kaufmanns im 15. Jahrhundert macht. Das Restaurant kommt bei Touristen gut an. Hunderttausende erobern die Hauptstadt Estlands im Sommer per Kreuzfahrtschiff und überfüllen das historische Zentrum. Andererseits ist das Lokal eine Hommage an die glanzvolle Zeit Tallinns als Hansestadt. Eine unterhaltsame Erfahrung ist ein Besuch allemal. Zum Abschluss empfiehlt der Kellner den "Triple Schnapps" mit Kümmelsamen. (www.oldehansa.ee) Jochen Temsch
3. Haithabu: Wikingerdorf
Die Schlei ist eine der großen Naturschönheiten Schleswig-Holsteins. Vom Ostseeufer bei Schleimünde erstreckt sich der Meeresarm über 42 Kilometer durch das sanfte Hügelland von Angeln und Schwansen bis nach Schleswig. Und hier, auf dem Gebiet der Gemeinde Busdorf, befindet sich eine Ausstellung, die einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen das Mittelalter-Klischee leistet. Das Wikinger-Museum Haithabu muss jene überraschen, denen Werbung, Comics und Filme immer vermittelten, Wikinger seien starke Männer mit Hörnerhelmen. Es zeigt die Wikinger auch nicht als jene brutalen Plünderer, die sie zwischen dem achten und elften Jahrhundert tatsächlich waren. Stattdessen bekommen sie in dem Museum ihren Auftritt als friedlich vor sich hin lebendes Handelsvolk. Die Freiluftanlage am Haddebyer Noor mit erhaltener Wallanlage, historischem Anleger und den sieben reetgedeckten Häusern ist die Teilrekonstruktion der Wikinger-Siedlung Haithabu, wie sie nach wissenschaftlicher Erkenntnis im Frühmittelalter ausgesehen haben muss. Haithabu war vom achten Jahrhundert an der zentrale Umschlagplatz im Netzwerk des damaligen Warenhandels. Die Stadt lag günstig an der Landenge zwischen dem Flusssystem von Eider und Treene, über das man mit dem Schiff die Nordsee erreichen konnte, sowie der Schlei, die den Wasserweg zur Ostsee herstellte. Seit mehr als hundert Jahren fördern Archäologen hier Zeugnisse der Wikinger-Kultur zutage. Ihre Funde waren die Vorlage für die Häuser, Möbel und Feuerstellen, die im nachgebauten Ort zu sehen sind. Komparsen in groben Stoffgewändern verstärken den Eindruck von den damaligen Lebensverhältnissen. (www.schloss-gottorf.de/haithabu) Thomas Hahn
4. Burg Stahleck: Jugendherberge
Auf einer Burg zu übernachten, das ist für viele Menschen heutzutage eine romantische Vorstellung. Im Mittelalter war das weitaus weniger vergnüglich, es sei denn, man war der König oder die Gräfin. Und dass viele Menschen des Mittelalters außerhalb von Burgen noch unbehauster gewohnt haben als Ritter und Knappen und all das Gesinde auf den Burgen - das wäre einem heutzutage wohl auch kein Trost, würde man ins Mittelalter versetzt und müsste seine Tage und vor allem die Nächte in einem ungeheizten Trakt einer zugigen Burganlage verbringen.
Nun gibt es allerdings längst eine ganze Reihe luxussanierter Burgen, die umgewidmet sind in komfortable Hotels und in denen man seinen Traum vom Burgfräulein oder Minnesänger leben kann. Je exklusiver das Hotel, desto weniger hat das allerdings mit dem Mittelalter zu tun. Näher kommt man dem ursprünglichen Flair hingegen auf Burg Stahleck im Oberen Rheintal. Von Luxus keine Spur, dafür herrscht eine Umtriebigkeit wie einst im Mittelalter - 170 Menschen können in der Jugendherberge wohnen, die sich in der Burg befindet. In den Rittersaal passen hundert Leute. Platz genug für rauschende Feste. Nur übertreiben sollte man es nicht, um den Burgvogt nicht zu vergrätzen. Sonst ist es schnell vorbei mit dem Burgfrieden. (www.jugendherberge.de) Stefan Fischer
5. Kaltenberg: Ritterspiele
Wahren Mittelalter-Fans ist dieses Fest längst zu viel Party und Kommerz. Aber was soll's: Die Kinder sind begeistert, wenn man mit ihnen durch ein wuseliges Mittelaltertreiben geht, bei dem man gar nicht weiß, wohin man zuerst blicken soll: zu den Hexen, Schwertschluckern, Hochseilartisten oder dröhnenden Mittelalter-Bands. Wer die Knappenschule der bayerischen Ritter erfolgreich absolviert, bekommt Ritterschlag und Urkunde und darf sich fortan Peter von Schwabing oder Lisa zu Fürstenfeld nennen. Das Beste kommt dann zum Schluss, wenn alle schon etwas erschöpft sind von einem langen Tag im Schlosshof: das Ritterturnier.
Jedes Jahr an drei Wochenenden im Juli findet in Kaltenberg ein Mittelalterfest statt, das in seiner Dimension konkurrenzlos ist. Seit bald vier Jahrzehnten gibt es das Fest, vor allem das Turnier wurde mit den Jahren so perfektioniert, dass eine gewaltige Show entstanden ist - mit Pferden, die durchs Feuer gehen, splitternden Lanzen und zu Boden stürzenden Finsterlingen. Der Stuntman und Pferdetrainer Mario Luraschi trainiert die Tiere so, dass sie selbst vor Funkenregen nicht zurückschrecken, wie verwundet zu Boden stürzen und schon mal zwischen den Reihen die Publikumsränge hinauftraben, was dann dort für "Ahs" und "Ohs" sorgt. Ist ja auch schön zu erleben, dass sich der moderne Mensch noch beeindrucken lässt. (www.ritterturnier.de) Monika Maier-Albang
6. Drachenfels: Nibelungenhöhle
Zuletzt haben sie den Drachenfels gewaltig saniert. Verschwunden ist die grauenerregende Betonkulisse unterhalb des Gipfels, die aussah wie die Akademie der Geheimpolizei. Verschwunden ist auch fast die ganze bunte Welt des Sechzigerjahre-Rheinromantik-Kitsches, die den Drachenfels im Siebengebirge so unnachahmlich machte. Die alten Weinlokale unten zu Füßen der Zahnradbahn, wo ganze Busladungen Holländer mit sauren Tropfen abgefüllt wurden und schon morgens Tanzmusik und Schlager erklangen; die Nippesbuden mit Drachenfelstassen, Plastikdrachen und Schwertern, Bowlenpötten mit Burgenmotiven. Verschwunden sind die Märchenguckkästen, wo 50 Pfennig ausreichten, um die Figuren in leicht gespenstische Bewegungen zu versetzen.
Noch da sind die Burgruine, die Zahnradbahn von 1883 und die Esel. Und noch da ist vor allem die von dunklen Klängen durchwaberte Nibelungenhalle, ein bizarres Panoptikum der deutschen Seele, 1913 zum 100. Geburtstag Richard Wagners eröffnet und dem Siegfried-Mythos gewidmet. Ein Höhlengang führt zu einem glitschigen Miniteich, wo der 1933 geschaffene, viele Meter lange Drache auf die Helden der Gegenwart wartet; zum Glück schläft er bereits so lange, dass Moos auf seinen Panzerschuppen wuchert. In Ermangelung eines echten Drachens ist dahinter ein Amphibienzoo mit schaurigem Lebendinventar, etwa der Gilakrustenechse und einer tückisch blickenden Schnappschildkröte jener Art, wie sie seit Jahren in einem bayerischen See umgehen soll. Aber vielleicht ist auch das nur ein uraltes Märchen. (www.nibelungenhalle.de) Joachim Käppner
7. Selb: "Festival-Mediaval"
Anfang September laufen in Selb in Oberfranken die Schalmeien, Drehleiern und Dudelsäcke heiß. Das "Festival-Mediaval" ist eines der größten seiner Art für mittelalterliche Musik, was hier allerdings recht weit gefasst wird. Die Palette reicht vom minnesingenden Barden über die mystischen Popsongs von Faun bis hin zu Headbang-Rock von Corvus Corax oder dem "heidnischen" Folk von Omnia. Das Festival findet bereits zum elften Mal statt. Auf dem Gelände gibt es mehrere Bühnen, einen großen Mittelaltermarkt und ein Literaturzelt. Gaukler, Feuerspucker, Piraten und Greifvogelshows runden das Programm ab. Das dreitägige Festival ist so erfolgreich, dass es in diesem Jahr, gleich hinter der Grenze, im tschechischen Asch, einen Ableger davon geben wird. (www.festival-mediaval.com) Hans Gasser
8. Les Baux-de-Provence: Katapulte
Les Baux-de-Provence, auf halbem Weg zwischen Arles und Avignon, liegt auf einem Plateau, das bereits seit 6000 Jahren besiedelt ist: Der Ort ist einfach sehr gut zu verteidigen. Das kann man sich heute noch vor Augen führen lassen bei den Katapult-Vorführungen in der Burgruine. Da werden Geschosse in den provenzalischen Himmel geschleudert, die erst in 200 Meter Entfernung wieder landen. Das Katapult an den Rand des Plateaus gerückt, und schon konnte man all jene unter Beschuss nehmen, die es wagten, aus der Ebene darunter gegen den Burghügel anzustürmen. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit hat zu Größenwahn geführt: Das Fürstenhaus Les Baux, das die umliegenden Lande beherrschte, behauptete, von Balthasar, einem der Heiligen Drei Könige, abzustammen. Allerdings waren die Fürsten auch kunstsinnig, Les Baux entwickelte sich zu einem Zentrum der Minnekunst. Und so können Besucher heute beides tun: Krieg spielen und Gedichte lesen. (www.chateau-baux-provence.com) Stefan Fischer
9. Carcassonne: Wehranlage
Wer wohl mehr vom anderen profitiert hat, das Brettspiel von der Stadt oder die Stadt vom Spiel? "Carcassonne", erschienen im Jahr 2000, verkaufte sich innerhalb von zehn Jahren mehr als sechs Millionen Mal. Und sicher einige der Käufer, die winters Burganlagen auf dem Wohnzimmertisch legen, werden im Sommer mal ihren Urlaub in Südfrankreich verbringen, um das echte Carcassonne anzuschauen: eine riesige, auf einem Hügel gelegene Wehranlage, die Anfang des 13. Jahrhunderts zu den Hauptstützpunkten der von der katholischen Kirche als Häretiker verfolgten Katharer-Bewegung gehörte. Weil Carcassonne bis heute ein intaktes Ensemble ist, kann man tatsächlich einen Eindruck bekommen, wie es sich damals gelebt hat: eng auf jeden Fall. Weil man sich im Sommer tagsüber mit Tausenden anderen Urlaubern durch die Gassen schiebt und um einen Platz in der Bimmelbahn wetteifert, die durch die Cité fährt, ist der Eindruck umso authentischer. Carcassonne ist Unesco-Weltkulturerbe und eine der meistbesuchten Stätten Frankreichs. Ein Rundgang am Abend ist da entspannter. Vom städtischen Campingplatz aus, der im Tal liegt, kann man die Burganlage gut erreichen. Man sollte nur den Kindern und sich selbst ein bisschen Zeit zum Einkaufen gönnen. Es gibt in den Mittelalter-Läden schön geschmiedete Schwerter. Man lässt sie nur heutzutage besser nicht sichtbar im Auto liegen. (www.tourismus-carcassonne.de) Monika Maier-Albang
10. Viscri/Deutsch Weißkirch: Kirchenburg
Es ist das Prinzip Gänsemagd: Wer erstmals in das Dorf Deutsch-Weißkirch in Siebenbürgen kommt, fühlt sich wie im Märchenbuch. Eine lange Dorfstraße mit kleinen, bunten, spitzgiebeligen Häusern. Pferdefuhrwerke klappern hindurch, frei herumlaufende Schweine und Gänse grasen am Dorfbach, dazu alte Frauen, die vor ihren Häusern sitzen und Socken stricken. Das wirkt inszeniert, ist aber Realität in einem der am besten erhaltenen spätmittelalterlichen Dorfensembles Europas. Über allem steht am Dorfende die Kirchenburg, eine von Mauern und Türmen mit roten Ziegeldächern umgebene Wehranlage. Sie wurde einst von deutschen Siedlern aus dem Rhein-Mosel-Gebiet gebaut, angeworben, um das Land gegen die Tataren zu verteidigen. Man kann bei den Bauern übernachten und sich die zum Weltkulturerbe zählende Burg zeigen lassen, in der es auch einen eigenen Turm gibt, in dem die Speckvorräte der Familien aufbewahrt wurden. (www.kirchenburgen.org) Hans Gasser