Skifahren in Alaska:Das große Keuchen

Lesezeit: 6 min

Den Volkslanglauf in Anchorage übersteht man nur in Gedanken an Tiefschneehänge und Pelz-Bikinis. Belohnt wird man dafür mit spektakulären Ausblicken auf den Ozean - und am Ende mit Pizza.

Thomas Becker

Da ist er wieder. Ein älterer Herr, sieht aus wie Jon Voight in seinen letzten Filmen. Voight wird bald 70. Locker zieht er an dem schwitzenden, keuchenden Etwas vorbei, winkt fröhlich und ruft: "I'm back!" Es ist sein drittes Überholmanöver an diesem Morgen irgendwo südlich von Anchorage.

Wintersport in Alaska
:Alyeska - Skifahren mit Meerblick

40 Meilen südlich von Anchorage liegt das Skigebiet Alyeska - und das Heliski-Terrain der Chugach Mountains. Das ist Tiefschneefahren vor prima Kulisse.

Jon Voight und der Keucher nehmen am größten Volks-Langlauf Alaskas teil, der "Tour of Anchorage". 1600 starten insgesamt: Väter, Söhne, Anfänger, Rennläufer, 25, 40 oder 50 Kilometer. Wie lange Voight schon unterwegs ist, weiß der Keucher nicht, er hat genug mit sich selbst zu tun.

Eigentlich war er zum Skifahren hergekommen: unberührte Hänge, Pulverschnee, solche Sachen. Langlauf-Erfahrung? Ein halber Tag bei der Skilehrerprüfung - vor 25 Jahren. Aber ein gewisser Rest Ehrgeiz und die Frotzeleien der Kollegen haben ihn doch gereizt.

Die erste Hürde: eine Stil-Frage. "Skaten oder klassisch?", will der Mann bei der Anmeldung wissen. Stirnrunzeln beim Starter. "Skaten", sagt er irgendwann. Stirnrunzeln beim Gegenüber. "Sicher?" Nun ja. Er gibt noch ein paar Tipps ("Kraft sparen für den Schluss: Da wird es steil!"), dann lässt er Startnummer 1543 ziehen.

Viel zu schnell rennt er los, hat im engen Waldstück ständig das Gefühl, im Weg zu sein und lernt bald die Gepflogenheiten kennen. Ertönt von hinten der Ruf "On your left!", weiß er: Da ist einer noch schneller unterwegs. Er wird die drei Worte an diesem Morgen sehr oft hören.

Nächste Hürde: die Ausrüstung. Was für schmale Latten! Unendlich lange Stöcke! Und diese Bindung! Ein netter Mensch hilft, stirnrunzelt aber auch merklich. Egal, schon kurz hinter der Startlinie ist aus dem Starter ein Keucher geworden.

Der Wald lichtet sich, der Blick auf die Berge wird frei. Einen Tick zu süßlich fällt die Morgensonne auf die schneeweißen Gipfel der Chugach Mountains, und der Keucher, der gerade zum ersten Mal vom kumpelhaft grüßenden Jon Voight überholt wird, stellt die Sinnfrage: Warum bin ich eigentlich nicht beim Skifahren?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie ein Garmischer Hoteliers-Sohn dem Skigebiet Alyeska zu seinem spektakulären Auftstieg verhalf.

40 Meilen sind es bis Girdwood, dem ehemaligen Goldgräberstädtchen am malerischen Turnagain Arm. James Cook war 1778 hier auf der Suche nach der Nordwestpassage, als er merkte, dass er in eine Sackgasse segelte und frustriert den Befehl gab: "Turn again!" Schlechtes Stichwort für den Keucher. Er denkt lieber ans Skifahren am Mount Alyeska, dem Namensgeber des Resorts.

(Foto: Karte: SZ Grafik)

Es ist das größte von nur neun Skigebieten Alaskas. Eine einzige geteerte Straße, keine Ampeln, 2000 Einwohner, neun Lifte, 68 Abfahrten, das präparierte Gelände endet auf 900 Metern Höhe. Das Gebiet von Whistler im Westen Kanadas ist sechs Mal so groß. Und der Lift läuft in Alyeska erst von halb elf Uhr an. Das klingt bescheiden, hat aber auch andere Gründe.

Haarscharf an Olympischen Spielen vorbei

Chris von Imhof erzählt: "Im April haben wir 16 Stunden Sonne. Da fahren wir bis abends um halb sechs." Von Imhof ist Mister Alyeska. 1959 wanderte der Spross einer Garmischer Hoteliers-Familie als 19-Jähriger nach Kalifornien aus, landete bei Alaskan Airlines, die 1967 das nur aus einem Lift und einer Daylodge bestehende Ski-Resort Alyeska kaufte und von Imhof zum General Manager machte.

Es folgte ein spektakulärer Aufstieg des Gebietes, der fast mit Olympischen Spielen belohnt worden wäre: 1994 bekommt Lillehammer den Zuschlag - mit einer Stimme Vorsprung.

In den sechziger Jahren mussten Flugzeuge aus Europa und Asien noch Stopps in Anchorage einlegen. Von Imhof nutzte seine Kontakte und lotste die pausierenden Crews ins nahe Alyeska. Bald fand dort die erste Ski-WM der Fluglinien statt. Noch heute erfreut sich diese an verschiedenen Plätzen ausgetragene Veranstaltung großer Beliebtheit.

Bikinis und Münchner Weißbier

Der sportliche Wert stand damals weniger im Mittelpunkt: Von Imhof ließ die Stewardessen vor dem Lokal Sitzmark auf der Bikini-Party tanzen, heiratete eine Miss Alaska und führte Après-Ski ein.

Im Ort gibt's Münchner Weißbier, die Straßen heißen Arlberg Avenue oder Innsbruck Road, auf der Piste gibt es einen Von-Imhof-Drive, aber auch einen Horror Hill, was andeutet, dass es anspruchsvoll zugeht. Christmas Chute und New Years Chute: die längsten unpräparierten Doppelschwarz-Abfahrten Nordamerikas, eng und steil wie Fahrstuhlschächte.

Erst als der neue Besitzer des Resorts mit seinen Kindern kaum geeignete Pisten vorfand, beschloss man, das Angebot familienkompatibler zu gestalten. Extrem-Skifahrer werden per Schild ermahnt: "No backflips" - "Rückwärts-Salto verboten!"

Carven bis zum Strand

Der Ausblick ist spektakulär genug. Wo kann man schon von der Piste aus auf den Ozean schauen und fast bis zum Strand carven?

Die Talstation liegt 80 Meter über dem Meer. Wer sich einen Tag mit Snowcat oder Helikopter leistet, kommt aus dem Schauen nicht mehr raus. Hinter dem Mount Alyeska öffnet sich der tiefblaue Prinz-William-Sund. Oft haben die Piloten gar keinen Namen für die Gipfel, auf denen sie landen, so neu ist das Geschäft mit dem Hubschrauber noch.

Dem Pulverfan ist das sehr egal: 1000 Höhenmeter sind 1000 Höhenmeter, egal wie sie heißen. Und wenn er nach einem halben Dutzend Flügen so um halb sechs über ein weites Gletscherfeld in einen ziemlich kitschigen Sonnenuntergang über dem Pazifik wedelt, dann kommt die letzte Kraft aus den Gedanken ans Dinner im Gipfelrestaurant Seven Glaciers: Königskrabben-Beine so riesig wie Spare Ribs. Yes!

Genau in diesem Moment taucht die erste Verpflegungsstation des Volks-Langlaufs auf. Halleluja! Der Keucher staunt, wie wunderbar warmes Wasser schmecken kann. Ein Stück Banane noch, lieber keinen Schoko-Muffin, und weiter. Jon Voight steht neben der Loipe und hält mit einer - für ihn viel zu jungen - Frau ein Schwätzchen.

Nummer 1543 keucht vorbei, hat aber das Gefühl, dass das nicht ihre letzte Begegnung war. Johnny wird an jeder Verpflegungsstation junge Frauen treffen. Weiter. Es geht nun am Meer entlang, hoch und runter. Anstrengend. Kühler Wind weht herüber. Angenehm. Man glaubt gar nicht, wie warm Alaska sein kann.

Erfahren Sie auf der letzten Seite, dass man in Anchorage nicht nur Pelz-Mützen, sondern auch Pelz-Bikinis und Pelz-Tangas erwerben kann.

So wie bei der Whalewatching-Tour. Zwei Stunden südwärts sind es mit Auto oder Zug von Alyeska bis Seward, einem Hafenstädtchen in den Kenai-Fjords. Gletscher-Klötze liegen rechts und links, ein Land der weißen Riesen.

Joe Burns, Kapitän des Ausflugsboots, ist die nächste Attraktion. Er könnte glatt bei Captain Sparrow anheuern: Seinen Kaffee hält er mit zwei eisernen Sicheln - die Hände hat er bei einem Feuerunfall verloren. Orcas, Delphine, Seelöwen, Bergziegen, Seeotter und Weißkopfseeadler verspricht er.

Nach fünf Minuten tauchen Delphine direkt neben dem Boot auf. Die ersten Foto-Japaner purzeln über Deck. Zehn Minuten später lässt sich eine Orca-Familie blicken. Wildes Kreischen, noch mehr purzelnde Japaner. Es ist ein Spaß.

Über dieses Stadium ist der Keucher hinaus. Der Ozean zur Rechten sieht zwar immer noch spitze aus, aber all die Rastplätze und Bänke in der Sonne werden mit jedem Kilometer hübscher. Freund Jon ist längst wieder vorbeigeskatet. Es wird einsam. Und die Kilometerangaben sind nur bedingt motivierend.

Mit Gewehr, aber ohne Handy

So etwas haben die Teilnehmer des Iditarod-Rennens erst gar nicht. Sie wissen, dass ihre Strecke schier endlos ist: 1100 Meilen, quer durch Alaska, von Anchorage bis Nome. Mit Schlittenhunden. Und Gewehr. Aber ohne Handy. Der Rekord steht bei acht Tagen, 22 Stunden, 46 Minuten und zwei Sekunden.

Martin Buser hat ihn aufgestellt, ein Züricher, der nur für ein Jahr in Alaska vorbeischauen wollte. Das war vor 28 Jahren. Seitdem hat er 25 Mal am Iditarod teilgenommen, vier Mal gewonnen. Seine Söhne heißen nach Verpflegungsstopps des Iditarod. Rohn zum Beispiel. Der junge Mann steht vor dem Start mit seinem Gespann ein paar Blocks entfernt vom Vater.

96 Teams treten an, auch zwei Deutsche: ein Autohändler aus Paderborn, der zugibt, "schon ein bissl Schiss" zu haben, und ein VfB-Fan aus Stuttgart, der eigentlich nach Australien wollte, "weil es hier ja so gar keine Fußball-Kultur gibt".

An diesem Morgen ist Anchorage eine Stadt, so wie man sich Alaska vorstellt: kalt, windig, Eisplatten auf allen Gehsteigen. Der pure Hohn, dass die Gespanne ausgerechnet am Sunshine Plaza das Rennen aufnehmen.

Auf der 4th Avenue werden Hotdogs verkauft - und Eis. Dazu tragen viele lustige Pelzmützen mit den Fuchs- und Wolfsgesichtern über der Stirn. In den Läden: Pelz-Bikinis und auch Pelz-Tangas für den Herrn. Im Angebot: das Modell "The Duke", samt Fuchsschwanz, 24 Dollar.

Und dann ist die Kraft weg

Bevor der Keucher diesen Traum weiterträumen kann, kommt die Wand - nach einem Flachstück mit schönen Zahlen: noch drei Kilometer, noch zwei. Dann die Wand. Nr. 1543 erinnert sich: "Kraft sparen für den Schluss!" Zu spät. Die Kraft ist weg.

Irgendwie krabbelt der Keucher die Steigung hinauf, zum Ziel. Den Stadionsprecher versteht er nicht mehr wirklich, irgendjemand versorgt ihn hinter dem Zielstrich mit Pizza. Zwei Stunden, 24 Minuten, 38 Sekunden, Platz 249. Und Jon Voight, der alte Spezl? Keine Ahnung, wo der gelandet ist. Und wie schnell die 70- bis 74-Jährigen waren, wird erst recht nicht verraten.

Informationen Reisearrangement: Faszination Ski bietet Lufthansa-Linienflug, Transfer, sieben Übernachtungen mit Frühstück, drei Tage Skipass, zwei Tage Heli-Skiing (sechs bis sieben Abfahrten pro Tag) und eine Tageskreuzfahrt mit Whalewatching für 3199 Euro, Tel.: 06201/592976, www.faszinationski.de, info@faszinationski.de

Weitere Auskünfte: Alyeska Resort, P.O.Box249Girdwood, AK 99587, www.alyeskaresort.com

ZURÜCK zur Übersichtskarte der Skigebiete in Nordamerika

© SZ vom 20.11.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: