Winzer in Österreich:Pioniere im Weinberg

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Rebstock mit Bergblick: Wein gedeiht auch am Beginn des Ötztals, wie hier am Weingut Zoler in Haiming (Foto: imago stock&people)

In Nordtirol gibt es die ersten Vollerwerbswinzer. Was anfangs als Schnapsidee belächelt wurde, entpuppt sich langsam als Tourismusfaktor - auch wegen des Klimawandels. Ein Besuch.

Von Dominik Prantl

Der Chardonnay? Ausverkauft. Der Sylvaner? Ebenfalls so gut wie ausgetrunken. Der Pinot Noir? Bis auf ein paar Flaschen unter die Leute gebracht. Georg Flür steht deshalb also recht zufrieden am Rand einer seiner Weinberge direkt auf der 900-Meter-Höhenlinie, im Rücken eine kleine Hütte, zu Füßen die kleine Welt Nordtirols. Der Blick wandert über die herbstlichen Weinstöcke und das Dorf Tarrenz hinweg bis zu den mit Schnee gekrönten Bergen; dann sagt er: "Das Jahr war wieder ein Traum."

Das kann man so sagen. Es ist ja nicht nur so, dass ihm die Gäste den Wein aus dem Vorjahr quasi unter der Nase wegtrinken, bevor er die Flaschen überhaupt ins Lager schleppen kann. Auch über die Ernte kann sich Flür kaum beklagen. Obwohl der vergangene Sommer nicht gar so vinschgauerisch anmutete wie ein Jahr zuvor, konnte er erneut 6000 Flaschen abfüllen. Was indes kaum zu glauben ist: Georg und seine Frau Alexandra Flür können davon leben. Seit vergangenem Jahr sind sie Vollerwerbswinzer; die bislang einzigen in Tirol.

Alexandra und Georg Flür, die ersten Vollerwerbswinzer in Nordtirol. (Foto: Weingut Flür)

Wahrscheinlich ist es da nur logisch, dass die Flürs keinem Klischee entsprechen. Sie sind keine typischen Winzer und entstammen keiner Winzerfamilie. Sie sind nicht einmal die typischen Winzer-Quereinsteiger, die sich grob geschätzt zur einen Hälfte aus Investmentbankern, Beratern oder Managern mit Burn-out-Syndrom zusammensetzt und zur anderen aus besonders durstigen Schriftstellern und Schauspielern, die mehr Wein keltern wollen, als es der eigenen Leber guttut. Alexandra Flür ist ausgebildete Friseurin, Georg Flür gelernter Kaminkehrer.

Andererseits fallen die Trauben ja nicht einfach vom Himmel, vor allem nicht in Tirol, wo sie etwas höher hängen als in den meisten anderen Weinregionen, genauer gesagt zwischen 500 und 1000 Metern Meereshöhe. Oder wie Alexandra Flür sagt: "Den Spinner hast ja ned über Nacht." Soll in etwa heißen: So eine Idee muss reifen. Wenn man es genau nimmt, hatte der Spinner mehr als zwanzig Jahre Zeit, um sich zu entwickeln. Denn Georg Flürs Vater besaß eine Landwirtschaft, ganz klassisch mit Kuh- und Schafstall. Georg war eher "nicht so der begeisterte Landwirt", wie er selbst sagt. Doch 1995 begannen die Flürs, die ersten Weinstöcke vor dem Haus zu kultivieren. Das war eher nach Georgs Geschmack.

Wegen des speziellen Klimas werden vor allem Müller-Thurgau, Solaris und Pinot Noir angebaut

Natürlich gab es den Weinanbau in Nordtirol schon lange vor den Flürs. Laut Peter Zoller, Obmann des Tiroler Weinbauverbandes, gehen die ersten urkundlichen Erwähnungen von Wein in Nordtirol bis ins erste Jahrtausend zurück. Gerade im Oberinntal spricht außer dem bescheidenen Platzangebot auch wenig gegen Weinanbau: Es gibt vorwiegend Kalkböden, jede Menge Sonnenstunden und kaum Nebel. Für die Zeit Kaiser Maximilians um 1500 vermerken Historiker mit einer Fläche von 60 bis 80 Hektar sogar eine regelrechte Blüte des Nordtiroler Weinanbaus, ehe die Kleine Eiszeit den Aufschwung beendete. Erst in den 1930er-Jahren entstand in der Gemeinde Zirl wieder ein namhafter Weinberg, der lange Zeit beinahe ebenso bekannt war wie die darüber verlaufende Passstraße namens Zirler Berg. Der Weinberg liegt allerdings seit einigen Jahren brach. "Schad' drum", sagt Zoller.

Denn eigentlich erlebt seine Heimat in Sachen Weinanbau derzeit eine "Renaissance", wie es Zoller nennt - auf bescheidenem Niveau. Rund zwölf Hektar Wein verteilen sich auf ein gutes Dutzend Betriebe, was im Vergleich mit dem stärksten Österreicher Wein-Bundesland Niederösterreich und seinen mehr als 28 000 Hektar Weinfläche fast subsistenzwirtschaftliche Züge trägt. Auch beschränkt sich das Repertoire wegen des speziellen Klimas mit relativ hohen Temperaturschwankungen eher auf früh und mittelspät reifende Rebsorten wie Müller-Thurgau und Solaris, Chardonnay und Pinot Noir.

Doch kommt der Klimawandel den Tirolern zugute, auch deshalb, weil sich die Erwärmung im alpinen Raum mit rund zwei Grad Celsius in den vergangenen 100 Jahren weit stärker bemerkbar macht als im Flachland. "Wir können schon jetzt Rebsorten setzen, die vor 15 bis 20 Jahren nicht ausgereift wären, wie zum Beispiel Merlot", sagt Zoller. Er selbst, im Hauptberuf Lehrer, baut seit 18 Jahren Wein in Haiming an, und stellt fest: "Die Reifegrade haben sich geändert." Obwohl auch seine Weine bereits seit September ausverkauft sind und die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt, meint er: "Wer schnell das große Geld machen will, dem würde ich Weinbau in Tirol nicht empfehlen."

Ein gutes Dutzend Weingüter gibt es in Nordtirol, sagt Peter Zoller, Lehrer, Winzer und Obmann des Weinbauverbandes (Foto: imago stock&people)

Um das schnelle Geld ging es den Flürs genauso wenig wie dem Lehrer Zoller. Es ging um Leidenschaft, "das Hobby zum Beruf zu machen", sagt Georg Flür. Vor etwa zehn Jahren legten die Flürs Weinberge an, erst einen steilen mitten in Tarrenz und einen weniger steilen mit Blick auf Tarrenz. Sie brachten die richtige Mischung aus Unvoreingenommenheit und Willensstärke mit, belegten Kurse an der Fachschule für Obst-, Wein- und Gartenbau Laimburg in Südtirol. Überhaupt seien die Südtiroler Winzer, die südlich des Alpenhauptkamms oft unter ähnlichen Voraussetzungen wirtschaften, mit Tipps und Tricks sehr behilflich gewesen. 2012 verließ schließlich die letzte Kuh ihren Hof, der Schafstall wurde zur Produktionsstätte, der Heustadl zum Verkostungsraum.

Denn alleine vom Verkauf ihres Weins könnten die Flürs nicht leben. "Wenn wir erzählen, dass wir mit zwei Hektar wirtschaften, dann kriegen die im Burgenland mit ihren mehreren Dutzend Hektar einen Lachkrampf", sagt Georg Flür. Sie verlängern gewissermaßen die Wertschöpfungskette, indem sie Verkostungen anbieten: Weine mit Brotzeit samt Speck und Käse und vor allem Anekdoten über die Geschichte ihres kleines Weinguts. Das ist dann eher Alexandra Flürs Part: "Ich bin schließlich Friseurin. Ich rede am Weinberg sogar mit den Weinstöcken." Auch sei ihre Naivität eher ein Vorteil gewesen, weil sie dadurch nicht wusste, was man alles falsch machen kann. Nur einen Gedanken, so sagt sie selbst, habe sie sich abgewöhnen müssen. "Dass die Leute kommen, und bei uns Schlange stehen." Es ist ja heute noch so, dass die Leute eher aus Südtirol und aus Deutschland als aus dem eigenen Dorf kommen, um den Wein zu kaufen. Dabei entpuppt sich das im Ort eher als Schnapsidee belächelte Engagement der beiden langsam als Tourismusfaktor. Immer wieder würden einige ihrer Gäste eine Übernachtung im nahen Hotel einlegen.

Der inzwischen ausverkaufte Chardonnay schmeckt übrigens frisch mit angenehmer Säure und "sehr viel Frucht", wie Georg Flür betont. Er nennt das "Tiroler Stil". Vielleicht macht der bald Schule. Inzwischen komme es jedenfalls vor, dass sich die Winzer aus Südtirol bei den Flürs so manchen Rat in Sachen Weinanbau holen.

Weingut Flür in Tarrenz , Tel.: 0043/650/926 03 34, weingut-fluer.at; Weinbau Zoller-Saumwald in Haiming, zoller-saumwald.at

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© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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