Reisebuch "Namaste Corona!":Glückliche Tage in Nepal

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Spätestens, als er während des Corona-Lockdowns beim Anlegen der Reisterrassen im nepalesischen Ort Sedi half, war Michael Moritz Teil der Dorfgemeinschaft. (Foto: Anna Baranowski/Michael Moritz)

Die Pandemie hat Michael Moritz auf einer Weltreise ausgebremst. Etwas Besseres hätte ihm nicht passieren können.

Rezension von Stefan Fischer

Es ist ein verbaler Schlag in die Magengrube. "Namaste Corona!", ruft einer aus einer Gruppe einheimischer Jungs, die gelangweilt an einer Mauer lümmeln, den beiden Deutschen entgegen. Michael Moritz und seine Freundin Anna Baranowski sind nach dem Lebensmitteleinkauf auf dem Rückweg in ihre Unterkunft außerhalb des Dorfes Sedi in den nepalesischen Bergen, unweit der Annapurna, des zehnthöchsten Bergs der Erde.

"Hallo Corona!" Auch in Nepal gilt im Frühjahr 2020 ein Lockdown, die Grenzen sind geschlossen. Aus willkommenen Touristen sind Gefährder geworden, potenzielle Verbreiter des Coronavirus. "Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich als Feindbild eines anderen", schreibt Moritz in seinen Erinnerungen an diese Wochen des erzwungenen Stillstands von seiner Weltreise. Sein Buch trägt just den Titel des als Beschimpfung gemeinten Zurufs: "Namaste Corona!" Dessen Bedeutung hat sich für Moritz allerdings längst gewandelt. Doch dazu später.

Die ersten Tage des Lockdowns bringen Michael Moritz gehörig aus seinem inneren Gleichgewicht. Zu viele vermeintliche Gewissheiten erodieren auf einmal. Moritz wähnte sich auf der guten, der richtigen Seite. Er hatte als 30-Jähriger sein bisheriges Leben aufgegeben, das ihn als Manager eines Tourismus-Start-ups quer durch Europa hatte hetzen lassen, getrieben vom Drang nach Effizienz und Perfektion. Seit dem Frühjahr 2019 war er unterwegs als Backpacker, hat sich in Skandinavien aus den Abfalltonnen der Supermärkte ernährt: "Damals glaubte ich, ich könnte meinen westlichen Sonderstatus ablegen und mich mit den armen Menschen dieser Welt verbinden."

Privilegierte Touristen konkurrieren mit armen Einheimischen ums letzte Gemüse

Ein krasser Irrtum. Moritz würde stets ein Privilegierter bleiben. Mit mehr Geld, als den meisten Nepalesen zur Verfügung steht. Einem Reisepass, der ihm die ganze Welt zugänglich macht. Einer Regierung, die ihn im Krisenfall rettet. Noch etwas wird ihm bewusst, als ihn das Coronavirus ausbremst: Wie einsam er geworden ist auf seiner Reise, die ihn immer weiter weggeführt hat von Deutschland. Und seiner Freundin Anna, die ihn nur ab und zu begleitet.

Lange hat Michael Moritz sich frei gefühlt. Deshalb hadert er anfangs sehr damit, festzusitzen in einer kleinen steinernen Hütte mit Wellblechdach: "Ich mag es nicht, an einer Stelle zu verharren; ich möchte weiter, will Bewegung und vorankommen, will das, was ich seit einem Jahr gewohnt bin: neue Eindrücke aufnehmen, neue Menschen kennenlernen, neue Sprachen hören, durch neue Landschaften ziehen, neues Essen schmecken und neue Gewürze einer wieder neuen traditionellen Küche riechen."

Doch plötzlich? Lebt er in einem Land, in das er zu Beginn der Pandemie nur deshalb noch einreisen konnte, weil er Ärzte und Grenzer belogen hat über seinen Gesundheitszustand und seine Reiseroute. Kurze Zeit darauf dürfen nicht mal mehr Nepalesen in ihre Heimat zurückkehren. Und er findet sich wieder in einer Situation, in der Lebensmittel knapp werden und er und Anna mit den Einheimischen ums letzte Gemüse konkurrieren.

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In dem Moment, in dem das nicht mehr möglich ist, wird Michael Moritz bewusst, dass er es sich bislang leisten konnte, dort zu bleiben, wo es ihm gefällt. Und zu gehen, sobald es unangenehm wird. "Immer blieb ich der reiche Tourist, der kurz irgendwo aufkreuzt, seine Nase reinsteckt, um dann nach spätestens einem Monat auf Nimmerwiedersehen weiterzuziehen ... Ich wollte nie Tourist sein. Und dennoch war ich immer einer."

Moritz geht hart mit sich selbst ins Gericht. Mitunter möchte man ihn vor sich selbst in Schutz nehmen. Denn natürlich stimmt es, wenn er schreibt, dass er als Tourist "mit allem direkt zu tun habe. Meine Kultur, mein Wohlstand, mein Reisen verändert das Leben von Menschen, die für mich vorher immer weit weg waren". Doch das muss nicht per se schlecht sein. Eines Abends etwa diskutiert er mit einem Nachbarn, der sich im Bildungswesen engagiert, weil er seinen Mitmenschen Perspektiven eröffnen will: "Und ihr weltoffenen Touristen helft uns dabei."

"Namaste Corona!", das meint Michael Moritz vollkommen ernst. Ohne die Pandemie, ohne das erzwungene Innehalten in Nepal würde er womöglich nach wie vor über die Erde irren und einen oberflächlichen Eindruck an den nächsten heften. Sein Buch ist indes keine grundsätzliche Abrechnung mit dem Backpackertum. Aber eine sehr gewissenhafte Ermahnung, sich des eigenen Tuns und Nichttuns bewusst zu sein. Wer eine Weltreise und dabei nicht nur egoistische Motive im Sinn hat, ist gut beraten mit diesem Buch.

Michael Moritz : Namaste Corona! Wie ein Dorf in Nepal mir die Welt öffnete. Malik Verlag, München 2022. 256 Seiten, 18 Euro.

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