Overtourism:Lassen Kreuzfahrt-Gäste zu wenig Geld in Hafenstädten?

Overtourism: Auch Santorin - hier der Blick aufs Meer und die Statue der Liebesgöttin Aphrodite - gehört zu den vielbesuchten Zielen im Mittelmeer. Proteste gegen die Urlaubermassen gibt es auf der Insel noch nicht.

Auch Santorin - hier der Blick aufs Meer und die Statue der Liebesgöttin Aphrodite - gehört zu den vielbesuchten Zielen im Mittelmeer. Proteste gegen die Urlaubermassen gibt es auf der Insel noch nicht.

(Foto: mauritius images / Pixtal)

Sie fallen in Massen ein, kaufen bestenfalls ein Eis und hinterlassen einen Haufen Müll: Kreuzfahrt-Touristen haben nicht den besten Ruf. Bringen sie genug ein, um die negativen Effekte zu überlagern?

Von Ingrid Brunner

Sie fallen in Massen ein, kaufen bestenfalls ein Eis, ein Getränk, ein Billigsouvenir - und hinterlassen nur einen Haufen Müll. So werden die Landgänge von Kreuzfahrtpassagieren gern geschildert, was den Konzernchef der Tui, Friedrich Joussen, nun zum Gegenschlag veranlasst hat.

Er habe genug vom "Kreuzfahrt-Bashing", sagte Joussen vor Wirtschaftsjournalisten in München. Die Städte könnten sich schließlich gezielt auf die Besucher einstellen, Besucherströme kanalisieren und lenken. "Kreuzfahrtschiffe fallen nicht vom Himmel." Klar sei aber auch: "Wenn eine Stadt sagt, sie will die Kreuzfahrtschiffe nicht, dann können wir da nicht mehr hinfahren."

Was also ist dran an der Kritik an den vermeintlich überfallartigen Landgängen, die den Kreuzfahrttouristen oft vorgeworfen werden? Eine umfassende Studie zum Thema gibt es nicht. Aber der Münchner Kreuzfahrtexperte Franz Neumeier hat eine Reihe von Einzelerhebungen von Kommunen, Häfen und Organisationen zusammengetragen.

Sein Fazit: Die Effekte, positiv wie negativ, unterscheiden sich von Stadt zu Stadt. "Die Wirklichkeit ist deutlich differenzierter zu sehen. Einige Studien der vergangenen Jahre zeigen, dass selbst Kreuzfahrt-Touristen, deren Schiff nur tagsüber einige Stunden in einem Hafen anlegt, großen Umsatz bringen", sagt Neumeier.

Manchen Städten verhieß das Onlinemagazin Ship2Shore im Jahr 2012 gar goldene Zeiten. Das Branchenblatt verglich Kreuzfahrtschiffe mit König Midas - die Häfen, die sie berührten, verwandelten sich zu Gold - und führte als Beispiel die Reederei Royal Caribbean (RCCL) und Genua an. Nach den im Artikel zitierten Berechnungen der Universität von Genua gaben RCCL-Passagiere im Jahr 2011 pro Kopf 85 Euro pro Tag aus, wenn sie ihre Reise in der Stadt antraten.

Bei individuellen Ausflügen nach Genua verblieben dort 40 Euro, bei von der Reederei organisierten 20 Euro. Letzteres klingt allerdings eher nicht nach goldenen Zeiten - nicht einmal für eine ärmere Kommune wie Genua.

In Venedig hat die dortige Hafenbehörde ebenfalls 2012 die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus auf die Lagunenstadt errechnen lassen. Insgesamt gaben die Passagiere 189 Millionen Euro aus. 40 Prozent davon oder 78 Euro pro Person und Tag nahm der Einzelhandel ein. Weitere 60 Euro pro Person und Tag blieben bei den Hoteliers der Stadt, wenn die Passagiere vor und nach den Kreuzfahrten dort übernachteten. Auch das Nahverkehrsunternehmen Alilaguna profitierte von den Tagesgästen: Im Schnitt gab jeder Passagier 7,50 Euro bei Alilaguna aus; dem Betrieb brachte das im fraglichen Jahr 1,67 Millionen Euro.

Je ärmer eine Stadt, umso mehr freuen sich deren Bürger über die Schiffe

Trotzdem sind die Reaktionen in den Städten sehr unterschiedlich: Während Venedigs Bürger sich zu Protestaktionen zusammenschließen, ist man in Genua offenbar froh über die Kreuzfahrtgäste. Eine Erklärung könnte sein, dass ärmere und strukturschwächere Kommunen eher auf die Ausflügler angewiesen sind als Städte, die ohnehin schon viele Besucher haben.

Wohl deshalb begrüßt man auch in den baltischen Häfen die Kreuzfahrtschiffe. 4,8 Millionen Menschen bereisten die Ostsee 2018. Nach dem Mittelmeer ist sie Europas zweitwichtigste Kreuzfahrtregion. Die Ausflüge, Restaurantbesuche, Besichtigungen und Einkäufe der Passagiere sowie der Crews seien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, heißt es in einer Studie von Cruise Baltic, einem Netzwerk von Ostseehäfen zur Förderung des Kreuzfahrttourismus.

Die Branche schaffe Jobs für Fremdenführer, in Transportunternehmen, Läden, Cafés und Kultureinrichtungen. Der Untersuchung zufolge arbeiten mehr als 5900 Personen direkt und weitere 12 600 indirekt für den Kreuzfahrtsektor. Beispiel Tallinn: 2018 besuchten gut 645 000 Kreuzfahrtpassagiere die Hansestadt. Sie gaben dabei mehr als 50 Millionen Euro aus. Hunderte Jobs hingen am Kreuzfahrttourismus, darunter 200 Fremdenführer und 400 Busfahrer, berichtete der Estnische Rundfunk.

Also doch alles nicht so schlimm? Nicht ganz

All das klingt gut, doch Neumeier warnt vor zu schnellen Schlüssen: "Die einzelnen Pro-Kopf-Angaben sind aus unterschiedlichen Jahren und nicht miteinander vergleichbar. Nicht immer ist ganz klar, welche Ausgaben eingerechnet sind oder nicht" - und je nachdem, wem die Hafenanlage gehöre, fließe das Geld dann nicht in die Städte, sondern in die Taschen überregionaler Unternehmen, sagt der Branchenexperte.

Zudem gilt es bei den zitierten Studien zu bedenken, dass sie von interessierter Seite, also der Kreuzfahrtindustrie nahestehenden Verbänden oder Stellen, in Auftrag gegeben wurden. Trotzdem: Der Vorwurf, die Ausgaben der Passagiere an Land reichten gerade mal, um Müllabfuhr und Stadtreinigung zu finanzieren, ist wohl übertrieben.

Es sind vor allem die sozialen Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus, die Bürger in überlaufenen Hafenstädten wie Barcelona, Amsterdam oder Dubrovnik belasten und auf die Straße treiben.

Mit den wirtschaftlichen Vor- und den sozialen Nachteilen befasst sich eine Arbeit des Studenten Mislav Nadramija vom Rochester Institute of Technology Croatia. 80 Prozent des Kreuzfahrtverkehrs in Kroatien entfallen demnach allein auf Dubrovnik. Die Stadt profitiere zwar stark von dem Geld, das die Passagiere an Land ausgeben: 2018 waren dies in Dubrovnik 41 Euro pro Passagier und Tag.

Aber Geld allein ist eben nicht alles: Es mangele an gutem Management, Besucherströme zu lenken. Dies beeinträchtige die Lebensqualität der Bewohner wie auch den Urlaub der Städtetouristen.

In Venedig kommen fünf Prozent der Touristen von Kreuzfahrtschiffen

Tagesbesucher können aber auch selbst etwas Positives zum Fortbestehen einer authentischen Stadt beitragen. Darauf weist die Initiative Venezia Autentica hin: Wer in den typischen kleinen Restaurants Venedigs einkehrt, wer bei Einheimischen ein handgemachtes Souvenir statt Kitsch aus China kauft, sichert den kleinen Geschäftsleuten die Existenz.

Der Annahme, allein die Flut der Ausflügler von den Schiffen führe zu Overtourism, widerspricht die Tui Group in ihrem Nachhaltigkeitsbericht. Zu Venedig heißt es da: "28 Millionen Gäste haben die Stadt 2018 besucht. Davon stammen nur fünf Prozent, also etwa 1,4 Millionen Gäste, von Kreuzfahrtschiffen. In Barcelona sind es acht Prozent der Gäste. Über neunzig Prozent der Touristen kommen also auf anderem Wege in die oft genannten, hochfrequentierten Städte."

Auch die deutschen Häfen profitieren vom boomenden Kreuzfahrttourismus. Laut Reederei-Branchenverband Clia gibt jeder Kreuzfahrtpassagier, der seine Reise in einem deutschen Hafen beginnt, am ersten Tag im Durchschnitt 156 Euro aus, allerdings inklusive Anreise und Hotelübernachtung, ein Tagesausflügler 48 Euro. Im Vergleich dazu gibt laut Hamburg Marketing ein Städtetourist in Hamburg täglich 135 Euro inklusive Übernachtung aus, ein Tagestourist knapp 42 Euro.

Ob die Vor- oder die Nachteile überwiegen, beantworten die Menschen von Hafen zu Hafen unterschiedlich. So habe sich laut Tui die Zahl der Kreuzfahrttouristen auf den Orkney-Inseln im Norden Schottlands zwischen 2011 und 2017 auf 130 000 verdreifacht.

Aber statt zu protestieren, begrüßen die 20 000 Einwohner die Entwicklung. Sie spürten laut Tui den Mehrwert der Kreuzfahrttouristen für ihre Volkswirtschaft. Und: Politik und Wirtschaft lenkten die Besucherströme aktiv, um die sensible Natur nicht über Gebühr zu belasten.

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