Overtourism:"Es ist ein wichtiges Signal zu sagen: bis hierher und nicht weiter"

Touristen gehen über die Rialtobrücke in Venedig.

Touristen auf der Rialtobrücke in Venedig: Die Stadt plant ein Eintrittsgeld, um die Besuchermassen besser bewältigen zu können.

(Foto: Reuters)

Venedig plant Eintrittsgelder, Mallorca bestraft Sauftouristen: Solche Maßnahmen können in überlaufenen Urlaubsorten sinnvoll sein, sagt Tourismusforscher Harald Pechlaner. Aber sie reichen nicht aus.

Interview von Eva Dignös

Über Ostern nach Paris? Oder nach Barcelona? Erste Strandtage auf Mallorca? Oder vielleicht eine Kreuzfahrt durchs Mittelmeer? Die Reiselust ist ungebrochen und der Tourist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch nicht überall scheint er mehr willkommen: Es sind zu viele, stöhnen vor allem einige Städte. Und wehren sich mit Reglementierungen und Strafen. Ist das ein wirksames Mittel gegen Overtourism? Ein Gespräch mit Harald Pechlaner, Professor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt, über Gastfreundschaft und Respekt.

SZ: Venedig will Eintrittsgelder nehmen, Mallorca verhängt Strafen für Sauftouristen, Amsterdam begrenzt Stadtführungen, Dubrovnik sperrt Kreuzfahrtschiffe aus: Wird der Tourist vom begehrten Wirtschaftsfaktor zur unerwünschten Person?

Harald Pechlaner: Eigentlich geht es immer um das Wesen des Tourismus, nämlich die Gastfreundschaft und das Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber. Der Gast wurde oft nur als Wertschöpfungsfaktor gesehen. Er muss aber auch Wertschätzungsfaktor sein.

Das verstehe ich nicht: Die Orte, die ohnehin schon unter den Touristenmassen leiden, sollen den Gästen mehr Wertschätzung entgegenbringen?

Das ist ein beidseitiges Verhältnis. Es geht nicht nur um Servicequalität, sondern umgekehrt auch darum, dass der Gast sich bewusst sein muss, dass er sich in einem Lebensraum bewegt, der nicht ausschließlich auf ihn ausgerichtet ist. Tourismus- und Lebensraum stehen im Wettbewerb zueinander. Und es geht darum, die richtige Balance zu finden. Man kann nicht langfristig gegen die Interessen der Bevölkerung Tourismuspolitik betreiben.

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Ist das in Barcelona oder auf Mallorca überhaupt noch möglich, wo die Bevölkerung bereits gegen die Touristen auf die Straße geht? Kann man da das Rad zurückdrehen?

Ich glaube, dass die Diskussion um Overtourism der Beginn einer größeren Transformation im Tourismus ist. Denn es sind ja interessanterweise auch sehr reiseerfahrene Menschen, die mit den touristischen Entwicklungen unzufrieden sind.

Weil sie nicht mehr das Erlebnis bekommen, das sie sich wünschen?

Weil sie Entwicklungen sehen, mit denen sie nicht mehr einverstanden sind.

Ist die Gesellschaft wirklich so reflektiert? Wenn ich mir ansehe, wie sich Touristen an manchen Orten benehmen, habe ich da Zweifel.

Es bleibt das Paradoxon, dass wir Auswüchsen des Tourismus durchaus kritisch gegenüberstehen, aber trotzdem nicht aus der Massenlogik herauskommen. Dass wir Orte schützen wollen, sie aber dadurch besonders attraktiv werden. Aber ich glaube, dass das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung zunimmt und dass sich das am Ende auch im Reiseverhalten auswirken wird.

Wird das für die besonders belasteten Orte und Regionen noch rechtzeitig geschehen?

Wo es nicht rechtzeitig geschieht, wird man Einhalt gebieten müssen, weil dort die Situation nicht mehr erträglich ist. Das kann dann zum Beispiel ein Eintrittsgeld sein, wie in Venedig geplant.

Aber wird sich ein Tagestourist von einem Eintrittsgeld von drei Euro, wie es für Venedig angedacht ist, von einem Besuch abhalten lassen? Geht es da nicht weniger um Besucherlenkung als vielmehr um eine zusätzliche Einnahmequelle für die Stadt?

Ohne Zweifel, drei Euro sind nicht viel, das wird jeder verschmerzen können. Aber es geht um Symbolik. Allein der Umstand, dass jetzt Eintrittsgelder erhoben werden, ist für Venedig sehr wichtig. Es geht nicht um die Höhe des Betrags, sondern darum zu signalisieren: Ihr könnt unsere Stadt besuchen, aber tragt euren Obolus dazu bei, dass die Stadt sauber bleibt, denn das Geld soll ja in die Stadtreinigung fließen. Oder nehmen Sie die geplanten Strafen für exzessive Partytouristen auf Mallorca: Es ist ein wichtiges Signal, den Menschen zu sagen: Bis hierher und nicht weiter, es geht nicht mehr anders. Es braucht viel, bis ein Tourismusort so etwas macht.

Was können überlaufene Regionen noch konkret tun?

Vor allem in den Städten müssen sich die Tourismusverantwortlichen darum bemühen, dass es möglichst zu keinen räumlichen und zeitlichen Konzentrationen von Gästeflüssen kommt, um es mal technisch zu formulieren. Für die Großregion Barcelona gibt es beispielsweise eine App, die anzeigt, mit welchen Wartezeiten die Besucher an den Sehenswürdigkeiten rechnen müssen. Das touristische Produkt muss breiter aufgestellt werden, indem der Gast Alternativen zu den besonders überlaufenen Zielen angeboten bekommt. Es wird immer die Hotspots geben, die Frage ist: Wie lange bleiben die Menschen dort? Sie länger in der Destination zu halten, ist mit Blick auf die Wertschöpfung grundsätzlich ein guter Ansatz, aber es wäre wichtig, dass sie möglichst kurz bei den überlaufenen Hotspots bleiben.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass ich die Leute in Viertel locke, die erst recht nicht darauf eingestellt sind?

Es stimmt: In einem Stadtzentrum ist man auf den Tourismus viel stärker eingestellt und hat viel weniger Probleme mit dem gefühlten Zuviel. Trotzdem müssen sich die Stadtplaner und Tourismusentwicklung Gedanken machen, ob sie alternative Attraktionspunkte schaffen.

Falsch wäre es allerdings, die Overtourism-Diskussion rein operativ anzugehen. Wir bekommen jeden Standort nur dann in den Griff, wenn wir ihn für die Menschen betrachten, die dort leben. Wir dürfen nicht den Tourismusraum vor den Lebensraum stellen, das gilt für alle Destinationen.

Und als verantwortungsbewusster Reisender mache ich künftig einen großen Bogen um die wichtigsten und deshalb überlaufenen Sehenswürdigkeiten?

Nein. Aber der Gast ist gefordert, sich stärker mit dem gewünschten Reiseziel auseinanderzusetzen, sich zum Beispiel darüber zu informieren, wann es besonders voll ist und damit nicht so sinnvoll, dorthin zu reisen. Es geht darum, dass wir mit Respekt und Verantwortung versuchen, unseren Urlaubsort kennenzulernen.

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