Kalifornien-Kolumne:Amüsieren im Rudel

Kalifornien-Kolumne: Malen im Rudel, das erinnert an die Schulzeit.

Malen im Rudel, das erinnert an die Schulzeit.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Ausmalen für Erwachsene oder Autos polieren: In San Francisco treffen sich die Menschen, um gemeinsam den kuriosesten Hobbys zu frönen.

Von Beate Wild, San Francisco

Neulich war ich in einer Bar verabredet, mit meiner Freundin Kimberly und ihrer Clique. "Wir treffen uns dort zum Malen", hatte sie angekündigt. Vor meinem inneren Auge sah ich mich hinter einer Staffelei stehen und ein Aktmodell skizzieren. Meine Erwartungen waren groß.

Der Monarch Club im hippen SoMa ist eine Musikbar, in der sonst DJs auflegen, junge Tech-Arbeiter im Hinterzimmer tanzen und hin und wieder Stripperinnen auf dem Tresen turnen. Doch als ich dort zur verabredeten Zeit auftauchte, verteilte ein Organisator Blätter wie aus einem Kinderbuch. Zum Ausmalen. War ich im falschen Lokal? Nein, ich war bei einem Trink-und-Mal-Event.

Es gab verschiedene Motive zur Auswahl, dazu ein Set bunter Stifte. Ich verabschiedete mich innerlich seufzend von Leinwand und Aktmodell und zog mich mit einer Science-Fiction-Szene an die Bar zurück. Alle außer mir waren offenbar begeistert, bestellten sich exotische Cocktails und schraffierten los. Viele malten gleich mehrere Bilder hintereinander aus.

Was für ein Farbspiel

Die Zeichnungen wurden anschließend an einer Wand aufgehängt, eine Mini-Ausstellung der eben geschaffenen, äh, colorierten Werke. Manche sprachen vom Zusammenwirken der Farben oder über den Realismus von Science-Fiction-Motiven.

Einer der Hobby-Maler hatte seine blaue Phase und füllte alle Bilder nur mit einem blauen Stift aus. Egal, Hauptsache er entspannte dabei, das ist Ziel der Übung. Nur ich verfehlte es, das Ausmalen kam mir etwas albern vor. Ich fühlte mich stark an meine Zeit im Kindergarten erinnert. Nur dass der Spaß damals günstiger war, weil wir keine Drinks für zwölf Dollar konsumierten.

Der moderne Kalifornier lässt einfach keinen noch so stumpfsinnigen Trend an sich vorbeiziehen. Nein, er probiert alles freudig aus und frönt seinem Hobby nie allein - weder beim Kinderbücher ausmalen in einer Bar noch beim Stricken im Café. Auch diese Bewegung erfreut sich einer erstaunlichen Beliebtheit.

Immer wieder sehe ich junge Menschen um einen Tisch sitzen und konzentriert auf ihren Schal oder ihre Socken starren, die Reihe um Reihe Gestalt annehmen. Auch dieses gemeinsam zelebrierte Hobby weckt bei mir Erinnerungen an früher, an den Handarbeitsunterricht in der Grundschule - eher eine deprimierende Erfahrung. Häufig sind Männer in diesen Strickgruppen sogar in der Überzahl, was in Sachen Gleichberechtigung selbstverständlich zu befürworten ist. Trotzdem finde ich das Gestricke im besten Fall meditativ, was eigentlich nur Schönreden für stinklangweilig ist.

Was habe ich nur verpasst? Ist Malen oder Stricken etwa cool? Lässiger noch als das öffentliche und gemeinsame Polieren von Autos?

Fit wie ein Poliertuch

Dieses Hobby einiger Kalifornier ist weiter verbreitet als man denkt - oldschool und eindeutig von Männern dominiert, aber doch irgendwie faszinierend. Es gibt mehrere fixe Termine und Orte, zu denen sich die Autofreunde aus der Gegend mit Gleichgesinnten treffen, etwa einmal im Monat in Oakland oder auf Treasure Island, einer Insel in der Bucht von San Francisco.

Oder in meinem Viertel, was ich erst neulich entdeckte. Ich kam zufällig am Alamo Square vorbei, einem Park in San Francisco. Er ist wegen einer Reihe schöner Häuser (auch "Painted Ladies" genannt) und seiner großartigen Aussicht auf Downtown bekannt.

Hits von Abba, Will Smith und Salt'n'Pepa tönten durch die Nachbarschaft. Die laute Musik hörte man schon von weitem. Sie dröhnte aus den Sport- und Luxusautos, die am Rand des Platzes geparkt waren.

Ein Jaguar, ein Ford Mustang, ein Camaro und ein altes Mercedes-Cabrio waren dabei. Beim Näherkommen sah ich: All diese pompösen Wagen wurden von ihren Besitzern gerade auf Hochglanz poliert. Dazu rauchten die Fahrer Zigarren und unterhielten sich lachend. Stolz beantworteten die Eigentümer der Schmuckstücke Fragen neugieriger Touristen und Passanten, erfreut über den gelungenen Vorführeffekt.

"Wenn ich zum Alamo Square komme, fühle ich mich wie ein Teil der Natur", erklärte ein offenbar nicht sonderlich erdverbundener Fahrer. "Hier kann ich mein Auto auf Hochglanz bringen, und ich plaudere so gerne mit den Leuten." Sein Kumpel fügte hinzu: "Für mich ist das Autoputzen wie Sport, da spare ich mir das Fitnessstudio."

Den Wagen polieren und mit Zigarre posieren ist also Aerobic für Autofreaks? Interessante Theorie. Jetzt bräuchte ich nur noch ein Auto, dann würde ich mich glatt einmal dazustellen und mit den Männern um die Wette wienern. Entspannender als Kinderbilder auszumalen fände ich es allemal. Und für einen sprunghaften Anstieg der Frauenquote würde ich auch sorgen.

Kalifornien-Kolumne
Neues aus San Francisco
Illustration: Jessy Asmus/ Sz.de

In "USA, Land der Fettnäpfchen" hat Autorin Beate Wild über Stolpersteine beim Ankommen in den Vereinigten Staaten berichtet. In der Kolumne "Neues aus San Francisco" schreibt sie über das Leben in Kalifornien, das für Zugereiste mitunter gewöhnungsbedürftig ist:

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