Brasilien vor der WM 2014:Der Fußball ist nicht das Problem

Lesezeit: 6 min

Der Sonnenuntergang vor der Pernambuco-Arena in Recife. Mit dem Fußball kommen auch Touristen aus aller Welt. (Foto: Getty Images)

Wo brasilianische Urlauber bislang noch unter sich sind, werden sich zur Fußball-WM Touristen tummeln. Die Spielorte bereiten sich auf ihre Besucher vor - und der Real rollt. Aber nicht jeder verdient an der WM.

Von Jochen Temsch

Die Sonne von Recife, kaum aus dem Meer gestiegen, brennt mit voller Kraft. Die Wellen rollen über die Korallenriffe, die der Stadt im Nordosten Brasiliens ihren Namen gegeben haben, und João Buarque haut seine Machete in die erste Kokosnuss des Tages. Er hat soeben seine Barraca, seine Bude am Strand von Boa Viagem, aufgesperrt, und schon haben sich ein paar Frühsportler bei ihm versammelt, um ihren Durst zu löschen.

Es sind vor allem brasilianische Geschäftsleute, die in den Hotels hier absteigen, in grauen Hochhäusern mit verspiegelten Glasfronten, vom Strand durch die lärmende Avenida Boa Viagem getrennt. Auf deren Gehweg beginnt bereits kurz nach fünf Uhr morgens eine bunte Prozession in Lycra: Jogger, Radfahrer und Walker aller Altersklassen und Bauchumfänge bewegen sich vor der Kulisse der tropischen Millionenstadt, vor Palmen, Wellen, Wolkenkratzern und dem stockenden Berufsverkehr.

Bullenhaie am Saum der Stadt

Auf die Frage, wie seine Geschäfte laufen, sagt Buarque achselzuckend: "Die Leute kommen und gehen." Nur der 25-Jährige in weiten Shorts und Havaianas-Schlappen bleibt, immer an der gleichen Stelle, an einem schmalen Streifen gelblichen Sandes, an dem der Atlantik hinter dem schützenden Riff natürliche Becken bildet. Darin baden auch schon ein paar Jugendliche. Weiter draußen riskiert das niemand. Das Wasser ist voller Bullenhaie - ein selbst gemachtes Problem. Beim Ausbau des Containerhafens Porto de Suape wurden die natürlichen Jagdgründe der Tiere zerstört. Sie sind weitergezogen und suchen jetzt am Saum der Stadt nach Beute.

Und was, wenn zur Fußball-Weltmeisterschaft noch mehr Leute kommen? João Buarque lacht. "Mal sehen, was sich machen lässt." Mit drei Machetenhieben hat er die Kokosnuss so weit geöffnet, dass ein Strohhalm durchpasst. Drei Real verlangt er dafür, umgerechnet nicht einmal einen Euro. Er überlegt sich, mit den Preisen hochzugehen.

Die Hotels auf der anderen Seite der Avenida machen es schließlich genauso. Während der WM verlangen sie das Fünffache der üblichen Raten - wenn sie sich überhaupt von Fußballtouristen buchen lassen. Viele Häuser sind komplett von der Fifa reserviert. "Nicht der Fußball ist das Problem", findet der Strandhändler, "sondern die Leute, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichern."

Teure Stadien, Korruption und Willkür statt Investitionen in Bildung, medizinische Versorgung und den maroden Nahverkehr - der Ärger darüber hat Tausende Brasilianer während der Austragung des Confed-Cups im vergangenen Juni zu Protesten auf die Straße getrieben.

Proteste bei Confed-Cup
:Brasilien siegt, die Brasilianer protestieren

Die Seleção zieht ins Confed-Cup-Finale ein, während vor dem Stadion Steine fliegen und Tränengas versprüht wird: Erneut sind in Brasilien Zehntausende auf die Straßen gegangen und haben gegen Korruption, soziale Missstände und die hohen Ausgaben für die Fußball-WM demonstriert.

Das neue Stadion von Recife ist eines der umstrittenen Projekte. Vom Stadtzentrum zur Arena sind es rund 40 Kilometer auf einer holprigen, überfüllten Straße, zähe 45 Minuten dauert die Autofahrt. Die oberirdische Metro endet zwei Kilometer vom Eingang des Stadions entfernt. Die DFB-Elf wird hier am 26. Juni gegen die USA spielen. Heiß hergehen wird es garantiert. An einem Tag Mitte Dezember fühlen sich die roten Ledersitze für die Trainer am Spielfeldrand an wie voll aufgedrehte Herdplatten, und das schon um neun Uhr morgens. Zwar findet die WM im brasilianischen Winter statt - die durchschnittlichen Temperaturen sinken dann aber nur um 1,5 Grad.

Spielorte der Deutschen bei der WM 2014
:Kicken, wo andere Urlaub machen

Salvador, Fortaleza und Recife sind Urlaubsparadiese: Was die deutsche Nationalmannschaft an ihren Spielorten bei der WM 2014 verpasst, wenn sie sich nur auf Fußball konzentriert. Ein Ausblick.

Von Felix Reek

Thiago Vasconcelos hat damit kein Problem. "Die Hitze ist für euch verfrorene Europäer natürlich nicht gerade ein Vorteil", scherzt der Sprecher des einflussreichen Baukonzerns Odebrecht, der das Stadion errichtet hat. Itaipava Arena Pernambuco heißt es, benannt nach dem Bundesstaat und dem Sponsor, einer Biermarke. In der Mixed Zone, wo während der WM Spieler auf Reporter treffen werden, riecht es noch nach frischem Holz.

Keine Zäune, keine Gräben

Rasen betreten ist verboten, und von den rot bestuhlten Zuschauerrängen aus getestet, bietet die Arena eine hervorragende Akustik: Vogelgezwitscher liegt in der Luft, hin und wieder unterbrochen vom Rumpeln eines Schlagbohrers. Außerdem beeindruckt die Nähe zum Geschehen. Keine Zäune, keine Gräben trennen die Zuschauer vom Spielfeld. "Die Tribünen sind konzipiert wie in Europa", erklärt Vasconcelos, "die Bestuhlung ist in Brasilien unüblich, eigentlich stehen die Zuschauer bei uns."

Brasilien-Urlauber schätzen außerdem Strände und Kolonialbauten. Doch die sozialen Gegensätze sind nicht zu übersehen. (Foto: dpa)

Gemütlich und familienfreundlich soll die Arena sein. Väter sollen ihre Frauen und Kinder zu den Spielen mitbringen, "auch wenn sich viele Männer bereits fragen, ob das dann nicht zu gemütlich wird", sagt Vasconcelos. Darüber redet er jedenfalls lieber als über Fragen nach der Finanzierung, der Verkehrsanbindung und überhaupt der Notwendigkeit des Neubaus, wo Recife doch bereits in zentraler Lage das Stadion des Erstligisten Sport Club do Recife besitzt. Die Antwort ist ohnehin mit Händen zu greifen: Die WM ist ein zu gutes Geschäft.

Auch anderswo rollt der Real, wie sich auf der zweistündigen Fahrt südwärts zum bekanntesten Badeort Pernambucos, Porto de Galinhas, zeigt. Es geht vorbei am geschäftigen Hafen von Suape, dessen Expansion die Haie Richtung Recife getrieben hat. Vor zehn Jahren waren hier landseitig bis zum Horizont nur hügelige, schwer zu erntende Zuckerrohrfelder zu sehen, jetzt wuchern raumgreifende Industrieanlagen zur Produktion von allen möglichen Gütern, die direkt in den See-Export gehen. Wenige Kilometer dahinter beginnt das beliebte Erholungsgebiet.

Brasilien
:Sehenswertes abseits von Rio de Janeiro

Die meisten Touristen besuchen nur die Sehenswürdigkeiten der Metropole - und lassen das Hinterland links liegen.

Für die Reichen aus dem Süden, aus São Paulo und Rio de Janeiro, ist es schick, bei Porto de Galinhas ein Ferienhaus zu besitzen. Brasilianer urlauben hier weitgehend unter sich. Lediglich drei Prozent aller Gäste stammen laut der Besucherstatistik aus Europa. Niemand fliegt extra über den Atlantik, nur um hier am Strand zu faulenzen. Die Deutschen lieben Rundreisen in die Metropolen, zum Amazonas und in die kolonialen Denkmalsiedlungen mit ihren bunten Barockfassaden. Die Brasilianer bleiben lieber am Meer.

Und noch ein Unterschied im Freizeitverhalten lässt sich in Porto de Galinhas beobachten: Während die deutschen Touristen eher die Ruhe und Einsamkeit an einem Strand schätzen, suchen die Brasilianer das Gruppenerlebnis. Beliebt sind Besuche in teuren Strandclubs und Rundfahrten auf vollbesetzten Party-Katamaranen, inklusive Sambasound, gegrillten Garnelen am Spieß, halbgefrorenen Bierdosen und Stopps zum kollektiven Baden. Die Nachfrage ist groß. Das einzige All-inclusive-Resort weit und breit, das Enotel, wird bis zur WM erweitert. Die Fifa hat bereits 200 Zimmer reserviert. Auch eine Klinik für Schönheitsoperationen gehört zum Angebot. Der von Brasilianerinnen am häufigsten gebuchte Eingriff: die Vergrößerung des Gesäßes.

Wer mehr oder weniger dem Schönheitsideal entspricht, zeigt sich auch gerne 800 Kilometer weiter südlich, an der Costa dos Coqueiros, der Kokosküste. Nördlich von Salvador da Bahia erstreckt sie sich 200 Kilometer lang: einsame, breite, von Palmen gesäumte Strände, die kein Ende zu nehmen scheinen - wie aus dem Prospekt. Exklusive Resorts wie Costa do Sauípe, wo die Gruppenauslosung der WM stattgefunden hat, sind halbwegs unauffällig unterhalb der Baumgrenze geblieben. Die Hotels bringen Ausbildung und Jobs in die strukturschwache, traditionell am Fischfang hängende Region, werden aber von Umweltinitiativen kritisch beobachtet.

Das Projeto Tamar beispielsweise hat sich dem Schutz der Meeresschildkröten verschrieben. "Die Resorts mit ihren hohen gesetzlichen Auflagen sind gar nicht das größte Problem", sagt die Meeresbiologin Luena Fernandes auf einem Rundgang im Besucherzentrum von Tamar in Praia do Forte, "mehr Kopfschmerzen bereiten uns die kleinen Pensionen, die Pousadas, deren Betreiber oft gar nicht wissen, dass sie auf Brutgebieten stehen." Luena Fernandes und ihre Kollegen kämpfen gegen die Verbauung der Strände, gegen ihre elektrische Beleuchtung und ihre Verwendung als Jeep-Pisten - damit die frisch geschlüpften Schildkröten trotz des wachsenden Tourismus ihren Weg ins Meer finden.

Spaziergänge nach Sonnenuntergang tabu

In Salvador, wo Deutschland am 16. Juni gegen Portugal spielt, stehen die Touristen selbst unter Schutz. Die Polizei zeigt starke Präsenz im historischen, zum Welterbe zählenden Stadtkern, dem Pelourinho. Der Sänger Gilberto Gil hatte ihn einst als "größten Barock-Slum der Welt" bezeichnet, als hier noch Drogenhändler und Zuhälter regierten. Ab Mitte der Neunzigerjahre wurde in die verfallenden Gebäude investiert. Hotels übernahmen geschichtsträchtige Gemäuer wie das Convento do Carmo, das Karmelitenkloster aus dem 17. Jahrhundert, weitere Angebote für Touristen zogen nach und brachten den Aufschwung in das Viertel. Trotzdem raten die Concierges ihren Gästen nach Sonnenuntergang von Spaziergängen in die Nachbarschaft ab. Mit Überfällen muss man hier immer noch rechnen.

Dafür wird sich kein Fußballfan von einem Besuch in der Wallfahrtskirche Nosso Senhor do Bonfim abhalten lassen. Von hier stammen die in Brasilien wie in Europa verbreiteten Stoffbändchen fürs Handgelenk. Man lässt sie sich mit drei Knoten umbinden, bei jedem wünscht man sich etwas, das beim Abfallen des Bändchens in Erfüllung gehen soll. Und über diese Wünsche muss in Brasilien 2014 ja wirklich niemand lange nachdenken.

Brasilien Karte Brasilien Karte (Foto: SZ Grafik)

Informationen

Anreise: Condor fliegt im Sommer ab Frankfurt dienstags nonstop nach Recife und sonntags nach Salvador da Bahia, einfach ab 350 Euro, www.condor.com

Unterkunft: Region Salvador da Bahia/Kokosküste: Pousada Caminho do Mar in Imbassai: vor/nach der WM: 1 Woche im DZ mit Frühstück ab 273 Euro pro Person, während der WM 581 Euro pro Person. Salvador da Bahia/Stadt: Hotel Sol Barra, vor/nach der WM: 1 Woche im DZ mit Frühstück ab 194 Euro pro Person, während der WM ab 1092 Euro pro Person. In Recife gibt es kaum mehr Hotelzimmer während der WM.

Buchungen und Reisearrangements: Thomas Cook Tel.: 01806/07 02 00, www.thomascook.de

Weitere Auskünfte: www.visitbrasil.com

© SZ vom 09.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: