Alpen:Großglockner - auf dem Gipfel Österreichs

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Der höchste und damit höchst gefragte Berg des Landes ist zum Ziel von Genussbergsteigern geworden. Ist das schlimm?

Von Dominik Prantl

Bergführer sind schon sakrisch raffinierte Schlitzohren, und deshalb hat der Toni abends auf der proppenvollen Erzherzog-Johann-Hütte unterhalb des Großglockners die entscheidenden Tipps. Der Toni, der eigentlich Ponholzer heißt, aber als Bergführer im Grunde keinen Nachnamen mehr hat, meint also, man müsse vorm Schlafengehen schon alles vorbereiten, Steigeisen, Wanderstöcke, Rucksack, und morgens müsse einer aus der Seilschaft dann rechtzeitig am Ausschank stehen, am besten um 5.15 Uhr, vor all den anderen Gipfelstürmern. Offiziell gibt es zwar erst um halb sechs Frühstück, "aber die Wirtsleute sind meistens schon etwas früher da". Diese Viertelstunde sei wichtig, "glaubt mir".

Der Wecker wird ohne Widerrede auf fünf Uhr gestellt, denn der Toni sagt sinngemäß noch: Wer auf den Bergführer hört, hat mehr vom Berg.

Man muss sich jetzt, wenn die Menschen ihre Wecker stellen, um auf Gipfel und um Massive und auf Almen zu rennen wie die Ameisen, in Erinnerung rufen, wo der Bergtourismus seine Wurzeln hat. Man landet dann sehr schnell in Kals, dem etwas mehr als 1000 Einwohner zählenden Bergdorf in einem Osttiroler Seitental am Fuße des Großglockners. Kals gehört zu jenen Orten, in denen es mehr Kirchtürme als Einkaufsläden gibt; und die heute einen ständigen Kampf führen, um weder als Freilichtmuseum zu enden noch dem profitablen Kirmesmodus zu erliegen. Als vor wenigen Jahren der 500-Betten-Betrieb Gradonna Mountain Resort genehmigt wurde, entstand nicht nur ein neuer Ortsteil. Der Bau war richtungsweisend.

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(Foto: Dominik Prantl)

Vom Glocknerleitl, einer steilen Rinne, blickt man auf die Ameisenstraße aus Bergsteigern hinab.

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(Foto: Dominik Prantl)

Wenig später kann es in der Scharte zwischen Klein- und Großglockner schon einmal eng werden,...

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(Foto: Gabl)

...insbesondere nach dem vorzüglichen Menü auf der Stüdlhütte.

Bergführer Toni kennt den Geschmack von Mäusen: "wie Meerschweinchen"

Als der Prager Kaufmann Johann Stüdl 1867 erstmals nach Kals kam, gab es keine Richtung, zumindest keine, die etwas mit Fremdenverkehr zu tun hatte. Der Großglockner war mit seinen 3798 Metern noch nicht einmal der höchste Berg des Landes, weil der gut 100 Meter höhere Ortler noch zu Österreich gehörte. "Abgeschnitten, ein weißer Fleck, bitterarm." Die Begriffe verwendet Martin Gratz, wenn er seinen Ort zu Stüdls Zeiten beschreibt.

Gratz ist als zweiter Bürgermeister für den Tourismus von Kals verantwortlich und damit gewissermaßen der Tourismusmeister des Dorfes. Er hat die Ausstellung "Im Banne des Großglockners" im Kalser Glocknerhaus initiiert, wo es viel um Stüdl und um die Vorgänger von Toni Ponholzer geht. Denn Stüdl bedeutete für den hiesigen Bergtourismus eine ähnliche Zäsur wie Thomas Cook zur ziemlich gleichen Zeit für die Pauschalreise: Er schuf Strukturen, infrastrukturell wie institutionell. 1868 veranlasste Stüdl den Bau der Stüdlhütte, ein Jahr später die Gründung des Kalser Berg-und Skiführervereins, der erste der Ostalpen.

SZ-Karte (Foto: hb)

Das Büro liegt im Ortszentrum, neben Gemeindeverwaltung, Kirche und Glocknerhaus. Stüdl habe den Menschen hier wirklich helfen wollen, meint Gratz. "Zuvor haben sich Bergführer oft unter Wert verkauft." Gratz sagt aber auch: "Anfangs waren die Bergführer nicht die Helden im Dorf." Echte Kerle gehörten auf das Feld, nicht in die Berge.

Um 5.15 Uhr gehören Menschen ins Bett, echte Kerle hin oder her. Stattdessen: dem Bergführer gehorchen, Frühstück. Es war sowieso eine unruhige Nacht auf 3454 Metern, wo die Luft so dünn ist, dass manchen der Kopf brummt. Verschlafene Gesichter blicken auf trockene Brotscheiben und Brotaufstrich-Portionspackungen von der Kalbsleberwurst bis zur Marillenmarmelade. Gut, dass der Toni was von ausreichend Fettreserven im Körper erzählt. Er selbst esse nur zweimal am Tag. Und in Patagoniens Bergwelt, in der er die Winter gerne verbringt, hat er sich auch schon von Mäusen ernährt, zumindest teilweise. "Schmecken wie Meerschweinchen."

Bei einer Großglockner-Besteigung über den Normalweg braucht es keine Fettreserven. Es werden eher welche gebildet, denn über den Normalweg ist der Großglockner für geübte Bergsteiger ein vergleichsweise dankbarer höchster Berg. Auf 2802 Metern und damit 900 Höhenmeter oberhalb des Parkplatzes liegt schon die Stüdlhütte, in der es zwar keine Meerschweinchen gibt, dafür aber Hüttenwirt Georg Oberlohr.

Seine Unterkunft gilt gemeinhin als Hütte mit der Küche eines Vier-Sterne-Hotels, und dass er in den fast zwei Jahrzehnten seines Wirkens die Übernachtungen mehr als verdoppeln konnte und nun bei 8000 liegt, habe nicht nur mit dem Großglockner und den Weitwanderern zu tun. "Das Essen ist mir schon wichtig", sagt Oberlohr. Er führt sogar einen Wein namens "Mysterium Großglockner" im Sortiment, eine Cuvée aus dem Burgenland, der abends die abschließende Käseplatte des Viergang-Menüs krönt.

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Den Wein gibt es aber auch bei Peter Tembler auf der 650 Höhenmeter weiter oben thronenden Erzherzog-Johann-Hütte, dem höchsten Schutzhaus der Ostalpen mit 120 Schlafplätzen. Der Weg dorthin führt über Geröll, das zu später Stunde schon reichlich matschige Ködnitzkees und einen mittelschweren Klettersteig. Das anschließende Abendessen kommt auch auf fast 3500 Metern in mehreren Gängen, mit Nachschlagoption. Früher, sagt der Toni, Jahrgang 1962, sei dafür mehr getrunken worden.

Was die Viertelstunde am Morgen betrifft, hat er recht gehabt. Am Glocknerleitl, einer steilen Rinne aus Schnee und Eis, blickt man hinab auf eine Ameisenstraße, hinter der die Sonne aufgeht. Dann beginnt der knapp einstündige Balanceakt über einen felsigen, teils mit Eis oder Schnee durchsetzten Grat. Es ist nichts für Wackelkandidaten. Toni sagt nicht viel. Er sichert ruhig, kümmert sich um den Schwächsten in der Dreierseilschaft und vertraut den Stärkeren. Für jemanden wie ihn ist die Normalroute Routine, sein Rekord vom Tal zum Kreuz liegt bei zweieinhalb Stunden. Persönlich würde er eher einen der mehr als 30 anderen, weit schwierigeren Anstiege wählen, den viel längeren und ausgesetzteren Stüdlgrat vielleicht oder die Nordwand.

Später, beim Abstieg, wird der Bergführerkollege Ernst laut schimpfen, dass der Toni nicht so egoistisch sein soll. Ansonsten geht es ruhig und erstaunlich konfliktfrei zu, wenn man bedenkt, dass der Grat oft nur einen halben Meter Halt zwischen zwei Abgründen bietet und Vorfahrtsregeln fehlen. Manch einer scheint kurze Verschnaufpausen auf mehr als 3700 Metern nicht so schlimm zu finden, obwohl Toni meint: "Die Leute bereiten sich heute besser vor. Früher ging es oft einen Schritt vor und drei zurück."

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Früher gab es auch keinen Stau am Berg. In der Chronik des Bergführervereins ist das "Erfolgsjahr 1869" vermerkt mit "35 Teilnehmern auf dem Gipfel", womit Heiligenblut auf Kärntner Seite als wichtigster Ausgangspunkt abgelöst worden war. Heute schaffen es so viele innerhalb einer Stunde. Wirt Tembler schätzt die Zahl der Gipfelgänger pro Jahr auf 7000 bis 8000, wobei Kunden von Bergführern zwischen 195 und 400 Euro für die häufig notwendige Begleitung zahlen, Halbpension und Rotwein exklusive. Im Winter sind es noch ein paar Euro mehr.

Wenn man so will, ist Johann Stüdl damit eineinhalb Jahrhunderte nach seinem ersten Kals-Besuch am Ziel angelangt: Der Großglockner ist eine Cashcow, ein Magnet für den sportlich ambitionierten Genussbergsteiger, der für seine Leistung sogar eine Urkunde von den Bergführerbüros erhält. Der Berg steht damit auch sinnbildlich für die Entwicklung des Alpentourismus, Genuss-Menüs, Sicherungsexperten und Zeugnis inklusive.

Das kann man bedauern, überspannt finden - oder einfach gut. Im Dorf unten wissen sie, dass es nicht viele Alternativen gibt, um dauerhaft Geld zu verdienen. Der solo wandernde Selbstversorger zählt eher nicht dazu, das ausgebaute Skigebiet in Kals dagegen schon. Es gehört der gleichen Familie wie der 500-Betten-Betrieb. Gratz meint: "Wir profitieren davon. Aber es ist eine beinharte Unternehmergruppe." Es klingt, als wären Berge weit weniger schwierig.

Am höchsten Punkt des Großglockners steht nur eine einzige weitere Seilschaft, der nächsthöhere Punkt, die Königspitze, ist 175 Kilometer entfernt. Und ein paar Minuten lang ist man sich sicher, dass es nicht einmal im paradiesischen Patagonien, wo die Mäuse wie Meerschweinchen schmecken, schönere Gipfel geben kann.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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