Zweites TV-Duell Obama vs. Romney:Böser Reicher, plötzlich verbindlich

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Die Vorstandsetage ist seine Welt, der höfliche Ton, die guten Manieren. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney fühlt sich am wohlsten im kleinen Kreis. US-Präsident Obama muss auf der Hut sein. Warum Romney auch im zweiten Fernsehduell gute Chancen hat.

Nicolas Richter, Washington

Mitt Romney
:Sein Leben in Bildern

Multimillionär, Mormone, Familienmensch, Wahlverlierer: Mitt Romney wollte die Republikaner zum Sieg führen und US-Präsident werden. Doch daraus wurde nichts. Was bewegt den Mann, der Barack Obama herausfordern wollte und scheiterte ? Wo sind seine Ursprünge und wie hat er es dorthin geschafft, wo er heute ist?

Als Mitt Romney im Jahr 1984 Chef des Finanzinvestors Bain Capital wird, zieht sich die neue Firma aus dem Gewusel des Bostoner Zentrums zurück in den Stadtteil Back Bay. Im neuen, sterilen Bürotrakt teilen sich die Partner ein Zimmer, während Romney ein eigenes bekommt. Er fühlt sich wohl, die Umgebung ist nüchtern, lenkt nicht ab und hält andere Menschen auf Abstand.

Romney, schreiben seine Biografen Michael Kranish und Scott Helman, meidet Kneipenbesuche mit Kollegen, fürchtet Menschenmengen und verabscheut Fahrten in vollen Aufzügen. Sein Zuhause aber ist der Konferenzraum, dort geht es nur um die Sache; jeder hat seinen Platz und Romney das letzte Wort.

Romney bleibt fast zwei Jahrzehnte lang bei Bain Capital, und als er genug Geld verdient hat, strebt er nach Höherem. Für welches politische Amt sich Romney seitdem auch beworben hat - er hat seine Methodik und seine Marotten beibehalten.

Als er vor knapp zwei Wochen gegen Präsident Barack Obama zum Fernsehduell antritt, ist er mit seinem Gegner und dem Moderator allein. Es ist die Anordnung, die ihm liegt. Er ist kämpferisch aber souverän, feuert scheinbar den Moderator ("Sorry, Jim"), indem er droht, dessen Sender die Subventionen zu streichen, und schlägt am Ende den Präsidenten, wie nie ein Teilnehmer dieser Duelle geschlagen wurde.

Obama, der Großrhetoriker, der noch vor vier Jahren Stadien füllte und die Menschen zu Tränen rührte, sollte beunruhigt sein. Nicht nur hat die Debatte seinen Vorteil in den Umfragen getilgt - es folgen sogar zwei weitere. An diesem Dienstag trifft er Romney in einem verändertem Format: Diesmal wird ein Publikum aus Wechselwählern die Fragen stellen. Die dritte Runde in einer Woche ähnelt dann wieder der ersten. Romney ist fortan in seinem Element, in diesen strukturierten Gesprächsrunden findet er jenes Ambiente wieder, in dem er fast zwanzig Jahre lang seine größten Erfolge ausgetüftelt hat.

Schon die Debatten im Vorwahlkampf hat Romney gewonnen, aber dies bedeutete angesichts seiner Gegner nicht viel. Seither war Romney nur noch an Orten, die er offensichtlich schnell wieder verlassen wollte: Auf Märkten in der Provinz, auf Bühnen unter stechender Sonne, wo er, ohne Krawatte und mit brachialer Gestik, ein älteres weißes Publikum euphorisieren sollte. Je seltsamer und unbeholfener er dabei wirkte, desto mehr ließen ihn seine Choreografen üben, ohne dass er aber je besser wurde. Zur Parteitagsrede in Tampa schickte man ihn quer durch die Halle auf die Bühne. "Work the crowd", die Menge bearbeiten, nennen sie das, und bei Romney sah es auch wie harte Arbeit aus.

Der Republikaner Mitt Romney im Wahlkampf. Es ist zwar unklar, ob er tatsächlich politische Überzeugungen hat. Aber er versteht es im Fernsehduell glänzend, den Erwartungen eines großen Teils seines Publikums zu entsprechen. (Foto: AP)

"Ich kann mir nicht vorstellen, Politik zum Beruf zu machen, ein Leben lang Wahlen gewinnen zu müssen, um meine Familie zu ernähren", erklärte Romney neulich dem Magazin New Yorker. Der Reporter war verblüfft, wie Romney sich verwandelte, sobald er die Bühnen verließ und ihm gegenübersaß: Romney spiele dann weder den Ungeduldigen noch den Überlegenen, er sei direkt, angenehm, bei der Sache. Seine Stimme klinge plötzlich kräftig, seine Bewegungen wirkten spontan, nicht gestellt.

Romney hat sein Leben lang nur in kleinen, geschlossenen Zirkeln gewirkt: In der mormonischen Kirche, in Harvard, als Consultant, bei Bain Capital. Bevor er Entscheidungen traf, wühlte er sich durch die Zahlen und ließ einen kleinen Kreis von Mitarbeitern debattieren. Die Vorstandsetage ist Romneys Welt, die höflichen Manieren, der leise, verbindliche Ton, die nüchterne Sprache der Präsentationen.

Mitt Romney glaubt, dass ein CEO der bessere Präsident wäre. "Die Wirtschaft verzeiht weniger", sagt er. "Wenn du in der Wirtschaft ernste Fehler machst, verlierst du deinen Job oder die Jobs anderer Leute. Politiker machen ständig Fehler, sie geben dann ihren Gegnern die Schuld, oder leihen mehr Geld, oder erhöhen die Steuern, um für ihren Fehler zu bezahlen. In der Geschäftswelt hat es wenig Wert, schnell und überzeugend zu reden."

Patzer im US-Wahlkampf
:Romney schmäht Obama-Wähler als "Opfer"

Was Mitt Romney wirklich denkt: In einem heimlich aufgezeichneten Video vor reichen Unterstützern lästert er über seine Mitbürger. Ein Großteil der Amerikaner zahle keine Steuern, koste dem Staat nur Geld. Damit knüpft er an die bisherigen Patzer an, mit denen sich Republikaner und Demokraten im Wahlkampf zur Lachnummer machen. Ein Überblick über die größten Ausrutscher.

Weil es der Wahlkampf eben verlangt, ist Romney aus seiner kleinen Welt hinabgestiegen, aber gedanklich sitzt er noch immer im Vorstandsbüro, wo er mit zwei knappen Sätzen über Schicksale entscheidet. "Ich mag es, Leute feuern zu können", sagt Romney einmal in einer Rede. Als er im Sommer auf Auslandsreise geht, erklärt er seinen Londoner Gastgebern zur Begrüßung, sie seien bei Olympia nicht auf der Höhe. Vor Spendern klagt er über jene 47 Prozent der Bevölkerung, die sich aus seiner Sicht als Opfer fühlen und den Staat ausplündern. "Mein Job ist es nicht, mir über diese Leute Gedanken zu machen", sagt er. Gefühlt hatte er mit 97 Prozent des Volkes nie zu tun. Wenn er über Mittelschicht oder Armut spricht, klingt es nicht nach Erfahrung, sondern nach Anekdote.

In der Debatte mit Obama gelingt es ihm, die starken Seiten seiner Vorstandspersönlichkeit auszuspielen und die schwachen zu unterdrücken. Er besticht mit ruhigem, verbindlichem Ton, spielt den Vermittler, den Moderaten, den Fürsorglichen. Die Sanierungs-Agenda bleibt in der Aktentasche. Das Debattenformat hat für Romney den großen Vorteil, dass er nicht vor Republikanern sprechen muss, die von seiner Härte und ideologischen Treue überzeugt werden wollen.

Es ist zwar immer unklarer, ob Romney politische Überzeugungen hat. Was er inzwischen aber kann, ist es, die Erwartungen seines Publikums zu managen. Die Amerikaner werden ihn nie lieben, aber vielleicht finden sie Gefallen an der Idee, diesen Oberbefehlsgeschäftsführer einmal auszuprobieren.

Präsident Barack Obama wiederum hat den Wahlkampf bislang darauf beschränkt, Romney für gierig und herzlos zu erklären. Die Karikatur vom bösen Reichen hat den ganzen Sommer die Werbespots im Fernsehen beherrscht, und lange sah es so aus, als habe Obama seinen Rivalen so gründlich als widerlich definiert, dass sich Romney davon nicht erholen würde. In der Fernsehdebatte aber war Obama abwesend. Es gibt viele mögliche Gründe dafür: Er hatte 20. Hochzeitstag, er war müde oder schlecht gelaunt oder zu cool, seine Berater hatten ihn nicht gut vorbereitet, er wollte bloß nicht überheblich sein gegenüber einem Gegner, der schon als sicherer Verlierer galt, er wollte es wie viele Schwarze in Amerika vermeiden, wie ein "zorniger schwarzer Mann" zu wirken, der einen Weißen bedrängt.

Aber die tiefere Ursache könnte sein, dass ihm das Format einfach nicht liegt, diese Show, von der es heißt, dass die Leute lieber einen guten Lügner sehen als einen schlechten Unterhalter. Obama mag nicht die direkte und spontane Auseinandersetzung mit einem Gegner, einem noch dazu, den er, wie Romney, persönlich verachtet. Die größten öffentlichen Momente Obamas sind jene geblieben, in denen er wieder und wieder überarbeitete Redemanuskripte vom Teleprompter ablas, vor einem Publikum, das ihn liebte, was immer er auch sagte. Allgemein aber ist dem Stadionredner Obama Einsamkeit lieber als zu viel Nähe. Während Romney mit zwei, drei Leuten im Raum gut zurechtkommt, kann das dem Präsidenten schon zu viel sein.

Andererseits wächst Obama über sich hinaus, wenn er sich herausgefordert fühlt, wenn ihn sein sportlicher Ehrgeiz packt. Bis vor Kurzem hielt er Romney nicht für einen würdigen Gegner. Jetzt muss er sich auf ihn einlassen, nicht auf die Karikatur, die er geschaffen hat, sondern auf den Mann, der vor ihm steht. "Das Publikum wird ein bisschen mehr Aktivität sehen", hat Obama für das zweite Duell an diesem Dienstag versprochen.

Und: "Wir gewinnen das Ding."

© SZ vom 15.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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