Finaler Akt des Zwei-plus-Vier-Vertrags:"Es hat schon eine gewisse Spannung gegeben"

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Nicht ganz spannungsfrei: Die Übergabezeremonie der sowjetischen Ratifizierungsurkunde durch den sowjetischen Botschafter Wladislaw Terechow an Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor 30 Jahren. (Foto: Screenshot: Tagesschau.de)

Am 15. März 1991 besiegelte die Übergabe eines sowjetischen Dokuments an Außenminister Genscher die deutsche Souveränität. Ein freudiges Ereignis - eigentlich. Ex-Diplomat Luy über die Gemengelage vor 30 Jahren und Menschen, die die Souveränität heute in Zweifel ziehen.

Interview von Barbara Galaktionow, München

Am 12. September 1990 unterzeichneten die Außenminister der damals noch zwei deutschen Staaten und der früheren Alliierten - USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien - den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte. Doch erst ein halbes Jahr später - am 15. März 1991 - wurde der Vertrag durch die Übergabe der letzten Ratifizierungsurkunde durch die Sowjetunion an Deutschland offiziell besiegelt. Die Nachrichten bestimmte an diesem Tag allerdings ein anderes Thema: Wenige Tage zuvor hatte die Sowjetunion den früheren DDR-Staatschef Erich Honecker gegen den Willen der deutschen Regierung nach Moskau ausgeflogen. Der frühere Diplomat Julius Georg Luy arbeitete während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im Stab des Auswärtigen Amts. Er erläutert die Bedeutung des finalen Vertragsschritts, wie die Verwicklungen um Honecker damit zusammenhingen, und stellt sich Leugnern der deutschen Souveränität entgegen.

SZ: Herr Luy, Sie haben die Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag als Mitarbeiter des Deutschland- und Berlin-Referats im Auswärtigen Amt begleitet. Was hat das für Sie persönlich bedeutet?

Julius Georg Luy: Für mich als Staatsdiener wie auch als deutscher Staatsbürger sind die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und die Vertragsunterzeichnung das wichtigste historische Ereignis meines Lebens. Bei den Verhandlungen dabei gewesen zu sein, daran mitgewirkt zu haben, die mit der Vereinigung verbundene Aufbruchsstimmung auch in den Verhandlungen und bei unmittelbaren Verhandlungspartnern wiederfinden zu können, hat rückblickend mich und mein Verständnis von Regierung und Diplomatie stärker geprägt, als ich es damals angenommen hatte.

Am 15. März 1991 trat der bereits im September des Vorjahres unterschriebene Vertrag mit der Übergabe der sowjetischen Ratifikationsurkunde offiziell in Kraft. Wie wesentlich war dieser letzte Schritt?

Die Übergabe der Ratifikationsurkunde durch den sowjetischen Botschafter Wladislaw Terechow an Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher im Auswärtigen Amt war ein formaler, wenngleich auch sehr symbolischer Akt. An der Übergabe selbst haben wir zu diesem Zeitpunkt nicht gezweifelt, wir waren der Meinung, das wird mit der entschiedenen Unterstützung durch den russischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow so kommen. Allerdings hat es wegen Diskussionen des Vertrags im Obersten Sowjet streckenweise schon auch eine gewisse Spannung gegeben.

Drei Tage zuvor hatte die Sowjetunion Erich Honecker gegen den Willen der Bundesregierung von Deutschland nach Moskau ausgeflogen. Das beeinträchtigte die Feierstimmung in Bonn?

Ich war zu dem Zeitpunkt bereits auf meinem neuen Posten in Moskau, kann also zur Stimmung im Auswärtigen Amt nichts Unmittelbares sagen. Dass die Sowjetunion die Ratifikationsurkunde allerdings erst nach dem Ausfliegen Honeckers aus Ostdeutschland übergab, war sicherlich von ihr kalkuliert, da ein Ausfliegen unter voller Rechtsgeltung des Zwei-plus-Vier-Vertrags diesen sofort offenkundig verletzt hätte. Honecker hatte in der Sowjetunion und ihrer Nomenklatur noch einflussreiche Freunde, die sich mutmaßlich dafür eingesetzt hatten, ihn vor einer Strafverfolgung in Deutschland zu schützen.

Das juristische Tauziehen um Erich Honecker dauerte fast anderthalb Jahre. Erst im Juli 1992 wurde er an Deutschland ausgeliefert, wo er vor Gericht gestellt wurde. Auf dem Foto verlässt er die chilenische Botschaft in Moskau, in die er sich in Russland zuletzt geflüchtet hatte. (Foto: dpa/DPA)

Es gab also einen gewissen Spannungsbogen durch die Honecker-Verwicklungen ...

Nicht nur dadurch, sondern auch durch das Wissen, dass der Vertrag und seine Folgen, auch für die sowjetischen Truppen in Ostdeutschland, in der politischen Elite der Sowjetunion nicht nur Freunde hatte. Die Diskussionen im Obersten Sowjet haben das gezeigt. Später wurde offen darüber diskutiert, ob die Sowjetunion die deutsche Einheit nicht für ein Linsengericht, also Wirtschaftshilfen, hergegeben und damit ihren historischen Sieg im Zweiten Weltkrieg verkauft hätte. Gorbatschow war zu der Zeit aber innenpolitisch noch stark genug, sich gegen diese Kräfte durchzusetzen. Er konnte und wollte hinter das auf beiden Seiten Erreichte nicht zurückgehen und war dafür an anderer Stelle zu Konzessionen bereit. Allerdings haben die Entwicklungen vom August 1991 in der Sowjetunion, also der Putschversuch gegen Gorbatschow und dessen späterer Rücktritt, deutlich gezeigt, wie glücklich für uns Deutsche der Zeitraum war, in dem die deutsche Einigung stattfinden und die Wiederherstellung unserer vollen Souveränität auch rechtlich abgeschlossen werden konnte.

Von welchen Zugeständnissen Gorbatschows sprechen Sie?

Ich denke nicht, dass Gorbatschow ein persönliches Interesse daran hatte, Honecker in die Sowjetunion zu holen. Das war aber offenbar eine Konzession, die ihm zumutbar erschien. Er musste Rücksicht nehmen auf die Gegner des Vertrags in der Sowjetunion. Ob die Honecker-Frage auch unmittelbar eine Rolle gespielt hat für die Zustimmung des Obersten Sowjets zum Zwei-plus-Vier-Vertrag kann ich nicht sagen.

Hatte die Ratifikation des Vertrags und vor allem die Übergabe des Dokuments heute vor 30 Jahren noch eine faktische Bedeutung für die Arbeit des Auswärtigen Amts?

Es gab meines Wissens keine zusätzlichen praktischen Auswirkungen für die Arbeit des Auswärtigen Amts. Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen hatten ja im Wesentlichen schon "auf Augenhöhe" stattgefunden, die Alliierten hatten ihre Vorbehaltsrechte bereits ausgesetzt. Allerdings war der symbolische Wert der nun auch rechtlich unwiderruflich gesicherten vollen Souveränität Deutschlands nicht zu unterschätzen. Das Inkrafttreten des Vertrags hat die Nachkriegsbesatzung Deutschlands und ihre Folgen endgültig beendet.

Julius Georg Luy war während der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im Arbeitsstab des Auswärtigen Amts tätig. Von Januar 1991 an arbeitete er als Leiter des Wirtschaftsreferats an der Botschaft in Moskau. In späteren Jahren war er Botschafter beim Europaparlament und in verschiedenen Ländern, zuletzt in Ägypten (Foto). (Foto: imago stock/imago/photothek)

Wie veränderte die wiedererlangte Souveränität konkret die Arbeit des Auswärtigen Amts?

Atmosphärisch wichtig war, dass die nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder problematisierte und gelegentlich auch instrumentalisierte "deutsche Frage" endgültig gelöst war. Nicht zuletzt die Grenzregelung im Vertrag hat dazu beigetragen. Im Übrigen entfielen natürlich formale Abstimmungen mit den Alliierten zu Fragen, die Berlin und Deutschland als Ganzes betrafen. Bundesgesetze erstrecken sich seitdem selbstverständlich auf ganz Deutschland in den Grenzen, die im Zwei-plus-Vier-Vertrag verbindlich festgehalten worden sind.

In jüngerer Zeit gibt es eine kleine, aber wachsende Gruppe von Menschen, die bestreitet, dass die Bundesrepublik jemals souverän wurde. Was würden Sie den sogenannten Reichsbürgern entgegnen?

Die juristischen und politischen Fakten sprechen klar und eindeutig gegen solche Theorien, die eine rationale Grundlage auch nicht für sich in Anspruch zu nehmen scheinen.

(Teile des Interviews wurden per Mail geführt.)

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