Wirecard-Skandal:Heißer Draht zu Marsalek

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Der Hauptsitz von Wirecard in München. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Wie geht es der Schaukelfigur? Der untergetauchte Wirecard-Vorstand soll sich mit einem Codewort mehrmals bei einem Ex-Verfassungsschützer aus Österreich gemeldet haben.

Von Klaus Ott und Jörg Schmitt, München

"Schaukelfigur" war eines der Codeworte. Wenn Jan Marsalek, der untergetauchte Ex-Wirecard-Vorstand, sich aus seinem Versteck meldete, soll er beispielsweise gefragt haben, wie es denn der Schaukelfigur in seinem Büro gehe. Damit sei klar gewesen, dass es sich wirklich um Jan Marsalek handelte, den früheren Wirecard-Vorstand.

Der soll sich mehrmals gemeldet haben, nachdem sich am 19. Juni 2020 seine Spur auf dem Flughafen in Minsk verlor. So jedenfalls erzählt es der ehemalige österreichische Verfassungsschützer Martin W. heimischen Ermittlern.

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Martin W. ist seit einigen Jahren einer der engsten Vertrauten seines Landsmanns Marsalek. Dem früheren Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT) in Österreich wird von der Wiener Staatsanwaltschaft unter anderem vorgeworfen, dem Wirecard-Manager bei seiner Flucht geholfen zu haben. Ob der Ex-BVT-Mann schuldig oder unschuldig ist, bleibt abzuwarten.

Marsalek soll von einer englischen und einer russischen Nummer aus angerufen haben

Wenn es stimmt, was Martin W. nach seiner Festnahme bei Vernehmungen ausgesagt hat, dann hat sich Marsalek seit dessen Flucht wiederholt bei ihm gemeldet und nach dem Stand der Ermittlungen gegen ihn erkundigt. Die Staatsanwaltschaft München I bezichtigt den früheren Wirecard-Vorstand des Betrugs in Milliardenhöhe, der Bilanzfälschung und weiterer Delikte.

Weltweit wird nach ihm gefahndet. Wo sich Marsalek versteckt, wissen die Behörden nicht. Und sein Vertrauter Martin W. , das geht aus den Vernehmungen hervor, weiß das offenbar auch nicht. Das entsprechende Protokoll liegt der SZ vor; zuerst hatte die österreichische Zeitung Die Presse davon berichtet.

Martin W. berichtete den Ermittlern, Marsalek habe über verschiedene Rufnummern Kontakt aufgenommen. Darunter eine Nummer aus England und eine aus Russland. Marsalek hatte sich Mitte Juni mit Hilfe von Martin W. von Österreich aus per Flugzeug nach Minsk abgesetzt. Das ist die Hauptstadt von Belarus, dem früheren Weißrussland, einem Nachbarstaat von Russland.

Seit Monaten wird spekuliert, Marsalek könnte wegen seiner guten Verbindungen nach Russland dort untergetaucht sein. Aber das sind nur Vermutungen. Martin W. sagte aus, Marsalek sei bei der Kontaktaufnahme sehr vorsichtig gewesen. Er habe sich zuerst über verschlüsselte Messengerdienste wie Signal oder Treema gemeldet und etwa nach der Schaukelfigur gefragt. Man habe auch zwei- oder dreimal kurz telefoniert.

Er umgab sich gerne mit Ex-Spionen und Ex-Militärangehörigen

Martin W. erzählte den Ermittlern, Marsalek habe immer gerne den Geheimagenten gespielt. Und sich sehr für die Arbeitsweise des BVT interessiert. Das passt zu dem, was man bisher über den Ex-Manager weiß. Er umgab sich gerne mit Ex-Spionen und Ex-Militärangehörigen, suchte offenbar die Nähe zu Geheimdiensten und plante sogar den Aufbau einer Söldnertruppe in Libyen.

Ein Doppelleben im Schlapphut-Milieu mit Spuren nach Russland. Vieles ging von seinem geheimen Zweitbüro in der Prinzregentenstraße 61 in München aus. Von dort in die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München waren es für Marsalek acht Kilometer, Fahrzeit knapp eine Viertelstunde. Acht Kilometer zwischen zwei Welten, die eines gemein hatten: geheimnisvoll, und voller verborgener Geschäfte.

In der Prinzregentenstraße 61 soll laut Aussage von Martin W. einige Male ein österreichischer BVT-Kollege zu Besuch gewesen sein. Diesem Kollegen will Martin W. eine von "Jan" erstellte Liste mit zehn Namen gegeben haben. Marsalek habe wissen wollen, ob diese Personen bei einem oder für einen Geheimdienst tätig seien. "Wozu Jan diese Abklärung brauchte, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht mehr, welche Namen auf seiner Liste standen", berichtete Martin W. den Ermittlern. Der BVT-Kollege habe dann nach diesen Namen gesucht und nach Wochen oder Monaten geantwortet. Meist negativ (keine Agenten), manchmal positiv.

Marsalek soll auf diese Weise seit 2018 nach möglichen Agenten Ausschau gehalten haben. Sein Treiben legt die Vermutung nahe, er habe sich entweder vor Spionen in seinem Umfeld schützen oder Kontakt zu Agenten aufnehmen wollen. Oder gar, um solche an andere Geheimdienste verraten zu wollen? Marsaleks Motive bleiben auch nach der Vernehmung von Martin W. im Dunkeln. Ebenso wie sein Versteck. Ob er dort wieder eine Schaukelfigur hat?

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