Bundesregierung:Berlin will Wasserstoff-Ausbau erheblich beschleunigen

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Hier geht's zum Pressestatement: Robert Habeck weist den Weg. Neben ihm die Ministerkollegen Bettina Stark-Watzinger und Volker Wissing. (Foto: John Macougall/AFP)

Die Ampel einigt sich auf eine neue Strategie, um fossile Energieträger zu ersetzen. Nach den Plänen soll ein Drittel des eigenen Bedarfs in Deutschland produziert werden.

Von Thomas Hummel

Die Bundesregierung hat den Startschuss gegeben für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Am Mittwoch einigte sich das Kabinett auf eine neue Nationale Wasserstoffstrategie, mit der bereits bis 2030 die Rolle des Energieträgers erheblich gestärkt werden soll. Sogenannter "grüner" Wasserstoff (H₂) ist ein entscheidender Baustein, um die fossilen Brennstoffe Öl, Gas und Kohle zu ersetzen und klimaneutral zu werden. Gleichzeitig liegt darin die Hoffnung auf neues Wirtschaftswachstum. "Investitionen in Wasserstoff sind eine Investition in unsere Zukunft", erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Berlin. Kritisch sehen Umweltverbände, dass die Ampelkoalition vorübergehend auch Wasserstoff fördern will, der aus Erdgas hergestellt wird - also nicht "grün" ist.

Wie groß und komplex die Herausforderung ist, zeigte die Tatsache, dass neben Habeck und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger auch Verkehrsminister Volker Wissing (beide FDP) sowie Staatssekretäre aus dem Umwelt- und Entwicklungsministerium die Strategie vorstellten. Darin erhöht die Ampelregierung die Ziele bis 2030, bis dahin sollen jetzt 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) H₂ bereitstehen. Bis 2045 rechnet sie mit einem Bedarf von 500 bis 600 TWh. (Zum Vergleich: Im Jahr 2022 wurden in Deutschland insgesamt etwa 866 TWh Erdgas verbraucht.) Das Ziel für die heimische H₂-Produktion durch Elektrolyseure wurde verdoppelt. Windparks und Solaranlagen sollen zunehmend auch H₂ produzieren. Das ist bislang teuer.

Habeck rechnet damit, dass Deutschland etwa ein Drittel des benötigten Wasserstoffs selbst produzieren wird, den Rest muss es importieren. Es gibt Pläne für eine Pipeline aus Norwegen, ebenso für eine Leitung aus Portugal und Spanien über Frankreich. Gespräche laufen über eine Route aus Nordafrika nach Italien und Süddeutschland.

Hierzulande soll, öffentlich gefördert, ein erstes Kernnetz bis 2027/28 mit mehr als 1800 Kilometern Leitungen entstehen, um große Abnehmer anzubinden. Vor allem die Chemie- oder Stahlindustrie braucht Wasserstoff, um von fossilen Brennstoffen wegzukommen. Häfen an Nord- und Ostsee sollen gerüstet werden für gut transportierbare H₂-Derivate wie Ammoniak, die aus Afrika, Australien, der arabischen Halbinsel oder Kanada kommen sollen. Deutschland und die Europäische Union fördern den Wandel mit Milliarden. Am Mittwochnachmittag übergaben Habeck und die nordrhein-westfälische Klimaministerin Mona Neubaur (Grüne) in Duisburg einen Förderbescheid von zwei Milliarden Euro an das Stahlunternehmen Thyssen-Krupp für die Umrüstung des Werks auf Wasserstoff.

Zuvor bemühten sich die Ampelpolitiker bei der Strategie-Präsentation, Optimismus auszustrahlen. Wasserstoff "ist die große Chance, Energiesicherheit, Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden", erklärte Stark-Watzinger. Habeck prognostizierte, dass der Wandel viel schneller kommen werde, als viele denken. Lob erhielt die Regierung vom Branchenverband Hydrogen Europe: Die Strategie ermögliche in neun Jahren die breite Nutzung von grünem Wasserstoff. "Die Bundesrepublik wird auf dem Weltmarkt neben China der wichtigste Abnehmer sein", sagt Geschäftsführer Jorgo Chatzimarkakis, diese Zukunft werde sich auch mithilfe von deutschen Technologien formen, die etwa im Bereich der Elektrolyseure Weltmarktführer seien. Der Nationale Wasserstoffrat mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordert bereits, auch die Verteilnetze zu ertüchtigen. Diese bringen den Energieträger etwa zu mittelständischen Betrieben und "müssen nun rasch per Pipeline versorgt werden", sagte Vorsitzende Katherina Reiche.

"Wir fördern grün - und nehmen alles", sagt Habeck

Verkehrsminister Wissing betonte, für Schwerlaster, Schiffe oder Flugzeuge gebe es keine Alternative zu H₂. In der Frage, ob auch Pkws mit auf Wasserstoff basierenden E-Fuels fahren werden, blieb der FDP-Politiker diesmal vage. Viel deutet auf einen Siegeszug des Elektroautos hin. In dem Papier wird dafür die Rolle der Stromerzeugung durch Wasserstoff genannt, gerade in kalten Wintermonaten. Im Gebäudebereich werde H₂ indes "nach derzeitigem Erkenntnisstand eine eher nachgeordnete Rolle spielen".

International hat ein Wettlauf begonnen um die besten Ausgangspositionen auf dem H₂-Markt. Die USA vergeben hohe Steuergutschriften bei Investitionen, weshalb der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) die Strategie der Bundesregierung als "überfällig" bezeichnete. Umstritten ist indes die Öffnung hin zu "kohlenstoffarmen" Wasserstoff-Arten. Etwa "blauem" H₂, der aus Erdgas hergestellt wird, wobei das entstehende Kohlendioxid eingefangen und unter die Erde gepresst werden soll. Die Methodik hat viele Gegner, wird aber etwa in Norwegen vorangetrieben. Offiziell als Übergang, bis genügend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht. Die Deutsche Umwelthilfe nennt das "einen massiven klimapolitischen Rückschritt". Sowohl die EU als auch die Bundesregierung und allen voran die Grünen sahen das lange ähnlich. Nun sagte Habeck: "Wir fördern grün - und nehmen alles." Wenn man die Infrastruktur baue, müsse auch irgendwas durchlaufen.

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