Bürgerschaftswahl:Wo die Hamburger Parteien stehen

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Container verschiedener Reedereien werden im Hamburger Hafen umgeschlagen. (Foto: dpa)

In den Umfragen liegt die SPD in Hamburg wieder klar vor den Grünen. Inhaltlich sind sich die Parteien in der Hansestadt ziemlich nah, zeigt eine Datenanalyse.

Von Christian Endt und Camilla Kohrs

Fast geht sie unter, die Hamburger Bürgerschaftswahl, im Getose um die Wahl in Thüringen und die Führungskrise der CDU. Dabei findet in der Hansestadt in diesem Jahr die einzige Wahl in einem Bundesland statt, sollte es nicht anderswo zu einer unregelmäßigen Neuwahl kommen. Die Abstimmung am 23. Februar ist der erste wirkliche Gradmesser, seit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken im Dezember die SPD-Parteiführung übernommen haben. Die Grünen können erneut mit starken Zugewinnen rechnen, zwischenzeitlich lagen sie in Umfragen sogar gleichauf mit der SPD. Für die FDP wird am Wahlergebnis erstmals ablesen können, wie teuer sie für ihr Agieren in Thüringen politisch bezahlt. Die aktuellsten Umfragen verorten die Liberalen erstmals in den Wahlumfragen bei der Fünfprozenthürde. Und auch die CDU hat gegenüber den früheren Umfragen eingebüßt.

Andere Folgen spüren die Liberalen schon: Die Zahl der beschädigten Wahlplakate und der Parteiaustritte hat stark zugenommen, nachdem Thomas Kemmerich in Thüringen das Amt des Ministerpräsidenten angenommen hatte, an das er dank Stimmen der AfD-Fraktion unter Björn Höcke gelangt war.

Anders als in Thüringen dürfte die Regierungsbildung in Hamburg kein Problem werden. Das liegt zum einen an den Kräfteverhältnissen der Parteien: Aktuellen Umfragen zufolge kann die derzeit regierende rot-grüne Koalition mit einer komfortablen Mehrheit in der künftigen Bürgerschaft rechnen. Zum anderen ist die politische Landschaft in Hamburg nur wenig polarisiert: Die AfD ist vergleichsweise schwach und muss sich auf ein einstelliges Ergebnis einstellen. Zwischen allen anderen Parteien (mit Ausnahme der Linken) sind die inhaltlichen Schnittmengen relativ groß.

Das zeigt eine Datenanalyse der Politikwissenschaftler Marc Debus und Christian Stecker vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Debus und Stecker haben gemessen, wo die Hamburger Parteien politisch zu verorten sind. Dabei lassen sich die Positionen auf zwei Achsen darstellen: zum einen wirtschaftspolitisch zwischen dem Eintreten für einen starken Sozialstaat (links) und freier Marktwirtschaft (rechts), zum anderen gesellschaftspolitisch zwischen konservativ und liberal-progressiv.

Die Daten ermöglichen nicht nur einen Vergleich der Parteien untereinander, sondern lassen auch Vergleiche zwischen den Landesverbänden in Hamburg und den jeweiligen Mutterparteien im Bund zu. Demnach tritt die SPD in Hamburg weniger links auf als in der Bundespolitik. Die Hamburger Christdemokraten sind gesellschaftlich deutlich liberaler als die CDU im Bund. Beide Parteien sind in der Hansestadt also in einer progressiven Mitte zu finden - dort, wo auch die Grüne und FDP stehen. Zwischen den genannten Parteien scheinen daher zumindest inhaltlich viele Bündnisse denkbar zu sein.

Für ihre Auswertung haben Debus und Stelzer einen Algorithmus angewandt, der die politischen Positionen der Parteien anhand der Wahlprogramme bestimmt. Sie machen sich zu Nutze, dass viele Wahlprogramme bereits von Politikwissenschaftlern bewertet und auf den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Skalen verortet wurden. Dabei lesen jeweils Dutzende Wissenschaftler die gleichen Programme, aus ihren Einschätzungen werden Mittelwerte gebildet. Nun kommt der Algorithmus ins Spiel: Er sucht im Datensatz nach statistischen Zusammenhängen zwischen den Positionen der Parteien und dem Vokabular in den Wahlprogrammen, samt der Häufigkeit der verwendeten Wörter. Marktliberale Parteien verwenden beispielsweise häufig das Wort "Steuern", um die Senkung derselben zu fordern. Linke Parteien verwenden dagegen häufiger Wörter wie "sozial" oder "Gerechtigkeit". "Es ist auf diese Weise möglich, die programmatischen Positionen aller deutschen Landesparteien zu ermitteln und so Unterschiede in den programmatischen Profilen der Landesparteien zu messen", sagt Marc Debus. "Vergleiche der so erhobenen Positionen mit den Ergebnissen anderer Verfahren sprechen dafür, dass die Methode valide ist."

Gesellschaftspolitisch progressiv

In der gesellschaftspolitischen Ausrichtung liegt eine der Besonderheiten von Wahlkämpfen in den Stadtstaaten. Gerade in großen Städten ist der Anteil liberal-progressiver Wähler deutlich höher. Die Parteien müssen hier vor allem punkten.

Besonders auffällig ist die Verschiebung bei der CDU. Die Christdemokraten gestalten ihr Programm deutlich progressiver als noch vor fünf Jahren. Besonders deutlich aber unterscheidet sich der Kurs des Landesverbands im Vergleich zur Bundespartei (die wurde anhand ihres Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2017 beurteilt). Spitzenkandidat Marcus Weinberg weiß um die Schwäche der CDU in den Großstädten und setzt auf einen deutlich liberaleren Kurs, wie SZ-Autor Ralf Wiegand schreibt. Weinberg wirbt schon seit Jahren dafür, mit den Grünen zusammenzuarbeiten - vor allem wegen der Familienpolitik und der Ökologie. Auch einer seiner Vorgänger warb schon für das Zusammendenken von Ökologie und Ökonomie: Ole von Beust, der letzte wirklich erfolgreiche CDU-Kandidat in Hamburg. Dessen liberaler Kurs brachte der CDU 2008 mehr als 42 Prozent der Wählerstimmen ein. Nach seinem plötzlichen Abgang scheiterte erst die Koalition mit den Grünen, bei der darauffolgenden Neuwahl 2011 stürzte die CDU in eine tiefe Krise und verlor knapp die Hälfte ihrer Stimmen. Unter einem weit konservativeren Kurs in den Jahren darauf, verlor die Partei weiter. Noch heute gilt die Partei als konservativer als in Zeiten von Ole von Beust.

Wirtschaftspolitik der Mitte

Auch wirtschaftspolitisch dürften die meisten Stimmen in der Mitte zu holen sein. Zumindest treffen sich dort - ziemlich mittig zwischen links und rechts - die SPD, CDU, FDP und mit etwas mehr weiter links auch die Grünen und ein kleines Stück weiter rechts die AfD. Nur die Linken weichen ab und liegen - als einzige Partei - auf dem selben Kurs wie die Bundespartei beim Wahlkampf 2017.

Die Hamburger SPD hingegen tendiert im Vergleich zum Programm der Bundespartei 2017 mehr zur Mitte. Der Bürgermeister und frühere Finanzsenator Peter Tschentscher hat sein Amt direkt von Olaf Scholz übernommen, der als Finanzminister 2018 in die Bundesregierung ging - und führt Scholz' Kurs ohne große Brüche weiter. Das Vorurteil, Sozialdemokraten hätten keine Ahnung von Wirtschaft, kann die CDU hier im Wahlkampf nicht nutzen. Die Stadt wächst seit Jahren, der Hafen brummt. Das kommt, gerade in einer Stadt, die Stabilität sehr schätzt, gut an. Wie in anderen Großstädten auch ist bei der SPD in Hamburg die Wohnungspolitik eines der zentralen Themen. "Wir dürfen niemanden aus der Stadt verdrängen", sagte der derzeit Erste Bürgermeister Peter Tschentscher im Wahlkampf. Die SPD verspricht, jedes Jahr 10 000 Wohnungen zu bauen und die Preisanstiege zu bekämpfen. Die Hamburger grenzen sich aber scharf ab von Debatten um Enteignung oder einem Mietendeckel, wie er in Berlin in Kraft treten soll. Das untergrabe die Investitionsbereitschaft für den Mietwohnungsmarkt, ist die Meinung von Tschentscher.

Auch die Spitzenkandidatin der Grünen, Katharina Fegebank, könnten nicht einmal ihre größten Gegner als grünen Wirtschaftsschreck titulieren. Ihre Partei trägt in Hamburg die Elbvertiefung mit, zu G20 zogen sie keine klare Position, unter Fegebank als Wissenschaftssenatorin stieg die Uni Hamburg zur Exzellenz-Universität auf. "Linksliberale Partei der Mitte", nennt die Spitzenkandidatin ihre Partei selbst - wobei die Betonung eher auf "liberal" liegen dürfte.

Was bedeutet das für Koalitionen?

Eigentlich scheint man sich Hamburg schon fast einig zu sein, die rot-grüne Regierung fortzuführen. Selbst wenn die Grünen, wie die aktuelle Umfrage zeigt, es nicht schaffen, die SPD zu überholen, gelingt ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit ein Wahlerfolg. 2015 lagen sie noch bei 12,3 Prozent und stellten neben der SPD (45,6 Prozent) mit großem Abstand den Juniorpartner. Nun liegen sie wohl um die zwölf bis 15 Prozentpunkte von den Sozialdemokraten entfernt und dürften damit mehr Einfluss in einer möglichen Koalition einfordern. Die Wahlforscher Debus und Stecker betonen auch den Aspekt der "niedrigeren Transaktionskosten": Die amtierende Regierungskoalition weiterzuführen bedeutet demnach weit weniger Aufwand. Darüber hinaus zählen bei Koalitionsverhandlungen natürlich vor allem die inhaltliche Nähe. Und die, folgt man der Auswertung von Debus und Stecker, haben in Hamburg nicht nur SPD und Grüne, sondern weit mehr Parteien.

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