Verlängerung:Die wichtigsten Köpfe des Jamaika-Marathons

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Die Positionen liegen weit auseinander. Dass die Verhandlungsführer sehr persönliche Interessen haben, macht die Sache nicht einfacher. Ein Überblick, wer jetzt was will und was man zu zahlen bereit ist.

Von Stefan Braun, Constanze von Bullion, Nico Fried, Robert Roßmann und Mike Szymanski

Viele sitzen am Tisch - aber wenige sind berufen, die Sache zu entscheiden. Ein Sechser-Kreis zieht sich immer wieder zurück, um die Jamaika-Verhandlungen zu entwirren, wenn sie sich verheddert haben: die Chefs von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, die zwei Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, FDP-Chef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki. Zwei andere sind auch wichtig: Peter Altmaier, derzeit als Finanzminister Herr übers Geld. Und Alexander Dobrindt, als Landesgruppenchef Statthalter der CSU in Berlin. Alle wollen einen Erfolg - aber meinen alle damit auch das Gleiche?

Angela Merkel

Die Frau hat Zeit. Sie ist die Bundeskanzlerin und führt eine geschäftsführende Regierung. Sie wird die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition nicht scheitern lassen, sondern immer wieder neue Vorschläge machen, wenn es sein muss. Nein sagen - das sollen andere auf sich nehmen.

Merkel hat Erfahrung als Verhandlerin. Einige Zeit komme sie mit wenig Schlaf aus, hat die Kanzlerin mal erzählt. Ihre ersten bleibenden Erlebnisse stammen aus den Jahren als Umweltministerin. Zuerst leitete sie 1995 eine sehr harte Klimakonferenz in Berlin, zwei Jahre später führte sie die deutsche Delegation in Kyoto an. Sie lernte die Tricks der anderen kennen, zum Beispiel der Chinesen. In Nachtsitzungen tauschten die ihren wichtigsten Vertreter einfach aus, um ihm bis zum Schlussspurt am frühen Morgen einige Stunden Schlaf zu gönnen. Dann kam er wieder.

In den Sondierungsgesprächen geht das nicht. Wenn Merkel irgendwann geht, ist Schluss. Aber dann ist sie nicht diejenige, die als Erste aufsteht, sondern diejenige, die das Licht ausmacht.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Lange Nächte in Berlin: Cem Özdemir neben Ursula von der Leyen und Peter Altmaier, der sich gerade stärkt.

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(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Alexander Dobrindt neben Horst Seehofer, der Schmerzen zu haben scheint.

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(Foto: Carsten Koall/Getty)

Ministerpräsident Daniel Günther und Wolfgang Kubicki zeigten sich trotz allem gut gelaunt.

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(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt blickt hoffnungsvoll nach oben.

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(Foto: Michael Kappeler/dpa)

FDP-Chef Christian Lindner gibt Wasserstandsmeldungen.

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(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel verlässt in den Morgenstunden die vertagten Sondierungen.

Peter Altmaier

Er ist der unermüdlichste Schlichter und der, der wahrscheinlich zuletzt aufgeben würde. Streit? Ist zum Lösen da. Kulturbrüche? Müsste man unter vernünftigen Leuten doch überwinden können. Der Kanzleramtsminister ist so etwas wie der Berufsoptimist unter den Sondierern. Das ist meistens hilfreich, manchmal aber provoziert der Gestus andere auch, weil es halt doch Probleme gibt, die für den einen oder anderen nicht einfach weggelächelt werden können.

Seinem Naturell und seiner Aufgabe entsprechend hat Altmaier beim Klima, bei den Flüchtlingen, beim Verkehr schon Brückenbauten entworfen. Dass das noch nicht zum Erfolg geführt hat, dürfte ihn zwar schmerzen, aber nicht abschrecken weiterzumachen. Natürlich weiß auch er: Wenn die Sache schiefgeht, steht die Kanzlerin schlecht da. Und das könnte dann auch für ihn unangenehm ausgehen.

Horst Seehofer

Ein Parteichef unter Druck. Aber auch ein erfahrener Verhandler. Selbst politische Gegner attestieren Seehofer, er stecke immer bis tief in die Details im Stoff. Andere Ministerpräsidenten haben den bayerischen Regierungschef gerne als Verbündeten, wenn es darum geht, Geld aus dem Bundeshaushalt in die Länder umzuleiten.

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Seehofer ist überzeugt, dass die CSU gerade auch mit Blick auf Bayern mit einer Regierungsbeteiligung im Bund besser dran ist als in der Opposition. Andere in der CSU sehen das anders. Viele andere. In den anderen potenziellen Jamaika-Parteien weiß man, dass es mit Seehofer nicht leicht wird, eine Einigung zu erzielen - aber mit jedem anderen noch viel schwerer. Von wichtigen Grünen heißt es längst: "Ich hätte es nie für möglich gehalten, die Daumen dafür zu drücken, dass uns Horst Seehofer erhalten bleibt."

Alexander Dobrindt

Kaum ein Verhandler hat in den vergangenen Wochen stärker polarisiert als Alexander Dobrindt. Für die einen ist der CSU-Landesgruppenchef der größte Störfaktor bei den Sondierungsgesprächen. Dobrindt hielt es etwa für angebracht, die Grünen ausgerechnet in dem Moment anzugreifen, in dem sie von sich aus erste Konzessionen gemacht hatten. Für andere hingegen ist Dobrindt der letzte in der CSU, der ausspricht, was die Parteibasis wünscht.

Dobrindt will aber auch in einer Zeit, in der die Macht seines Mentors Seehofer schwindet, als eigener Akteur wahrgenommen werden. Außerdem sieht er ein Jamaika-Bündnis wegen seiner ausgeprägten Abneigung gegen die Grünen tatsächlich kritischer als der CSU-Chef. Für ernsthafte Differenzen zwischen Seehofer und Dobrindt gibt es - trotz mancher Spekulation - jedoch keine Indizien. Außerdem soll Dobrindt im Verhandlungssaal sehr umsichtig auftreten. Nicht nur FDP-Chef Lindner lobt ihn dafür.

Christian Lindner

Falls Jamaika doch noch scheitert, daran will FDP-Chef Christian Lindner keinen Zweifel aufkommen lassen, habe es jedenfalls nicht an den Liberalen gelegen. Wenn andere bedauern, wie wenig CDU, CSU, Grüne und FDP vorangekommen sind, betont er die historische Dimension eines solchen Bündnisses. Der 38-Jährige klingt dann, als wolle er Jamaika unbedingt. Tatsächlich ringt die Partei mit sich. Die FDP aus dem Stand aus der außerparlamentarischen Opposition in die Regierung zu führen, wäre für Lindner zweifelsohne die Krönung. Wie schnell aber eine Partei, die zu viel will, verglühen kann, hatte er miterlebt, als in der schwarz-gelben Koalition der Aufstieg der FDP abrupt in den Untergang mündete. Lindner taktiert bei den Kernforderungen etwa zum Soli-Abbau nicht weniger als CSU und Grüne bei ihren Herzensanliegen. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied: In der Partei hat er weitgehend alle Freiheiten. Sein Führungspersonal hatte er sich nach dem Absturz 2013 selbst zusammengestellt. Nur einer hat eine Sonderrolle: sein Vize Wolfgang Kubicki.

Wolfgang Kubicki

Ohne Wolfgang Kubicki, 65, bei den Liberalen wären die Sondierungen in jedem Fall weniger unterhaltsam. Wenn alle anderen mit schlechter Laune die Parlamentarische Gesellschaft in Berlin verlassen, weil mal wieder nichts voranging, haut der Parteivize - bei allem echten Frust - zuverlässig noch einen Spruch heraus, der mal mehr, mal weniger lustig ist. Er sagt von sich: "Ich will nicht Minister werden." Aber wenn die Chefverhandler zusammenkommen, dann begleitet Kubicki wie selbstverständlich Lindner in die Gespräche mit der Kanzlerin. Kubicki sagt, was er will und wann er es will. Mit Lindner eint ihn keine wirkliche Freundschaft, auch wenn sie zusammen in den Urlaub fahren - jedoch der Wille, die FDP wieder zum Erfolg zu führen. Im Moment ist das eine Basis, auf der sie hervorragend zusammenarbeiten können. Für die Jamaika-Partner heißt das: Sie müssen sich mit beiden arrangieren.

Katrin Göring-Eckardt

"Also. Es ist 4 Uhr 34", sagt Katrin Göring-Eckardt, als sie am frühen Freitagmorgen ihren Anhängern eine Video-Botschaft aus der Vorhölle schickt. "Wir sind an Schmerzpunkte gekommen", sagt sie. 15 Stunden hat die Grüne mit Unionisten und Liberalen gerungen. Man sieht ihr die Strapazen an, und das ist auch Zweck der Übung. Die Anhänger sollen sehen: Es wird gekämpft. Göring-Eckardt versteht sich als politische Brückenbauerin, die bürgerliche und grüne Welten miteinander versöhnt, mit einer Mixtur aus Beharrlichkeit und Pastorenpathos.

Ihr Auftreten hat der Thüringerin einen kurzen Draht zur Kanzlerin verschafft - und bei manchem grünen Haudegen den Ruf der Musterschülerin. Göring-Eckardt, 51, Reala, Sozialpolitikerin und Fraktionschefin, sollte jetzt Sozial- und Familienministerin werden, finden jüngere Frauen bei den Grünen. Sie selbst sieht das offenbar anders. Das Umweltministerium soll es sein.

Cem Özdemir

Er will dieses Jamaika, er will es unbedingt, wenn auch nicht bedingungslos, wie er versichert. Cem Özdemir, Parteichef und Vorwärtssondierer der Grünen, war seinem Ziel einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund nie so nah wie jetzt. Doch mit jeder Nacht, in der die Grünen an Union und FDP abperlen, wächst der Druck auf den 51-jährigen Sozialpädagogen aus Schwaben. Bei den Sondierungen gilt Özdemir als konzentrierter, effizienter Verhandler. In linken Stammbiotopen der Partei hingegen verbinden viele mit seinem Namen personifizierten grünen Machthunger. Gelingt es, einen für die Grünen erträglichen Koalitionsvertrag auszuhandeln, wird Özdemir als erster Sohn türkischer Gastarbeiter in Deutschland zum Bundesminister aufsteigen und Geschichte schreiben. Scheitert Jamaika, könnte er mehr Dresche als andere dafür beziehen.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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