SZ-Wahlzentrale:Merkels härteste Prüfung

  • Am Freitagmorgen ist der eigentlich geplante Abschluss der Sondierungsgespräche gescheitert. Nun soll bis Sonntag weiter verhandelt werden.
  • Für Merkel ist die Lage brenzlig: Bei einem endgültigen Scheitern der Gespräche würde sie ohne Partner dastehen. Die SPD hat eine Koalition ausgeschlossen.
  • Auch 2013 war die Regierungsbildung nicht einfach, doch diesmal ist Merkel in einer noch viel unangenehmeren Lage.

Von Robert Roßmann

Am Montag kommt Mark Rutte zu einem Arbeitsessen ins Kanzleramt. Der Mann ist zwar nur Ministerpräsident der kleinen Niederlande. Aber er könnte Angela Merkel eine Menge nützlicher Ratschläge geben. Denn Rutte hat bereits hinter sich, was Merkel noch vor sich hat: die Bildung einer komplizierten Vierer-Koalition. Mehr als 200 Tage nach der Wahl wurde Ende Oktober die neue niederländische Regierung vereidigt. In Deutschland sind seit der Bundestagswahl zwar erst acht Wochen vergangen, dafür haben CDU, CSU, FDP und Grüne sich noch nicht einmal dazu durchringen können, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Am Freitagmorgen ist der geplante Abschluss der Sondierungsgespräche gescheitert. Seitdem muss Merkel um ihre Macht ringen wie nie zuvor in ihrer Kanzlerschaft.

In der Nacht auf Freitag hatten sich Union, FDP und Grüne derart verhakt, dass zeitweise sogar ein endgültiges Scheitern der Gespräche befürchtet wurde. Um kurz nach vier Uhr konnten sich die Delegationen dann wenigstens darauf verständigen, die Verhandlungen nicht zu beenden, sondern lediglich zu vertagen. "Das war gut für Merkel, sie hat dadurch eine zweite Luft bekommen", sagt einer der Sondierer. Denn bei einem Scheitern der Jamaika-Gespräche wäre die CDU-Vorsitzende ohne Partner dagestanden. Die Sozialdemokraten hatten schon am Wahlabend erklärt, nicht für eine große Koalition zur Verfügung zu stehen. Und kaum einer kann sich vorstellen, dass die SPD sich von dieser Festlegung noch einmal verabschiedet - zumindest solange Merkel Kanzlerin bleiben will.

In der Nacht war offenbar geworden, wie groß die Differenzen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen immer noch sind. Und es wurde offensichtlich, wie gering das Vertrauen der möglichen Partner ineinander ist. In der CDU ist man sich nicht sicher, ob es FDP-Chef Christian Lindner wirklich ernst mit der Bildung einer Koalition meint. Die Verhandler der Union irritiert, dass Lindner zwar im Allgemeinen konstruktiv auftritt, sich aber, wenn es darum geht, einen Streitpunkt endgültig abzuräumen, gerne wieder zurückzieht. Die FDP fühlt sich dagegen von der Union hingehalten, etwa wenn es um konkrete Aussagen zur Abschaffung des Solidaritätszuschlages geht. Und CSU und Grüne liegen fast überall überkreuz.

Die Grünen sitzen wie festgetackert in den Sondierungsgesprächen

"Man kann zusammenkommen, wenn man zusammenkommen möchte", hat Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) am Freitag gesagt. Aber die Frage ist, ob wirklich alle Lust haben zusammenkommen. Die CSU ist bisher etwa beim Familiennachzug von Flüchtlingen zu keinen Konzessionen bereit. Horst Seehofer weiß, dass er sich in der CSU-Landtagsfraktion nicht mehr blicken lassen braucht, wenn er hier Abstriche macht. Für die CSU wäre ein Scheitern der Jamaika-Gespräche weniger schlimm als aufgezwungene Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik.

Die Christsozialen stecken allerdings in einem Dilemma: Sie können die Gespräche nicht selbst beenden. Es hätte unabsehbare Folgen für die Union, wenn die CSU Verhandlungen über die Bildung einer Koalition unter Führung einer CDU-Kanzlerin platzen lassen würde. Die CSU muss deshalb hoffen, dass sie sich in der Flüchtlingspolitik durchsetzt - oder dass die Grünen wegen der Unnachgiebigkeit der CSU die Reißleine ziehen. Aber die Grünen sitzen diesmal, anders als 2013, wie festgetackert in den Sondierungsgesprächen. Auch deshalb gehen die Verhandlungen jetzt trotz aller Konflikte weiter. Seit Freitagmittag reden die Sondierer der vier Parteien wieder miteinander, diesmal in der CDU-Zentrale.

Neue Zielmarke für einen Abschluss ist Sonntagabend.

Merkel ist dabei in einer deutlich unangenehmeren Lage als 2013. Auch vor vier Jahren war die Regierungsbildung schwierig. Die Sozialdemokraten hatten kein gesteigertes Interesse, noch einmal in eine große Koalition mit Merkels CDU zu gehen. Aber damals konnte die Kanzlerin die SPD mit einer Vielzahl an Zugeständnissen locken, etwa der Rente mit 63, der Frauenquote, der Mietpreisbremse oder dem Mindestlohn. Gleichzeitig musste die CDU-Vorsitzende ihre eigene Partei nicht fürchten. Merkel war wegen des großen Wahlerfolges 2013 im Zenit ihrer Macht - und stand damals trotz Grummelns in der CDU über die gewaltigen Zugeständnisse an die deutlich kleineren Sozialdemokraten in der Union nie infrage.

Diesmal ist Merkel wegen des schlechten Wahlergebnisses im September in der eigenen Partei nicht unumstritten. Und sie kann ihren potenziellen Partnern nichts anbieten, was alle befriedigt. Da helfen auch die immer größer werdenden Milliardenbeträge nicht, die Merkel auszugeben gedenkt. Denn die Gräben in der Klima- oder der Flüchtlingspolitik zwischen CSU und Grünen sind auch mit Geld nicht einfach zuzuschütten. Und so steht Merkel jetzt vor der bisher schwierigsten Aufgabe ihrer Amtszeit.

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