Flüchtlingskrise:Wie Seehofer Merkel zum Einlenken zwingen will

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Bayern droht Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Flüchtlingskrise mit einer Verfassungsklage gegen den Bund. (Foto: dpa)
  • Auf welcher rechtlichen Grundlage Bayern den Bund in der Flüchtlingskrise verklagen will, dazu will man sich in München nicht äußern.
  • Bayern könnte versuchen, eine verfassungsrechtliche "Schutzpflicht" des Bundes für die Länder einzufordern. Für den Fall, dass diese überfordert sind.
  • Tatsächlich ist im Freistaat das Gegenteil der Fall: Die Behörden arbeiten extrem effizient.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nun steht also die Drohung mit der "Verfassungsklage" im Raum, Bayern will den Bund in der Flüchtlingskrise zum Handeln zwingen. "Es wird an diesem Thema weiter gearbeitet, wir nehmen das sehr ernst", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Morgenmagazin von ARD und ZDF. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte das schon vor gut zwei Wochen angekündigt - doch die juristischen Konturen sind noch reichlich unscharf.

Gewiss, der Kern des Vorwurfs ist klar: Der Bund habe das Dublin-System faktisch außer Kraft gesetzt, wonach Flüchtlinge in die EU-Staaten zurückgeschickt werden können, über die sie eingereist sind. Doch auf welcher rechtlichen Grundlage Bayern eigentlich klagen will, ob ein Bund-Länder-Streit die richtige Klageart wäre - dazu gibt es keine Auskunft: "Details kann ich nicht nennen", sagt ein Ministeriumssprecher.

Bayern könnte eine Schutzpflicht des Bundes einfordern

Ein denkbarer Ansatzpunkt wäre das Föderalismusprinzip. Föderalismus heißt: Die Länder dürfen nicht in eine Situation gedrängt werden, in der sie ihre staatliche Verantwortung nicht mehr ausüben können. Sie müssen als (Teil-)Staaten handlungsfähig bleiben, um die Verantwortung für ihre Bürger wahrnehmen zu können - Bayerns Regierung spricht hier von der "Eigenstaatlichkeit" der Länder.

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Weil aber die Kontrolle der Grenzen und die Steuerung des Zuzugs Sache des Bundes sind, könnte Bayern versuchen, eine verfassungsrechtliche "Schutzpflicht" des Bundes für die Länder einzufordern. Würde der Freistaat durch den Flüchtlingszustrom gleichsam erdrückt, sodass er seiner Fürsorgepflicht für seine Bürger nicht mehr nachkommen könnte, dann könnte er daraus eine Befugnis zur juristischen Gegenwehr herleiten.

Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage wären freilich mau; Präzedenzfälle gibt es nicht. Dass die bayerische Verwaltung unter den hohen Flüchtlingszahlen ächzt, dass Kommunen und Behörden alle Hände voll zu tun haben, um die Menschen unterzubringen - das dürfte jedenfalls noch keine verfassungsrechtliche Pflicht zur Schließung der Grenzen auslösen.

Bisher arbeiten die Behörden in Bayern sehr effizient

Denn dass die staatliche Ordnung in Bayern zusammengebrochen wäre, davon ist bisher noch nicht die Rede, im Gegenteil: Bisher arbeiten die Behörden ausgesprochen effizient. Hinzu kommt: Selbst wenn man eine Schutzpflicht des Bundes bejahen wollte, würden die Karlsruher Richter der Bundesregierung vermutlich einen großen Handlungsspielraum einräumen.

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Dem Grundgesetz mag im schlimmsten Fall - sollte Bayerns "Eigenstaatlichkeit" irgendwann wirklich aus den Fugen geraten - eine Pflicht zu entnehmen sein, dass der Bund den Zuzug von Flüchtlingen eindämmen muss. Auf welche Weise das zu geschehen hat, läge aber im politischen Ermessen.

Und da würde Karlsruhe diagnostizieren, dass es ja keineswegs bei Angela Merkels Satz "Wir schaffen das" geblieben ist. Der Bundestag hat im Eiltempo ein Asylgesetz verabschiedet, das Abschiebungen beschleunigen soll, Flüchtlinge besser verteilen und den Kreis der "sicheren Herkunftsstaaten" erweitert.

Auch Transitzonen - wie immer sie dann heißen werden - sind weiter im Gespräch, zudem dringt die Kanzlerin auf europäische Solidarität. Dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Situation anordnen würde, die Schlagbäume herunterzulassen, ist kaum vorstellbar.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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