Donald Trump war noch nicht einmal im Amt, als das mit den Leaks losging. Am 11. Januar, neun Tage vor seiner Einführung, twitterte Trump erstmals über Sicherheitslücken: "Die Geheimdienste hätten niemals erlauben sollen, dass diese Fake News an die Öffentlichkeit geleakt werden." In einer durchaus umstrittenen Aktion hatte Buzzfeed News ein Dossier publiziert. Darin hieß es, Russland habe Infos über Trump gesammelt, die gegen ihn verwendet werden könnten. Das Dossier hatte der frühere britische MI6-Agenten Christopher Steele zusammengestellt. Die US-Geheimdienste stritten ab, etwas mit der Veröffentlichung zu tun zu haben und ärgerten sich über Trumps offene Kritik. Die war mehr als deutlich; der Tweet des president elect endete mit den Worten: "Leben wir in Nazi-Deutschland?"
Damals konnte der neu gewählte US-Präsident noch nicht ahnen, dass die Leaks, also das anonyme Durchstechen von geheimen oder sensiblen Informationen an die Presse, zu einem Leitthema seiner Präsidentschaft werden würden. Wöchentlich, manchmal sogar täglich poppen seitdem vertrauliche Informationen in der Öffentlichkeit auf: aus dem Weißen Haus, aus den Geheimdiensten, aus den Ministerien, aus dem Kongress. Veröffentlicht werden sie in den meisten Fällen von der New York Times oder der Washington Post. Die beiden großen US-Zeitungen liefern sich seit Trumps Wahl geradezu einen Wettkampf, wer die meisten Insider-Scoops präsentieren kann. Aber auch andere Medien wie CNN, The Intercept, Buzzfeed oder The New Yorker werden laufend von den anonymen Quellen mit Indiskretionen von unterschiedlicher Tragweite versorgt.
US-Präsident:Kayleigh McEnany - von CNN zu Trumps "Real News"
Bei CNN ergriff Kayleigh McEnany regelmäßig Partei für den Präsidenten. Jetzt moderiert sie Trumps Nachrichtenformat auf Facebook. Und macht beim Thema Einwanderung eine Milchmädchenrechnung auf.
Das staunende Publikum erinnert sich nur zu gut an die Leak-Highlights der vergangenen Monate. Etwa an den nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn, der Sanktionen mit Russlands Botschafter Sergej Kislyak diskutierte, bevor Trump überhaupt im Amt war, dies aber hartnäckig leugnete. Oder an das Treffen Trumps mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und dem russischen Botschafter Kislyak im Oval Office, bei dem er streng geheime Informationen über den sogenannten Islamischen Staat ausplauderte. Oder das Memo des gefeuerten FBI-Chefs James Comey, in dem stand, dass Trump ihn gebeten habe, die Ermittlungen gegen Flynn fallen zu lassen.
"Fake News" ist zum geflügelten Wort geworden
Manchmal handelt es sich bei den Indiskretionen aber auch nur um Klatsch und Tratsch. Etwa darüber, mit wem der Präsident zu Abend gegessen hat. Oder welche Medienberichten ihn wieder aufgebracht haben. Ab und zu geht es um politisches Kalkül, etwa einen taktischen Schachzug der Regierung in Sachen Gesundheitsreform. Und in besonders delikaten Fällen geht es um die Russland-Ermittlungen - Informationen, die vermutlich aus dem Team von Sonderermittler Robert Mueller stammen.
Im Moment hat Trump gerade seinen Chefstrategen Steve Bannon in Verdacht, Insider-Infos über den nationale Sicherheitsberater H.R. McMaster an Breitbart News zu leaken und eine Mobbing-Kampagne gegen den General zu fahren. Bannon war bis vor seinem Job im Weißen Haus Chef der US-Nachrichtenseite, die als Lieblingsmedium der Alt-Right-Bewegung gilt. Sollte er den Verdacht des Leakens nicht entkräften können, könnte Bannon seinen Job bei Trump bald wieder los sein.
Trump fühlt sich durch all diese intimen Einblicke verraten und gejagt - sowohl von den Leakern als auch von den Medien. Seiner Wut macht er gerne auf Twitter Luft, Stichwort: "Fake News".
Dass ausgerechnet unter Trump die Indiskretionen derartig zugenommen haben, führen Beobachter darauf zurück, dass der Präsident es selbst nicht so genau nimmt mit der Wahrheit und darauf, dass er in den Augen zahlreicher Untergebener seinen Job nicht so macht, wie es dem Amt angemessen wäre.
Zudem stammen viele Mitarbeiter in den Ministerien oder Geheimdiensten noch aus der Obama-Ära. Dass diese mit Trump und seinen Entscheidungen oft nicht einverstanden sind, liegt auf der Hand. Sie wissen: Mit dem Leaken von Insider-Infos können sie der Trump-Mannschaft schaden.
Um die Transparenz ist es zudem bei der Trump-Regierung generell nicht besonders gut bestellt. Diesen Vorwurf musste sich zwar schon Amtsvorgänger Barack Obama gefallen lassen. Aber bei einem Präsidenten, der sogar bei den Besucherzahlen seiner Amtseinführung schwindelt, respektive "alternative Fakten" präsentieren lässt, bekommt die Forderung nach Transparenz eine völlig neue Relevanz.
In der vergangenen Woche kündigte US-Justizminister Jeff Sessions an, der "Kultur des Leakens" ein Ende bereiten zu wollen. Wer geheime oder sensible Regierungsinformationen weitergibt, soll künftig härter verfolgt und bestraft werden. Die Fälle, in denen wegen unerlaubter Weitergabe vertraulicher Informationen ermittelt wird, hätten sich verdreifacht, sagte Sessions. Und: "Wir werden nicht länger erlauben, dass anonyme Quellen mit Zugang zu geheimen Informationen unser Land ausverkaufen."
Er sagte auch: Die Freiheit der Presse sei nicht "grenzenlos". Er deutete damit an, dass auch Journalisten für das Veröffentlichen von geleakten Informationen juristisch zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Sein Vertreter Rod Rosenstein erklärte zwar zwei Tage später: "Wir sind hinter den Leakern her, nicht hinter den Journalisten". Doch die Warnung hat für Verunsicherung gesorgt.
Trump, der seit Monaten wegen der Masse an Indiskretionen schäumt und Sessions wegen seiner "schwachen Haltung" dazu öffentlich kritisiert hatte, teilte per Twitter seine Begeisterung mit: "Nach den vielen Jahren, in denen in Washington geleakt wird, ist es großartig zu sehen, dass der Justizminister aktiv wird."
Was die wenigsten wissen: Die Verfolgung von Leakern aus den eigenen Reihen erreichte schon unter Obama nie dagewesene Ausmaße. In Obamas Amtszeit wurden doppelt so viele Fälle geahndet wie unter allen anderen Präsidenten vor ihm zusammen. Der Unterschied: Während Trump sich wegen der Indiskretionen öffentlich echauffiert, ließ Obama die Leaks still und leise verfolgen.
Der gute Whistleblower, der böse Leaker
Whistleblowing, also die Weitergabe von Informationen, die einen Missstand in Regierungsorganisationen aufdecken, ist in den USA unter dem "Whistleblower Protection Act" (WPA) sogar geschützt - solange es sich nicht um klassifizierte Informationen handelt. Die Idee dahinter: In einer Demokratie sollten die Bürger die Möglichkeit haben, von Fehlverhalten in Institutionen zu erfahren.
Ein Whistleblower kann auch Geheiminformationen anprangern, doch muss das über einen "sicheren Kanal" einer Bundesbehörde erfolgen. Was den Leaker vom Whistleblower unterscheidet: Der Leaker gibt geheime Informationen auf eigene Faust direkt an die Medien weiter.
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Außerdem handelt der Leaker oftmals nicht aus der mehr oder weniger idealistischen Absicht heraus, Fehlverhalten der Regierung aufzudecken, sondern aus politisch-strategischen Gründen, zum Beispiel, um gezielt Gerüchte zu streuen. Kurz gesagt: Dem Whistleblower unterstellt man edle Motive, beim Leaker vermutet man eher egoistische Beweggründe.
Die Diskussion, ob das Durchstechen von Insider-Infos gefährlich ist für das Amt des Präsidenten oder gar die gesamte Nation, ist nicht neu. In der vergangenen Woche wurde sie durch ein größeres Leak aus dem Weißen Haus wieder neu angefacht. Die Washington Post veröffentlichte Protokolle vertraulicher Telefonate Trumps mit den Regierungschefs von Mexiko und Kanada. Sie lösten in Washington die Sorge aus, dass niemand mehr offen am Telefon mit Trump sprechen würde, wenn der Wortlaut später in der Zeitung zu lesen sei.
Selbst einige Demokraten sind dieser Ansicht. Senator Mark Warner vom Geheimdienstkomittee des Senats sagte, als Regierender müsse man in der Lage sein, vertrauliche Gespräche zu führen. Die Leaks bezeichnete er als "unangemessen" und "schändlich".
Der konservative Journalist David Frum vom Magazin The Atlantic schrieb, die Indiskretionen hätten das Potenzial, die internationalen Beziehungen über Trumps Präsidentschaft hinaus zu belasten. "Wenn solche Gespräche durchgestochen werden, gilt das für jedes Gespräch. Kein Staatschef wird sich mehr trauen, etwas zum Präsidenten der USA zu sagen, wovon er danach lieber nichts zu Hause in den Nachrichten lesen möchte", so Frum.
Trump-Beraterin Kellyanne Conway erklärte pauschal, die "nationale Sicherheit" sei durch solche Veröffentlichungen gefährdet. Doch wie sicherheitsrelevant etwa Trumps Gespräch mit dem mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto darüber ist, wer die Mauer an der US-mexikanischen Grenze bezahlen soll, bleibt unklar. Der Inhalt des Telefonats war bereits im Januar bekannt geworden. Das nun aufgetauchte Transkript legt die Konversation im Wortlaut offen. Geheime Informationen kamen keine ans Licht, lediglich die etwas plumpe Verhandlungsstrategie des US-Präsidenten.
In der Folge kündigte Justizminister Sessions seine Offensive gegen die "Kultur des Leakens" an - worauf der US- Presseverband New Media Alliance mit Besorgnis reagierte. "Die Erklärungen des Justizministers sind ein Versuch, die Kommunikation zwischen Regierungsmitarbeitern und Journalisten zu unterbinden, was letztlich dazu führt, die Öffentlichkeit im Dunkeln zu halten", hieß es in einer Stellungnahme.
Ohne Leaks wären schließlich viele Skandale unentdeckt geblieben. Etwa die von Chelsea Manning an WikiLeaks durchgestochenen Militär-Dokumente, die Missstände im Irak- und Afghanistankrieg enthüllten. Oder die NSA-Dokumente von Edward Snowden, die einen Abhörskandal ungeahnter Größe aufdeckten.
Sessions kann bei Trump punkten
Manche politische Beobachter vermuten, bei Sessions Ankündigung handele es sich vor allem um eine PR-Aktion in eigener Sache. Es sei ein Versuch, sich bei Trump wieder beliebt zu machen.
Tatsächlich kann Sessions bislang keine großen Ermittlungserfolge in Sachen Leaks vorweisen. Der Justizminister sprach zwar von bereits vier Personen, die wegen Weitergeben von Informationen oder Kontakten angeklagt seien. Die Washington Post fand jedoch heraus, dass überhaupt nur eine dieser Personen vertrauliche Informationen an die Medien weitergegeben hat. Es handelt sich um die 25-jährige NSA-Mitarbeiterin Reality Leigh Winner - und bei ihr ging es gar nicht um Trump. Gegen die anderen drei vermeintlichen Leaker, von denen Sessions sprach, wird wegen klassischer Spionage ermittelt. In keinem der drei Fälle war die Presse involviert.
Ob die Androhung strafrechtlicher Verfolgung es schafft, potentielle Leaker in der Zukunft abzuschrecken, wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Erst neulich gelangte der Audio-Mitschnitt einer Rede von Trump-Berater Jared Kushner an die Presse, in der er zu Kongress-Praktikanten über den Friedensprozess im Nahen Osten sprach. Die Praktikanten waren zuvor gewarnt worden, dass ein Aufzeichnen und Weitergeben ein "Vertrauensbruch" sei. Irgendwer hat es trotzdem getan.