Israel und die USA:Strafe mit Hintergedanken

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Israelische Soldaten im Einsatz im Gazastreifen. (Foto: Israeli Army Handout/AFP)

Die USA wollen eine streng religiöse Einheit der israelischen Armee sanktionieren. Es geht um Menschenrechtsverletzungen - aber vielleicht auch noch um einiges mehr.

Von Tomas Avenarius, Tel Aviv

Trotz Krieg und Krise im Nahen Osten bahnt sich neuer Streit zwischen Israel und den USA an. Das US-Außenministerium erwägt, eine bei religiösen Juden beliebte Einheit der israelischen Armee (IDF) wegen Menschenrechtsverletzungen an Palästinensern mit Strafmaßnahmen zu belegen. Dies berichtet die US-Nachrichtenseite Axios. Demnach will Außenminister Antony Blinken in wenigen Tagen bekannt geben, dass dem Netzah-Yehuda-Bataillon der Zugriff auf US-Waffen verboten wird: In der Einheit dienen Strengreligiöse, Ultraorthodoxe und nationalreligiöse Siedler. Es wäre das erste Mal, dass Washington eine Einheit der IDF sanktioniert.

In Israel löste die Nachricht vom US-Vorgehen gegen die IDF sofort Protest aus. Regierung und Opposition zeigten sich geschlossen: Premier Benjamin Netanjahu erklärte im Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter: "In einer Zeit, in der unsere Soldaten gegen terroristische Monster kämpfen, erscheint die Absicht, eine IDF-Einheit mit Sanktionen zu bestrafen, als Höhepunkt der Absurdität und als moralischer Tiefpunkt."

Drei ungenannte US-Regierungsquellen und der US-Außenminister selbst hatten dem Nachrichtenportal Axios die Überlegungen bestätigt. Mit dem Gaza-Krieg haben die Pläne allerdings nicht zu tun: Es geht um einen Vorfall im Jahr 2022. Damals soll sich ein palästinensischer Mann namens Omar Assad an einem israelischen Checkpoint vor seinem Dorf im israelisch besetzten Westjordanland der Überprüfung widersetzt haben. Soldaten des Netzah-Yehuda-Bataillons hätten den 80-Jährigen gefesselt und später in eisiger Nacht auf dem Boden liegend zurückgelassen. Einige Stunden später sei er tot aufgefunden worden, berichten Axios und die Times of Israel.

Offenbar liegen dem US-Außenministerium weitere Fälle nachgewiesener Menschenrechtsverletzungen durch israelische Soldaten oder Polizisten vor. Grundlage für US-Strafmaßnahmen aufgrund solcher Vorwürfe könnten die "Leahy-Gesetze" von 1997 sein. Bei Menschenrechtsverstößen von Uniformierten ermöglicht es dieses Gesetz den USA, ausländischen Militär- oder Polizeieinheiten und anderen Vertretern von Sicherheitskräften den Zugang zu amerikanischen Waffen und das gemeinsame Training mit US-Truppen zu verbieten. Axios zufolge laufen die US-Untersuchungen gegen Einheiten der IDF und der israelischen Polizei im Westjordanland seit Monaten.

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Das Netzah-Yehuda-Bataillon ist bei den häufig rechtsradikalen nationalreligiösen Siedlern beliebt

Das Netzah-Yehuda-Bataillon stand mehrmals in den Schlagzeilen. In der Einheit dienen vor allem religiöse Männer, sogenannte Haredim. Sie weigern sich aus Glaubensgründen, ihren Militärdienst in den üblichen gemischtgeschlechtlichen Wehrdiensteinheiten zu leisten und folgen zudem besonders strengen Speisevorschriften. Besonderer Beliebtheit erfreut sich das Netzah-Yehuda-Bataillon, das aus Freiwilligen besteht, offenbar auch bei häufig rechtsradikal orientierten nationalreligiösen Siedlern, die immer wieder palästinensisches Weide- und Farmland besetzen und illegal Siedlungen bauen. 2023 wurde das Bataillon aus dem Westjordanland auf die von Israel völkerrechtswidrig annektierten Golanhöhen verlegt. Es wurde im aktuellen Krieg laut der Times of Israel auch in Gaza eingesetzt.

Damit ist der politische Sprengstoff zu erkennen, den das angeblich geplante Vorgehen der US-Regierung beinhalten könnte. Die Rolle der religiösen Juden in der israelischen Armee wird seit dem 7. Oktober neu debattiert. Bisher konnten vor allem Ultraorthodoxe den Wehrdienst durch den Einfluss ihrer religiösen Parteien leicht vermeiden. Der Terrorüberfall der Hamas und die Bedrohung durch Iran, die Hisbollah und andere Verbündete Teherans hat nach Ansicht von Fachleuten aber gezeigt, dass die IDF sich nun stark vergrößern muss. Da Religiöse und Siedler besonders viele Kinder haben, kommt man an ihnen schlecht vorbei. Andererseits sehen säkulare Juden und Jüdinnen es als wichtig an, dass sowohl Männer als auch Frauen in der IDF dienen und dies in gemischtgeschlechtlichen Einheiten tun. Sie lehnen allzu große Zugeständnisse an die Religiösen ab.

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Die Sanktionen dürften für Ärger zwischen Premier Benjamin Netanjahu und seinen radikalen Koalitionspartnern führen

Daher dürfte das US-Vorgehen neuen Ärger für Premier Netanjahu bedeuten. Er regiert in einer Koalition mit religiösen Parteien. Zwei der Parteien seiner Koalition werden von extrem radikalen Siedlervertretern geführt: Minister Itamar Ben-Gvir als Verantwortlicher für die Polizei und die nationale Sicherheit, Bezalel Smotrich als Finanzminister. Ben-Gvir meldete sich dann auch sofort zu Wort. Wenn sich Verteidigungsminister Joav Gallant nicht hinter das Netzah-Yehuda-Bataillon stelle, werde er diese Einheit in seine Polizeikräfte integrieren.

Auch Oppositionsführer Jair Lapid erkannte einen innenpolitischen Ansatzpunkt: Er nahm die Armee in Schutz und nannte Washingtons Vorgehen israelischen Medienberichten zufolge einen Fehler: "Die Quelle des Problems liegt nicht auf der Ebene des Militärs, sondern auf der Ebene der Politik." Minister wie Ben-Gvir und Smotrich unterstützten "jüdischen Terrorismus und Siedlergewalt". Sie schädigten Israels Ansehen als Rechtsstaat.

Für Netanjahu weit wichtiger dürfte sein, ob es das Motiv der US-Regierung nicht auch sein könnte, die Koalition des in Washington unbeliebten Premiers mit den Vorwürfen gegen das Netzah-Yehuda-Bataillon zu spalten. Vor einiger Zeit hatte Außenminister Blinken schon Netanjahus Gegenspieler Benny Gantz zu halboffiziellen Konsultationen in Washington empfangen - zur übergroßen, aber vergeblichen Verärgerung des Premiers.

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