"Open Skies"-Abkommen:Dunkle Wolken am Horizont

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Vergeblich haben Deutschland und seine europäischen Partner versucht, US-Präsident Donald Trump noch von einer Kündigung des Open-Skies-Vertrages abzubringen. (Foto: Brendan Smialowski/AFP)

Washington will sich aus dem Open-Skies-Abkommen zurückziehen und gefährdet damit die weltweite Rüstungskontrolle.

Von Matthias Kolb, Brüssel, Paul-Anton Krüger und Georg Mascolo, Brüssel/München

Es ist kein Jahr her, da nahm die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Hamburg einen Airbus A 319 für die Bundeswehr entgegen. 26 Monate lang war die Maschine umgebaut worden, erhielt ausgefräste und verglaste Öffnungen an der Unterseite des Rumpfs. Durch sie können Spezialkameras Fotos machen, auch ein Infrarotsensor ist an Bord. Mehr als 20 Einsätze pro Jahr solle der Flieger über dem Territorium Russlands absolvieren und dabei eine Art legale Spionage betreiben, weshalb das Verteidigungsministerium neutral von einer "Beobachtungsplattform" spricht.

Der Open-Skies-Vertrag, 1992 ausgehandelt und 2002 in Kraft getreten, erlaubt solche Überflüge als vertrauensbildende Maßnahme. US-Präsident Dwight D. Eisenhower hatte der Sowjetunion schon 1955 derartige Missionen vorgeschlagen. Sie sollten die jeweilige Gegenseite überzeugen, dass die andere Supermacht keinen Angriff plane. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Niels Annen, sagte bei der Übergabe, der Open-Skies-Vertrag sei "eine unverzichtbare Säule der Rüstungskontrolle im OSZE-Raum".

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Doch seit Freitag ist fraglich, ob der deutsche Airbus noch lange über Russland fliegen wird. Die USA haben die nach dem Vertrag erforderliche offizielle Mitteilung hinterlegt, dass sie in sechs Monaten das Abkommen verlassen werden. Außenminister Mike Pompeo begründete die Entscheidung von Präsident Donald Trump damit, dass Russland "schamlos und fortgesetzt über Jahre den Vertrag in verschiedener Art und Weise verletzt hat". So wirft Washington Moskau vor, widerrechtlich Überflüge der russischen Enklave Kaliningrad verhindert zu haben, wo Russland nach Einschätzung der Nato Kurzstreckenraketen stationiert hat, die Atomsprengköpfe tragen können. Auch an der umstrittenen Grenze zwischen Russland und Georgien kam es zu Schwierigkeiten, weil Moskau die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien wie souveräne Staaten behandelt wissen wollte. Schon von 2005 an gab es Beschwerden, dass Russland seinen Verpflichtungen nicht gerecht werde.

Bis zuletzt hatte die Bundesregierung mit den europäischen Partnern darum gekämpft, Trump von einer Kündigung des Vertrags abzubringen. Im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt sieht man mit Sorge, wie Stück für Stück die gesamte Architektur der Rüstungskontrolle zusammenbricht. Anders als beim INF-Vertrag über die Begrenzung nuklearer Mittelstreckensysteme, wo auch aus europäischer und deutscher Sicht die Vertragsverletzungen Russlands eindeutig waren, sieht man beim Open-Skies-Abkommen zwar auch russische Vertragsverstöße. Und alle Versuche, dies in einer eigens eingesetzten Arbeitsgruppe namens "Small Group" zu lösen, scheiterten. "Implementierungsdefizite" nennen dies die Diplomaten. Bereits 2017 notierten sie: "Kein RUS Einlenken."

Daran hat sich nichts geändert, wie Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) einräumte. Es gebe "auf der Seite Russlands in der Tat Schwierigkeiten bei der Umsetzung". Dennoch "rechtfertigt dies aus unserer Sicht aber keine Kündigung". Das Abkommen trage "zu Sicherheit und Frieden auf praktisch der gesamten Nordhalbkugel bei". Man wolle sich mit "gleichgesinnten Partnern" dafür einsetzen, dass die USA ihre Entscheidung überdenken.

Die Außenminister von Belgien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden und Deutschland erklärten am Freitag gemeinsam, an dem Vertrag festzuhalten. Zugleich riefen sie Russland auf, in einen Dialog zu treten und zur vollständigen Umsetzung zurückzukehren.

Bei der Nato in Brüssel war der Schritt seit Monaten erwartet und befürchtet worden. Im Herbst hatten die USA Fragebögen an die Mitglieder der Allianz verschickt, um deren Meinung einzuholen. Auch wenn die Staats- und Regierungschefs in der Gipfelerklärung von Juli 2018 erneut "Russlands anhaltende selektive Umsetzung" kritisiert hatten, sieht die übergroße Mehrheit die Probleme als lösbar und die Vorteile des Vertrags als erheblich an.

Die Kontrollflüge, bei denen Russen neben Soldaten der Nato-Länder sitzen, trügen nicht nur zur Vertrauensbildung bei; über das Bildmaterial lasse sich zudem mit Moskau sehr offen reden, da die Quelle unstrittig sei, heißt es aus der Allianz. Am Nachmittag wurden die Nato-Botschafter per Videokonferenz von Marshall Billingslea, Trumps Sondergesandtem für Abrüstungsfragen, informiert. Klare Kritik an den USA wurde nicht geäußert, in einer Erklärung sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass die Nato weiter "ein konstruktives Verhältnis" zu Russland anstrebe, wenn Moskaus Handeln dies erlaube.

Als vergangenen Herbst Gerüchte auftauchten, dass Trump die Kündigung erwäge, schrieb Maas einen Brief an Pompeo. Mit Briten und Franzosen übersandten die Deutschen darüberhinaus eine Demarche, Botschafterin Emily Haber wurde im Weißen Haus vorstellig. Im März setzten die Europäer mit einem Brief nach - dieses Mal waren auch die Polen dabei. So sollte Washington demonstriert werden, dass auch die gegenüber Russland besonders skeptischen Osteuropäer keinen Ausstieg aus dem Abkommen wollen. Eine klare Zusage, auf die Kündigung zu verzichten, gab es nie, regelmäßige Nachfragen aus Berlin, wie es denn nun aussehe, beantwortete die US-Regierung hinhaltend.

Immerhin informierte sie diesmal die Vertragspartner über ihre UN-Vertretung in Wien und meldete sich auch beim Auswärtigen Amt, bevor die Kündigung in der New York Times stand. Anders als beim INF-Vertrag ist Open Skies mit dem angekündigten Ausstieg der USA nicht zwingend am Ende. 33 Vertragspartner wollen weitermachen - was zumindest weitere Kontrollflüge in Europa ermöglichen würde. Allerdings weiß niemand, wie Russland letztlich reagiert. Vorerst werde man alle Verpflichtungen erfüllen, sagte Vize-Außenminister Alexander Gruschko. Sein Kollege Sergej Rjabkow sagte, man sei zu Verhandlungen bereit. "Wir wollen aber nicht das akzeptieren, was in Washington formuliert wird." Wie ein Bekenntnis zum Vertrag hört sich das nicht an.

© SZ vom 23.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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