So fangen Kriege an, selbst, wenn niemand sie will. Die eine Attacke zu viel, die der Gegenseite keine andere Wahl lässt. Mehr als 170 Mal, so hat das Institute for the Study of War gezählt, haben proiranische Milizen seit Oktober US-amerikanische Stützpunkte im Irak und in Syrien angegriffen. Es ist der Schattenkrieg, den das iranische Regime seine Verbündeten führen lässt. In Solidarität mit den Palästinensern in Gaza, wie es heißt.
170 Mal kam bei den Angriffen kein US-Soldat ums Leben. Das änderte sich am Sonntag. Die US-Armee meldete, dass drei Soldaten getötet und mehr als 30 verletzt wurden, als mit Drohnen ein kleiner Außenposten an der jordanisch-syrischen Grenze angegriffen wurde. Zunächst hieß es, der Angriff hätte auf jordanischer Seite stattgefunden. Jordaniens Regierung dementierte das später und erklärte, die Attacke habe sich auf syrischem Boden ereignet.
Bisher hat der US-Präsident sehr vorsichtig auf die ständigen Provokationen reagiert
Tatsächlich ist die US-Armee auf beiden Seiten der Grenze präsent, die sich hier durch die Wüste zieht. Staatliche iranische Medien meldeten, der "irakische Widerstand" habe die USA in Syrien angegriffen, namentlich die Basis Al-Tanf, die in den vergangenen Wochen immer wieder zum Ziel geworden war.
Teheran distanzierte sich wie üblich von der Attacke, die Iraker handelten eigenständig. Aussagen, wonach Iran verantwortlich sei, entbehrten jeder Grundlage. Die iranischen Nachrichtenagenturen wollten sogar vernommen haben, dass anonyme US-Quellen die iranische Urheberschaft anzweifelten.
So klingt es seit Monaten aus Teheran. Die Angriffe ihrer Verbündeten - der Hisbollah auf Israel, der Huthi auf Schiffe im Roten Meer, der irakischen Milizen auf US-Einrichtungen - loben die Mullahs, wollen mit ihnen aber nichts zu tun haben. Man werde sich von Israel und den USA nicht zu einem Krieg provozieren lassen, das ist die Sprachregelung. All das, während das Regime die Anreicherung von Uran wieder hochgefahren hat. Und erst kürzlich mit einem Raketenschlag auf Nordwestsyrien demonstrierte, wozu es militärisch in der Lage ist.
Dass die Iraner keinen großen Krieg im Nahen Osten wollen, ist glaubwürdig. Sie haben dabei mehr zu verlieren als zu gewinnen. Andererseits nähern sie sich diesem Krieg gefährlich an. Mit dem Tod der drei amerikanischen Soldaten steht Präsident Joe Biden stark unter Druck. Biden hat bisher sehr vorsichtig auf die ständigen Provokationen reagiert. Jetzt fordert etwa der republikanische Senator Lindsey Graham, ein einflussreicher Außenpolitiker, Vergeltungsschläge gegen Iran. Man müsse die Ölinfrastruktur angreifen, so Graham.
Es ist Präsidentschaftswahlkampf - da kann es Biden sich nicht leisten, schwach zu erscheinen
Der US-Präsident teilte am Sonntag nur mit, man werde "die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen". Man kenne noch nicht alle Details, es sei aber sicher, dass "radikale, von Iran unterstützte militante Gruppen" hinter dem Angriff steckten. Für die USA ist es der größte Verlust seit dem Sommer 2021, als der IS auf dem Flughafen von Kabul 13 Soldaten tötete.
Der US-Präsident wird darauf reagieren müssen, und zwar in einer Art, die auch jene Länder im Nahen Osten beruhigt, die US-Basen beherbergen, etwa Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch innenpolitisch kann er es sich im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf nicht leisten, schwach zu erscheinen. Gerade beim Thema Iran werfen ihm die Republikaner genau das immer wieder vor. Andererseits wird Biden den Iranern auch signalisieren wollen, dass er an keiner Eskalation interessiert ist. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sagte am Montag in Washington: "Wir sind nicht auf einen Krieg mit Iran aus. Wir suchen nicht den Konflikt mit dem Regime auf militärische Weise." Man wolle keinen weiteren Krieg und keine Eskalation. "Aber wir werden das tun, was erforderlich ist, um uns zu schützen, um diese Mission fortzusetzen und um angemessen auf diese Angriffe zu reagieren."
Mehrere iranische Objekte in Syrien würden sich für einen Vergeltungsschlag der Amerikaner anbieten, darunter das "Glass House", eine Kommandozentrale der iranischen Revolutionsgarde nahe dem Flughafen von Damaskus. Israel hat schon Angriffe auf den Komplex geflogen. Auch andere Basen der Garden kämen infrage, dazu Ziele der proiranischen Milizen. US-Angriffe auf irakischem Boden wertet Teheran grundsätzlich als größere Eskalation als in Syrien.
Solange der Krieg in Gaza nicht endet, wird vermutlich auch der Schattenkrieg weitergehen
Bisher war es in diesem Schattenkrieg nicht so, dass Iran sich für amerikanische Luftschläge sofort gerächt hätte. Im November zum Beispiel ließ Biden mehrere Ziele der Revolutionsgarde in Syrien bombardieren, auch damals schon als Reaktion auf die ständigen Angriffe der Iran-treuen Milizen. Teheran schwor Rache, die blieb aber vage. Auf die gezielte Tötung eines Kommandeurs der Revolutionsgarde in Damaskus, mutmaßlich durch Israel, reagierte Teheran mit einem Raketenangriff auf das irakische Erbil. Ziel war angeblich ein Spionagezentrum der Israelis, es kamen allerdings nur irakische Zivilisten ums Leben.
Alles keine Signale, dass Iran einen großen Krieg sucht. Es droht, will seine Macht beweisen, den Rest lässt es seine Milizen erledigen. Trotzdem ist die Kriegsgefahr hoch, gerade jetzt, nach dem Tod der drei US-Soldaten. Die Stimmung ist angespannt, niemand weiß, wozu der nächste Angriff führt - und ob es den Konfliktparteien gelingt, halbwegs die Kontrolle zu behalten.
Solange der Krieg im Gazastreifen nicht endet, wird vermutlich auch der Schattenkrieg weitergehen. Fürs Erste wartet man in der Region darauf, welche Antwort Joe Biden dem iranischen Regime zukommen lässt.