Eine Nachricht, die in den turbulenten Tagen in den USA fast untergegangen wäre: Joe Biden hat seinen Keller verlassen. Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Demokraten hielt am Dienstag eine Rede in Philadelphia, in der er auf das Chaos im Land einging. Amerika kämpfe um seine Seele, sagte Biden. Es war eine ruhige Rede, in der es Biden vor allem darum ging, sein Mitgefühl und seinen Schmerz über den Tod von George Floyd auszudrücken, der in der vergangenen Woche von einem Polizisten getötet worden war.
Der Auftritt war auch deshalb bedeutsam, weil Biden seit Beginn der Corona-Krise im öffentlichen Diskurs so gut wie gar nicht vorkam. Wenn er zu sehen war, dann auf Videoaufnahmen im Keller seines Hauses in Delaware, wo sein Team ein provisorisches Fernsehstudio eingerichtet hat. Erstmals seit Wochen hat Biden den Bundesstaat Delaware nun verlassen. Das lässt sich lesen als programmatischer Entschluss: Fünf Monate vor der Wahl im November hat seine Kampagne begonnen.
Bereits am Sonntagnachmittag hatte Biden sich außerhalb seines Hauses gezeigt und mit Demonstranten gesprochen. Am Montag besuchte er eine nahe gelegene Kirche und traf führende Mitglieder der schwarzen Gemeinde. Zudem hat er am Montag eine Videokonferenz mit mehreren Bürgermeistern abgehalten, unter anderem mit denen von Atlanta, Minneapolis und Los Angeles. Dabei war er erkennbar darum bemüht, sich als Mann zu präsentieren, der zuhört, sich also als das Gegenteil von Donald Trump darzustellen.
Als Trump am Montag in seinem Gespräch mit den Gouverneuren von Jay Pritzker, dem demokratischen Vertreter aus Illinois, für seine harsche Wortwahl kritisiert wurde, blaffte der Präsident umgehend zurück: "Ich halte von Ihrer Wortwahl auch nicht viel." Zu exakt dieser latenten Aggressivität will Bidens Team einen Gegensatz herstellen.
Zunächst sollen sich Bidens Auftritte auf seine nähere Umgebung beschränken
Keisha Lance Bottoms, die Bürgermeisterin von Atlanta, sagte dem Magazin Politico: "Donald Trump hat unser Land und unsere Demokratie zu einem Spottbild gemacht. Wenn ich Joe Biden anschaue, dann sehe ich, dass er die Antithese zu allem ist, was Donald Trump an jedem einzelnen Tag repräsentiert." Biden sei dazu in der Lage, den Schmerz über den Tod von George Floyd zu fühlen und zu teilen und außerdem zu sehen, dass die Gründe für die Proteste im Land vielschichtig seien.
Bei seinem Treffen mit schwarzen Gemeindemitgliedern am Montag sagte Biden: "Es gibt viel, das sich ändern kann. Es gibt viel, das getan werden kann." Er stellte zum Beispiel in Aussicht, während der ersten 100 Tage seiner Präsidentschaft eine Art Aufsichtsgremium für die Polizei zu schaffen. Es gehe darum, Polizisten anders auszubilden, um künftig Polizeigewalt zu vermeiden.
Es wird erwartet, dass Biden in den kommenden Tagen und Wochen deutlich mehr in Erscheinung tritt als bisher. Zunächst sollen die Auftritte sich auf seine nähere Umgebung beschränken. Allmählich soll er auch wieder im Rest des Landes auf Menschen treffen. Wichtig sei es, so heißt es in seinem Team, dass er nun das Bild des Mannes abschüttelt, der tagein, tagaus in seinem Keller hockt, während das Land in seiner größten Krise seit Jahrzehnten steckt.