Tragödien können Politiker aus dem Amt hebeln, sie können Politikern aber auch Auftrieb geben. Das ist eine der zynischeren Wahrheiten des politischen Geschäfts. Gerhard Schröder blickt auch deshalb auf zwei Amtszeiten als deutscher Kanzler zurück, weil er sich beim Jahrhunderthochwasser im Sommer 2002 als Krisenmanager in Gummistiefeln präsentierte. Und George W. Bush führte anderthalb Jahre nach 9/11 einen nicht erst im Rückblick fragwürdigen Krieg im Irak. Beflügelt von der Zustimmung im eigenen Land, gegen den ausdrücklichen Willen internationaler Partner. Der Tod des amerikanischen Studenten Otto Warmbier könnte so ein Anlass sein, der einen wackelnden US-Präsidenten stärkt.
Alle Versuche Donald Trumps, sich aus der Russland-Affäre herauszuwinden, sind gescheitert. Trump ist tiefer verstrickt denn je, möglicherweise wird sogar wegen Behinderung der Justiz gegen ihn ermittelt. Zuletzt waren einer Reuters-Umfrage zufolge nicht einmal mehr 40 Prozent der Amerikaner mit Trump zufrieden, fast jeder vierte Wähler der Republikaner kritisierte die Arbeit seiner Regierung. Doch der Fall Warmbier könnte zur Heldengeschichte für den angeschlagenen Präsidenten werden. Trotz des bitteren Endes - vielleicht sogar gerade deswegen.
17 Monate war der Student in Nordkorea inhaftiert. In der vergangenen Woche durfte er dann in die USA ausreisen. Zuvor soll Trump persönlich Außenminister Rex Tillerson beauftragt haben, die Freilassung des US-Bürgers auszuhandeln. Unterstützung bekam der frühere Exxon-Mobile-Manager von der schwedischen Regierung, die vor Ort in Pjöngjang die Interessen der USA vertritt. Die Vereinigten Staaten unterhalten selbst keine diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea - allerdings könnte ein inoffizieller Botschafter Amerikas eine Rolle bei der Freilassung gespielt haben. So reiste Ex-Basketballstar Dennis Rodman in der vergangenen Woche in das abgeschottete Land. Es war bereits sein fünfter Besuch. Machthaber Kim Jong-un gilt als Fan des Sportlers, Rodman seinerseits hat Kim schon als "Freund fürs Leben" bezeichnet. Bei seiner Ankunft in Pjöngjang hatte der 56-Jährige angekündigt, "eine Tür öffnen" zu wollen.
Die Fotos vom Flughafen Cincinnati gingen um die Welt
Strippenzieher im Hintergrund war wohl jemand anders. CNN zufolge hatte bereits am 6. Juni Joseph Yun, ein Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums, in einem Gespräch mit dem Botschafter der nordkoreanischen UN-Mission vom schlechten Gesundheitszustand des Studenten erfahren. Die Familie Warmbier wurde informiert. Am 12. Juni reiste Yun dann mit einem medizinischen Team nach Pjöngjang. Nachdem der Sonderbeauftragte und zwei Ärzte zu Warmbier vorgelassen worden waren, beantragte Yun die sofortige Freilassung Warmbiers aus humanitären Gründen.
Als Warmbier am Flughafen seiner Heimatstadt Cincinnati ankam, wurde er von Sanitätern aus dem Flugzeug getragen. Die Fotos gingen um die Welt. Warmbier, der seinen Kopf nicht mehr aus eigener Kraft halten kann. In der Nase Schläuche einer Sonde, über die er offenbar zuletzt ernährt wurde. Es waren die ersten Bilder von Warmbier seit seinem Prozess im März 2016. Schon damals wurde der Weltöffentlichkeit ein gebrochener junger Mann vorgeführt: Schluchzend gestand Warmbier ein absurdes Verbrechen, bat um Verzeihung für den ihm zur Last gelegten "staatsfeindlichen Akt" - das Abreißen eines Propagandaplakates in seinem Hotel. Er wurde zu 15 Jahren in einem Arbeitslager verurteilt. Danach verschwand der Student von der Bildfläche, das Regime verweigerte sämtliche Besuche.