Ungarn:Die nächste Runde in Orbáns Schweden-Poker

Lesezeit: 2 min

Leere Sitze der Fidesz-Abgeordneten im ungarischen Parlament bei einer Sitzung zum Nato-Beitritt Schwedens. (Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Ungarns Ministerpräsident zögert den Nato-Beitritt des skandinavischen Landes weiter hinaus. Er braucht einen neuen Hebel für Verhandlungen in Brüssel.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die Fidesz-Fraktion des ungarischen Parlaments ist nach Diktat verreist. Sie trifft sich in Sopronbánfalva nahe der österreichischen Grenze, wo ein hübsch renoviertes Karmeliterkloster nicht nur Touristen, sondern auch die mehr als hundert Abgeordneten der Regierungspartei anzieht. Thema einer Arbeitsklausur soll der zurückliegende EU-Gipfel in Brüssel sein, der aus ungarischer Sicht nicht sonderlich gut gelaufen ist. Viktor Orbán ist eingeknickt.

Der Ministerpräsident war mit der Drohung zum Gipfel gereist, einer auf mehrere Tranchen aufgeteilte 50-Milliarden-Finanzspritze für die Ukraine nur zuzustimmen, wenn er ein jährliches Vetorecht bekomme. Er bekam es nicht.

Schwedens Nato-Beitritt hätte jetzt ratifiziert werden können

Nun muss er seinen Leuten bei dem Treffen in einem Vorort von Sopron erklären, was er der ungarischen Bevölkerung in seiner wöchentlichen Sendung auf Kossuth Rádió am vergangenen Freitag schon erklärt hat: Eigentlich sei das ein Sieg für Ungarn gewesen.

Seine Laune war während des Interviews allerdings miserabel, weshalb er ungehalten wurde, als die Moderatorin einen versöhnlich-diplomatischen Satz des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba zitierte. Der hatte gesagt, Ungarn sei "nicht prorussisch, sondern proungarisch."

Ungarn werde nie so tief sinken, sich von jemand anderem sagen zu lassen, wie und was es sei, motzte Orbán. Man brauche den "Koscher-Stempel" von Slawen nicht. (In der offiziellen, deutschen Übersetzung ist das Wort "koscher" durch "unbedenklich" ersetzt.)

Braucht einen neuen Verhandlungshebel: Viktor Orbán (Foto: Marton Monus/Reuters)

In Budapest haben Orbán und seine Leute derweil für leere Bänke im Parlament gesorgt. Dort trafen sich nämlich am Montag die Oppositionsparteien zu einer Sondersitzung, auf der eine Ratifizierung des Nato-Beitritts Schwedens hätte beschlossen werden können.

Budapest versucht, Stockholm unter Druck zu setzen

Orbán unterstützt diesen offiziell. Aber ohne die Fidesz-Fraktion, die eine Zweidrittelmehrheit hat, kann nichts ratifiziert werden. Auch wenn das, wie der Ministerpräsident nach der Ratifizierung des Beitritts durch die Türkei vor einer Woche zugesagt hatte, jetzt ganz oben auf der Agenda stehe.

Aber es wird weiter verzögert. Schweden müsse, hieß es bis vor Kurzem, seine ungarnkritischen Medien und Parlamentarier zurückpfeifen, die sich unzulässig und falsch über den Zustand der ungarischen Demokratie ausgelassen hatten; vorher gehe gar nichts.

Dann lud Orbán den schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson zu "Verhandlungen" nach Budapest ein, der lehnte dankend ab. Er komme gern mal zu Besuch, aber es gebe nichts zu verhandeln. Auch das wurde in den ungarischen Staatsmedien als diplomatischer Sieg verkauft. Orbán beteuerte, er werde auf das ungarische Parlament einwirken, sich mit der Sache zu befassen, auch wenn viele Abgeordnete noch Zweifel hätten.

Viele Medien hatten nach Orbáns Zusage, an Ungarn solle es nicht liegen, verfrüht getitelt, nun sei der Weg für Schweden frei. Aber die vielen leeren Reihen im prächtigen, neoklassizistisch gestalteten Sitzungssaal im Parlament zeigten den Abgeordneten der Opposition, wie viel ihre Sondersitzung wert war: nichts.

Teilen der Opposition ist das Verhalten der Regierung "äußerst peinlich"

Das Treffen war von der sozialdemokratischen MSZP initiiert, seine Einberufung von Parteien von links bis rechts, von DK, Momentum, Jobbik, Párbeszéd und LMP, unterstützt worden. Parlamentspräsident László Kövér, enger Vertrauter von Orbán, hatte die außerordentliche Sitzung auch wunschgemäß anberaumt, aber zugleich mitgeteilt, er sehe keine Dringlichkeit in der zu behandelnden Frage. Er befürworte den Nato-Beitritt Schwedens übrigens nicht.

Máté Kanász-Nagy von der liberalen LMP-Partei sagte dann am Montag, es sei "äußerst peinlich", wie der Beitritt Schwedens zur Nato verhindert würde. "Eine sinnvolle Erklärung hierfür wurde nicht gegeben." Das Parlament war dann aufgrund der Abwesenheit der Regierungsfraktion aber ohnehin nicht beschlussfähig.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWahl 2024
:Europas Rechte sortiert sich

Italiens Regierungschefin will offenbar Viktor Orbáns Fidesz-Abgeordnete in ihre Fraktion im EU-Parlament aufnehmen. Machtpolitisch ergibt das für beide Sinn.

Von Hubert Wetzel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: