Sie sei keine junge Frau mehr, sagt Michelle Bachelet, und sie wolle nach Hause, zu ihrer Familie, zu ihrem Land. Die 70-jährige Chilenin, die früher Ministerin und zweimal Präsidentin ihres Heimatlandes war, hat am Montag alle überrascht: Sie strebt keine zweite Amtszeit als Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen an, im August soll nach vier Jahren Schluss sein. Bachelet überbrachte die Nachricht ihres Rückzugs gleich zur Eröffnung der aktuellen Sitzung des UN-Menschenrechtsrats, die noch bis 8. Juli in Genf stattfindet: "Diese bedeutende 50. Sitzung des Menschenrechtsrats wird die letzte sein, an der ich Bericht erstatte", sagte sie. Später vor der Presse betonte sie, dass sie den UN-Generalsekretär bereits vor zwei Monaten darüber informiert habe, dass sie aufhören wolle. Die Entscheidung sei also "nichts Neues".
Bachelet ist nicht die erste Hochkommissarin, die nach einer Amtszeit hinschmeißt. Abgesehen von der Südafrikanerin Navi Pillay, die sechs Jahre blieb, sahen sämtliche Vorgängerinnen und Vorgänger Bachelets von einer zweiten Amtszeit ab. Doch der Zeitpunkt, den Bachelet für ihre Ankündigung wählte, wirft Fragen auf. Handelt es sich bei ihrem Rückzug um so etwas wie die übliche Amtsmüdigkeit? Oder geht es doch um ihren scharf kritisierten China-Besuch vor wenigen Wochen?
Die missglückte Reise ist nicht das einzige China-Problem der Chilenin
Michelle Bachelet war Ende Mai für sechs Tage in die Volksrepublik gereist - der erste Besuch einer UN-Menschenrechtskommissarin seit fast 20 Jahren. Doch statt klar und deutlich die gut belegten Menschenrechtsverstöße an der uigurischen Minderheit in der Region Xinjiang anzuprangern, hielt Bachelet sich diplomatisch zurück. Die chinesische Führung dagegen nutzte die Präsenz der hochrangigen UN-Vertreterin für Propagandazwecke und auch dafür, das eigene Narrativ von den nicht universellen, sondern national spezifischen Menschenrechten zu verbreiten. Menschenrechtsorganisationen und Vertreter von westlichen Regierungen kritisierten den Auftritt Bachelets heftig.
Denn die missglückte Reise ist nicht das einzige China-Problem der Chilenin. Schon seit Monaten wartet die Öffentlichkeit auf einen investigativen Bericht des Hochkommissariats zur Situation in Xinjiang, den Bachelet 2018 in Auftrag gegeben hat. Im Dezember teilte Bachelets Amt mit, dass der Report in einigen Wochen veröffentlicht würde - doch seither ist nichts geschehen. Beobachter vermuten hinter der Verspätung eine Einflussnahme Pekings. Am Montag fragte eine Journalistin Bachelet, ob der Bericht noch in ihrer Amtszeit veröffentlicht würde. "Ja", antwortete Bachelet knapp.
Trotz all ihrer Beteuerungen, ihr Rückzug sei persönlichen Gründen geschuldet: Der Druck auf die Menschenrechtskommissarin dürfte zuletzt enorm gewesen sein. Am Freitag machte ihr eigenes Amt ein Statement publik, in dem mehr als 40 UN-Menschenrechtsexperten und -Sonderberichterstatter Peking dazu aufriefen, vollumfänglich mit dem Menschenrechtssystem der UN zu kooperieren. Die Autorinnen und Autoren betonten zwar "den Wert eines konstruktiven Dialogs" und erinnerten in diesem Zusammenhang an Bachelets China-Reise. Solche Begegnungen ersetzten jedoch nicht "die dringend notwendige vollständige Beurteilung der Menschenrechtssituation im Land". Bislang sehe man in Peking jedoch keine Anzeichen politischen Willens, die Probleme wirklich anzugehen, schreiben die Verfasser - deutliche Worte, wie sie sich wohl viele von der Menschenrechtskommissarin selbst gewünscht hätten. Vielleicht findet ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger sie.