Kriegsgefahr in der Ukraine:"Vorbereitet auf das Schlimmste"

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trifft zu einer außerordentlichen Sitzung der EU-Staats- und Regierungschefs im Gebäude des Europäischen Rates ein. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/dpa)

In düsterer Stimmung berät die EU auf einem Sondertreffen über die Ukraine. Mit einem Signal großer Geschlossenheit ruft Europa Russland zur Deeskalation auf.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

In den Stunden vor dem Brüsseler Gipfeltreffen ist Ursula von der Leyens Terminkalender noch enger getaktet als sonst. Dass die Chefin der EU-Kommission am Donnerstagmorgen Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi empfängt, ist keine Überraschung. Der Autokrat weilt wegen des Gipfels der Staats- und Regierungschefs von EU und Afrikanischer Union (AU) in der Stadt, und zu bereden gibt es viel: Wirtschaftsbeziehungen, Menschenrechte, Energiefragen. Das Land liefert begehrtes Flüssigerdgas in die EU. Und auch der Klimaschutz ist ein Thema. Hier spielt Ägypten als Ausrichter der nächsten UN-Klimakonferenz eine wichtige Rolle.

Mit dem nächsten Gast, Tschechiens neuem Premier Petr Fiala, bespricht von der Leyen dann das Thema, das die Brüsseler Agenda seit Wochen dominiert und auch die zweitägige Konferenz mit der AU überschattet: Wie kann Russland von einer Invasion der Ukraine abgebracht werden? Deswegen hat Ratspräsident Charles Michel vor dem Start des EU-AU-Gipfels ein Sondertreffen angesetzt, damit die 27 Staats- und Regierungschefs die Lage beraten können. Dieses beginnt um 12.48 Uhr, und aus Sicherheitsgründen dürfen keine elektronischen Geräte in den Saal mitgenommen worden.

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Die düstere Stimmung beschreibt von der Leyen vorab so: "Wir hoffen auf das Beste, aber wir sind auf das Schlimmste vorbereitet." Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und US-Präsident Joe Biden weist sie die russischen Behauptungen zurück, man ziehe Truppen von den Grenzen der Ukraine ab. Man habe "bisher keine Anzeichen für Deeskalation vor Ort gesehen", sondern sehe, dass der Aufmarsch fortgesetzt werde. Nach einer Stunde ist die Sitzung vorbei, und Charles Michel berichtet von großer Geschlossenheit, unter den EU-27 und mit der Nato. Der Ratspräsident, der zuvor mit Präsident Wolodimir Selenskij telefoniert hat, bekräftigt die Unterstützung der EU für die Ukraine und ruft Russland zur Deeskalation auf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der über seine Reise nach Moskau informiert hatte, beschönigt die Lage nicht: "Da stehen genügend militärische Potenziale entlang der ukrainischen Grenze, in Belarus und auf der Meeresseite, die für eine Invasion erforderlich sind."

Über Details der Wirtschaftssanktionen, die man Russland für den Fall der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine androht, wurde nicht gesprochen. Die Kommission versichert, dass dieses Paket "bereit" sei. Koordiniert hat es von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert, der sich regelmäßig mit Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan und US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman abstimmt. Diese Telefonate sollen Moskau zeigen: Wir können sofort reagieren, falls "das Schlimmste" passiert, wie von der Leyen es formulierte. Sie verspricht auch: Die Energieversorgung für den Winter ist garantiert.

EU will Beziehungen zu afrikanischen Ländern verbessern

Am Nachmittag beginnt dann der sechste Gipfel zwischen EU und AU, der für Oktober 2020 geplant war, aber wegen der Pandemie verschoben wurde. Aus Afrika sind etwa 40 Staats- und Regierungschefs angereist; Brüssel will damit die zuletzt schwierige Partnerschaft "erneuern", wie es im Entwurf der Abschlusserklärung heißt. In blumigen Worten wird auf acht Seiten beteuert, etwa beim Kampf gegen illegale Migration, Terrorismus oder Klimawandel besser zusammenarbeiten zu wollen. Die EU wiederholt ihr Versprechen, bis zum Sommer 450 Millionen Dosen Covid-Impfstoff gespendet zu haben; daneben wollen Kommission, EU-Regierungen und Förderbanken "mindestens 150 Milliarden Euro" an Investitionen mobilisieren.

Das klingt gewaltig, konkret geht es aber nur um 37 Milliarden Euro an Fördermitteln bis 2027 plus 53 Milliarden Euro Kreditgarantien. Das soll dann mit privaten Geldgebern die 150 Milliarden Euro an Investitionen in Brücken, Datenleitungen oder grüne Energieprojekte ermöglichen. Die Kommission vermarktet dies als Teil ihrer "Global Gateway"-Initiative. Diese sieht die Mobilisierung von 300 Milliarden Euro Investitionen in Infrastruktur weltweit vor: Europas Antwort auf Chinas "Neue Seidenstraße". Brüssel möchte mit diesen Investitionen also nicht nur die Wirtschaft in Empfängerländern stärken, sondern auch den eigenen Einfluss - und den Pekings begrenzen, der gerade in Afrika gestiegen ist.

Zuletzt ärgerten sich afrikanische Regierungen über die Weigerung der EU, sich für eine Freigabe von Covid-Impfstoffpatenten einzusetzen. Über die entsprechende Formulierung in der Abschlusserklärung verhandelten Diplomaten noch am Donnerstag intensiv. Da die Teilnehmerzahl so hoch ist, tauschen sich die Spitzenpolitiker am Donnerstag und Freitagmorgen in Kleingruppen über verschiedene Themen aus. Kanzler Scholz sitzt unter anderem am runden Tisch zu Klimaschutz, Energiewende und Infrastruktur.

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