Vor Beitrittsverhandlungen:Schwaches Zeugnis für die Ukraine

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Um den Wiederaufbau der Ukraine geht es auf einer Geberkonferenz in London, an der Ursula von der Leyen teilnimmt. In Brüssel hat die EU-Kommission den Mitgliedsländern währenddessen einen Bericht über Reformfortschritte vorgestellt. (Foto: Henry Nicholls/Pool/REUTERS)

Die EU-Kommission ist mit den Fortschritten beim Kampf gegen Korruption und den Einfluss von Oligarchen nicht zufrieden. Auch US-Außenminister Blinken ermahnt Kiew bei einer Geberkonferenz.

Von Hubert Wetzel

Die Hoffnungen der Ukraine, noch in diesem Jahr Beitrittsgespräche mit der EU beginnen zu können, haben einen Dämpfer erhalten. In einem Zwischenzeugnis, das die EU-Kommission den Mitgliedsländern am Mittwoch in Brüssel vorstellte, werden in mehreren wichtigen Bereichen Reformmängel festgestellt. Insofern ist fraglich, ob die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen im Dezember beschließen werden, die Gespräche über eine Aufnahme der Ukraine in die Union offiziell zu eröffnen.

Das Zeugnis bewertet die Reformfortschritte der Ukraine in sieben Politikbereichen, in denen das Land die demokratischen und rechtsstaatlichen Standards der EU übernehmen muss. In zwei Bereichen, die die Justiz betreffen, werden dem Land gute bis sehr gute Ergebnisse bescheinigt, ebenso im Bereich Medien. Im Kampf gegen Korruption, gegen Geldwäsche, gegen den Einfluss von Oligarchen sowie im Umgang mit nationalen Minderheiten sieht die Kommission jedoch nur "geringe Fortschritte".

Für den Wiederaufbau ist entscheidend, dass Geld nicht in dunklen Kanälen verschwindet

Gerade diese Bereiche sind für den Beitritt allerdings zentral. Das kriegszerstörte Land wird in den kommenden Jahrzehnten Hunderte Milliarden Euro an Aufbauhilfe benötigen. Die Europäische Union wird einen wesentlichen Teil davon tragen müssen - erst recht, wenn die Ukraine Mitglied werden sollte. Und dieses Geld soll nicht in dunklen Kanälen oder auf den Konten von Oligarchen landen. Konkret fordert die Kommission daher, dass Kiew nicht nur härter, sondern auch kontinuierlicher gegen Korruption vorgeht, und das nicht nur in einigen wenigen spektakulären Fällen. Auch die Maßnahmen gegen Geldwäsche sollten verstärkt werden.

Die EU-Länder hatten die Ukraine im Juni 2022 zum Beitrittskandidaten erklärt. Die Regierung in Kiew fordert vehement den förmlichen Beginn der Verhandlungen in diesem Jahr - ebenso wie eine rasche Vollmitgliedschaft in der EU.

Das wenig enthusiastische Zwischenzeugnis stärkt nun jene EU-Länder, die vor überhasteten Beitrittsgesprächen warnen. Denn die Verleihung des Kandidatenstatus vor einem Jahr war wohl eher als politische Geste der Solidarität gemeint. Angesichts der massiven wirtschaftlichen Folgen, die ein Beitritt für die EU und die Ukraine bedeuten würde, rechnet in Brüssel niemand ernsthaft mit einer baldigen Aufnahme des Landes. Allerdings gibt es bei manchen EU-Staaten die Befürchtung, dass die Union sich wegen dieser Geste und angesichts des anhaltenden Krieges in der Ukraine gezwungen sehen könnte, auch die Entscheidung über die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen auf der Grundlage von politischen Erwägungen zu fällen - nicht aufgrund klarer Reformziele und -fortschritte.

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US-Außenminister Antony Blinken hat die Ukraine in dieser Woche ebenfalls zur Stärkung ihrer demokratischen Institutionen gemahnt. Nur so könne sie Investitionen für den Wiederaufbau des Landes und der Wirtschaft anziehen. Blinken nimmt in London an einer Konferenz für den Wiederaufbau der Ukraine teil, die an diesem Mittwoch begonnen hat. Bei der zweitägigen Konferenz geht es auch darum, Unternehmen von Investitionen in der Ukraine zu überzeugen. Um ihnen mehr Sicherheit zu bieten, will der britische Premier Rishi Sunak bei der Konferenz den Rahmen für eine von den G-7-Staaten gedeckten Kriegsrisikoversicherung schaffen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte auf der Konferenz an, dass die EU der Ukraine für den Wiederaufbau 50 Milliarden Euro von 2024 bis 2027 bereitstellen werde. Blinken stellte weitere 1,3 Milliarden Dollar aus den USA in Aussicht. 520 Millionen Dollar sollen demnach in eine Modernisierung des Energienetzes investiert werden.

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