Krieg in der Ukraine:Russische Armee unter Druck

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Hauptsache, überleben: In Swjatohirsk in der Region Donezk kocht eine Frau neben einer Kuppel, die vom Kirchturm geschossen wurde. (Foto: Evgeniy Maloletka/dpa)

Die Ukraine erobert strategisch wichtige Gebiete wieder zurück. Der Putin-treue Tschetschenen-Führer Kadyrow fordert Einsatz von "Atomwaffen mit geringer Sprengkraft".

Von Andrea Bachstein, München

Während Russlands Parlament, die Staatsduma in Moskau, am Montag die völkerrechtswidrige Einverleibung vierer ukrainischer Regionen in die Russische Föderation einstimmig ratifizierte, gerät Russlands Militär in der Ukraine offenbar unter wachsenden Druck durch die Verteidiger. Die Stadt Lyman im Norden des Gebiets Donezk sei vollständig befreit, teilte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij am Sonntag mit. Ukrainische Streitkräfte hätten zudem weitere Orte im Osten und im südlichen Gebiet Cherson wieder eingenommen. Ramsan Kadyrow, Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, verlangte angesichts der Entwicklung, Moskau solle den Einsatz taktischer Atomwaffen gegen die Ukraine erwägen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versicherte unterdessen der Ukraine Unterstützung, so lange, "wie es notwendig ist", wie er am Montag im Erfurt am Rande eines Festakts zum Tag der Deutschen Einheit sagte. Zuvor hatte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der ukrainischen Hafenstadt Odessa dem Land weitere Waffenlieferungen zugesichert.

Die Berichte über Fortschritte der ukrainischen Gegenoffensive kommen, kurz nachdem am Freitag Kreml-Chef Wladimir Putin die Annexion der teilweise von Russland eroberten ukrainische Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson feiern ließ. Aus diesen Gebieten meldeten die russischen Besatzer am Montag, die Ukrainer versuchten vielfach, die Frontlinien zu durchbrechen.

Für sie wächst mit der Kontrolle über Lyman die Chance, Richtung Luhansk vorzurücken. Beim ihrem Rückzug aus Lyman hätten die Russen hohe Verluste erlitten, äußerten britische Geheimdienste. Nach Einschätzung des US-amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) geht die Niederlage dort "mit ziemlicher Sicherheit" auf Putins Entscheidung zurück, den Frontabschnitt nicht zu verstärken.

Der Putin-treue Tschetschenien-Führer Kadyrow forderte, Russland müsse "drastischere Maßnahmen" ergreifen, "bis zur Verhängung des Kriegsrechts in den Grenzgebieten und zum Einsatz von Atomwaffen mit geringer Sprengkraft". Der für Lyman verantwortliche Generaloberst Alexander Lapin sei abzusetzen, man solle ihn degradieren und an die Front schicken, schrieb Kadyrow im Nachrichtendienst Telegram.

Probleme hat das russische Militär nach Einschätzung britischer Geheimdienste auch weiter mit der von Putin vor zehn Tagen angeordneten Teilmobilmachung. Eingezogene Reservisten würden in Zeltlagern versammelt, hieß es am Montag vom britischen Verteidigungsministerium. Dies deute darauf hin, dass das Militär Schwierigkeiten habe, die Rekrutierten auszubilden und Offiziere für neue Einheiten zu finden. Die Teilmobilmachung hat eine massenhafte Flucht russischer Männer in Nachbarländer und ex-sowjetische Staaten in Zentralasien ausgelöst.

Verteidigungsministerin Lambrecht kündigte bei ihrem ersten Ukraine-Besuch seit Kriegsbeginn an, bald werde eine erste Einheit des Luftabwehrsystems Iris-T SLM geliefert. Deutschland will der Ukraine zunächst vier dieser 140 Millionen Euro teuren Systeme zur Verfügung stellen. Nach ihrer Rückkehr sagte Lambrecht in Berlin der ARD, die Ukraine soll zudem nächstes Jahr 16 Zuzana-Radhaubitzen erhalten, die für Nato-Munition des Kalibers 155 geeignet sind. Die in der Slowakei produzierten Systeme würden von Dänemark, Norwegen und Deutschland finanziert.

Zu den Lecks in den Nord-Stream-Pipelines teilte der russische Staatskonzern Gazprom am Sonntag mit, sie seien behoben. Es ströme kein Gas mehr in die Ostsee, der Druck sei stabil. Sollte entschieden werden, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, könnte durch deren verbliebene zweite Röhre Gas gepumpt werden, wenn die Behörden die Funktionstüchtigkeit kontrolliert hätten.

Die am Samstag von Gazprom eingestellten Gaslieferungen nach Italien könnten laut dem Chef des italienischen Energiekonzerns Eni noch diese Woche wieder beginnen. Der Lieferstopp habe "nichts mit den geopolitischen Umständen zu tun", erklärte Eni-Chef Claudio Descalzi. Er liege daran, dass Gazprom 20 Millionen Euro für die Durchleitung durch Österreich hinterlegen müsse, die es bislang nicht gab.

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