Abkommen mit Tunis:Die EU wagt den Sprung nach Afrika

Lesezeit: 3 Min.

Tunesiens Präsident Kais Saied begrüßt EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. (Foto: -/AFP)

Tunesien soll Europas Partner gegen illegale Migration werden. Doch auch junge Tunesierinnen und Tunesier verlassen ihr Land in Scharen. Das Freundschaftsabkommen soll eine Trendwende sein.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Einen Tag nach der Unterzeichnung des Migrationsabkommens ist vielen Tunesiern weiterhin unklar, was genau in dem "Memorandum of Understanding" zwischen Tunesien und der Europäischen Union steht. Tunesische Medien sehen aber allein den freundlichen Empfang der Europäer im Präsidentenpalast von Tunis-Karthago als Beginn einer neuen Ära zwischen Europa und der südlichen Mittelmeerregion. Die Stimmung bei der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni und ihrem niederländischen Kollegen Mark Rutte war geradezu ausgelassen. Selbst Gastgeber Kais Saied wirkte gelöst wie selten seit seiner überraschenden Wahl in das Präsidentenamt vor vier Jahren.

Diese positiven Bilder waren vielleicht schon die wichtigste Botschaft des zweiten Besuchs des Trios in Tunis innerhalb von vier Wochen. In Tunesien fühlte man sich in den vergangenen Jahren von einem legalen Weg nach Europa und einer Jobsuche dort ausgeschlossen. Dazu trägt auch die seit der Corona-Pandemie andauernde Wirtschaftskrise in Tunesien bei. Selbst Tunesier aus dem Mittelstand überlegen mittlerweile aus Verzweiflung, mit Schlepperbooten illegal nach Europa einzureisen. Denn schon das Beantragen eines einfachen Touristenvisums hat so viele Hürden, dass viele glauben, in dem Schengenraum unerwünscht zu sein.

Kais Saied hatte das zunehmende Gefühl der Distanz zu Europa geschickt für seinen Wahlkampf und für sein Projekt zum Umbau der tunesischen Demokratie in eine Autokratie genutzt. Dass die von EU-Ländern versprochenen Kredite, die Tunesien vor dem Staatsbankrott retten sollen, an die von dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geforderte Wirtschaftsreform geknüpft worden waren, kritisierte der tunesische Präsident scharf, zumindest hinter verschlossenen Türen.

Die EU bietet eine Kooperation in fünf Bereichen an

Die Botschaft der Europäer vom Sonntag ist nun, dass Tunesien wieder näher an die EU herangeführt werden soll. "Wir müssen uns alle wieder mehr austauschen", sagte Ursula von der Leyen. Der Gastgeber wandte sich nach der Unterschrift besonders Giorgia Melone zu, die in diesem Jahr bereits das dritte Mal nach Tunis gereist ist. Saieds Rede blieb allerdings vage und freundlich; nur zu dem Überlebenskampf der von den Behörden an der libyschen und tunesischen Grenze ausgesetzten Migranten ging er ins Detail. Diese würden gut behandelt und mit Wasser und Nahrung versorgt, alle anderslautenden Berichte seien Propaganda und Fake News, so Präsident Saied. Das aus Brüssel und Rom angereiste Trio schaute in diesem Moment stur geradeaus.

Die EU bietet dem 12 Millionen-Einwohnerland Tunesien zukünftig eine Kooperation in fünf Bereichen an. Im Gegenzug will Kais Saied Tunesier, die illegal im Schengenraum leben und straffällig geworden sind, wieder zurücknehmen. Migranten aus Drittländern sollen nicht nach Tunesien abgeschoben werden können.

Die EU will dem unter einer langjährigen Wirtschaftskrise leidenden Tunesien bei der Reform der Landwirtschaft, bei Projekten gegen die Wasserknappheit und beim Anlocken von neuen Investoren helfen. Was mit dem Begriff "Reform der Wirtschaft" genau gemeint ist, bleibt allerdings unklar. Dies gilt auch für die Geldsummen, die dafür aus EU-Töpfen zur Verfügung gestellt werden.

Über ein Stromkabel bis Italien soll Solarenergie nach Europa fließen

Von der Leyen will Tunesien zudem zu einem Anbieter alternativer Energien machen. Mehr als 300 Millionen Euro zahlt Brüssel für ein bis 2025 zu verlegendes Stromkabel nach Italien, durch das Solarenergie nach Europa fließen soll. Tunesien soll damit in das europäische Stromnetz integriert werden. Ein Datenkabel nach Sizilien wird Tunis demnach zu einem Datenknotenpunkt zwischen Afrika und Europa machen.

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Im Gegenzug für Investitionen aus Europa sollen die tunesische Küstenwache und der Grenzschutz dafür sorgen, dass zukünftig noch weniger Boote ablegen. 105 Millionen Euro fließen dafür umgehend an die Sicherheitskräfte. Die Summe ist nicht - wie die 900 Millionen Wirtschaftshilfe - an eine Einigung über das Reformpaket mit dem Internationalen Währungsfonds geknüpft. Vertreter der Zivilgesellschaft kritisieren die bedingungslose Hilfe an die Sicherheitsbehörden scharf.

Gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Abkommens hatten Polizisten mehrere Migranten in der Hafenstadt Sfax aus ihren Häusern geholt und mit Bussen aus der Stadt gebracht. Migranten haben daher wenig Hoffnung, dass sich ihre Lage nun verbessert. 80 an der libyschen Grenze ausgesetzte Migranten aus Subsahara-Afrika konnten am Montag gerettet werden.

"Die Bevölkerung und Polizei will uns vertreiben. Was in dem Vertrag steht, spielt doch keine Rolle", sagt Mohamed Amin aus Omdurman im Sudan. Ihm fehlt das Geld, um nach Europa zu reisen oder in die Heimat zurückzukehren. Europa könne ihm doch zumindest ein Ticket in die Heimat schicken, sagt er.

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