Erdoğan in Berlin:Erdoğan und Scholz betonen Unterschiede bei Nahost-Frage

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Die Pressekonferenz mit Scholz ist der einzige Termin während Erdoğans Besuch, an dem sich die beiden Politiker öffentlich äußern. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Der Bundeskanzler verurteilt den Angriff der Hamas deutlich, der türkische Präsident bezieht klar Position für Palästina, die Hamas kritisiert er nicht. Trotz der Differenzen sei es wichtig zu sprechen, sagt Kanzler Scholz

Von Christina Lopinski und Leopold Zaak

Vor einem gemeinsamen Abendessen haben Bundeskanzler Olaf Scholz und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf den unterschiedlichen Blick hingewiesen, den sie auf die Lage im Nahen Osten haben. Daher sei es "gut, dass wir direkt sprechen", sagte Scholz in einer gemeinsamen Pressekonferenz beim Staatsbesuch Erdoğans.

Scholz verurteilte klar den Angriff der Hamas vom 7. Oktober auf Israel. "Wer Deutschland kennt", sagte er, "der weiß: Unsere Solidarität mit Israel ist nicht verhandelbar." Das Existenzrecht Israels sei unumstößlich sagte Scholz und spielte damit wohl auf Äußerungen Erdoğans von vergangener Woche an, in denen er das anzweifelte und dem Land "Faschismus" vorwarf. Scholz betonte auch, dass auch Opfer im Gazastreifen verhindert werden müssten. "Jedes Leben ist gleich viel wert", sagte er.

Erdoğan behauptete, dass die Welt nur über die Attacken der Hamas spreche, die Reaktion Israels und die Toten im Gazastreifen aber vernachlässigt würden. Gaza gebe es eigentlich nicht mehr, Israel habe es dem Erdboden gleichgemacht, sagte er. Es gebe 13 000 tote Palästinenser sowie auch Geiseln auf israelischer Seite - weder für die Zahlen noch für den Vorwurf, Israel habe Menschen verschleppt, legte er einen Beweis vor.

Beide Politiker betonten jedoch, sich in der Region für humanitäre Feuerpausen einsetzen zu wollen, Erdoğan sprach von einer Waffenruhe. Sollten Deutschland und die Türkei das erreichen, sagte Erdoğan, dann könne man die Region aus dem Feuer retten. Beide streben eine Zweistaatenlösung an.

Gemeinsame Positionen betonten Scholz und Erdoğan beim Krieg Russlands gegen die Ukraine. Scholz bedankte sich "ausdrücklich beim türkischen Präsidenten", für seine Vermittlung des Getreideabkommens im Zusammenhang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Aus dieser Vereinbarung hatte sich Russland im Sommer zurückgezogen. Man wolle alles dafür tun, dass es bald neue Regelungen zum Export von Getreide gebe, sagte der Bundeskanzler.

Auf der Pressekonferenz ging es auch um die Frage des EU-Beitritts der Türkei. Seit 1999 ist das Land Beitrittskandidat, 2005 begannen die Verhandlungen, 2016 wurden sie eingefroren. Erdoğan betonte, dass es wichtig sei, dass die Verhandlungen weitergingen. Man stehe seit mehr als 50 Jahren vor der Tür der Europäischen Union, werde aber nicht hereingelassen.

Erdoğan von Steinmeier empfangen

Im Januar 2020 war Recep Tayyip Erdoğan zum letzten Mal in Berlin. Anlass war eine Konferenz zum Konflikt in Libyen, Angela Merkel war noch Kanzlerin. Der globale Krisenteppich sah damals anders aus: In der Ukraine gab es noch keinen ausgewachsenen Krieg, der die Weltöffentlichkeit beschäftigte, sondern territorial begrenzte bewaffnete Auseinandersetzungen im Osten des Landes. Auch im Nahen Osten war es verhältnismäßig ruhig. Die schwierige Haltung Erdoğans zu Israel war deshalb kein Thema.

Erdoğan, der seit mehr als 20 Jahren in der Türkei an der Macht ist, ist wichtig für Deutschland und Europa. Auch, weil er bei vielen Konflikten eine Vermittlerrolle einnehmen könnte. Er redet beispielsweise noch mit Putin und verkauft gleichzeitig Drohnen an die Ukraine. Außerdem setzt er sich für Neuauflagen des Getreide-Deals ein, den Russland im Juli hat auslaufen lassen. Er ist Präsident eines Nato- und eines wichtigen Transitlandes für Asylsuchende, und Kontakte zur Hamas hat Erdoğan auch. Deutschlands diplomatische Bemühungen um die Freilassung der deutschen Geiseln waren bislang erfolglos. Ob sich das mit der Unterstützung des türkischen Präsidenten ändern könnte, wird sich zeigen. Scholz und Erdoğan kündigten an, darüber bei ihrem Abendessen sprechen zu wollen.

Am Freitagnachmittag wurde Erdoğan zunächst am Schloss Bellevue von Bundespräsident Frank-Walther Steinmeier empfangen. Die Pressekonferenz mit Scholz ist der einzige Termin während Erdoğans Besuch, an dem sich die beiden Politiker öffentlich äußern. Die Abreise ist noch für denselben Abend geplant.

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