Finnlands Nato-Beitritt:Nicht ohne Schweden

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Schwedens Premier Kristersson neben seiner finnischen Kollegin Marin. (Foto: Vesa Moilanen/AFP)

Auch wenn Erdoğan wütet und droht: Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin stellt mit ihrem schwedischen Kollegen Ulf Kristersson klar, dass beide Länder nur gemeinsam in die Nato eintreten wollen.

Von Alex Rühle, Stockholm

Fast schon romantisch klangen die beiden: "Wir sind gemeinsam auf dieser Reise", sagte er. Sie nahm das Bild wieder auf, als sie sagte, man trete "die Reise Hand in Hand" an. Als er dann nochmal sagte, er sei so froh und dankbar, dass sie sich "zusammen auf diesem Weg befinden", fehlten eigentlich nur noch Geigen. Stattdessen fragte eine Journalistin recht prosaisch, was denn nun sei, wenn sich die Türkei über Jahre hin querstelle, ob Finnland nicht irgendwann alleine losziehen müsse. Da wurde die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin sehr ernst und sagte, der Tonfall in der ganzen Debatte gefalle ihr nicht, Schweden sei nicht "das Sorgenkind der Klasse und auch kein Unruhestifter. Schweden ist unser Nachbar und wir respektieren einander sehr."

Marin war am Donnerstag nach Stockholm gekommen, um ihren schwedischen Kollegen Ulf Kristersson zu besuchen. Im Vorfeld betonten beide Regierungen, das sei ein ganz normales Arbeitstreffen, man wolle sich austauschen über die europäische Wirtschaftslage und Wettbewerbsfähigkeit, die Sicherheitspolitik und, ja, das natürlich auch, über den Stand der Nato-Bewerbung. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben Finnland und Schweden im Mai vergangenen Jahres ihre Mitgliedsanträge gemeinsam im Brüsseler Hauptquartier eingereicht. Bis auf Ungarn und die Türkei haben alle Nato-Partner das Ersuchen zügig ratifiziert. Ungarn will angeblich noch in diesem Monat seine Zustimmung geben. Die Türkei aber stellt sich querer denn je.

Am vergangenen Sonntagabend hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan gesagt, er könne sich vorstellen, nur Finnlands Nato-Antrag zu ratifizieren. Wörtlich sagte er: "Wir könnten Finnland eine andere Botschaft übermitteln. Schweden wäre schockiert, wenn es unsere Botschaft sieht. Aber Finnland sollte nicht denselben Fehler begehen wie Schweden". Was Erdogan als "Fehler" bezeichnet, ist die Weigerung Schwedens, 120 Personen auszuliefern, die in den Augen der türkischen Regierung allesamt "Terroristen" sind. Viele der Menschen, die auf dieser Liste stehen, sind schwedische Staatsbürger. Die Türkei hat mehrfach gesagt, dass sie einem Beitritt Schwedens nur zustimmen könne, wenn diese Menschen allesamt ausgeliefert werden.

Das Volk macht Druck: 53 Prozent der Finnen wollen nicht auf Schweden warten

Was Erdoğan in seinen Drohmonologen stets verschweigt: Im Juni vergangenen Jahres haben Schweden und Finnland mit der Türkei ein Memorandum abgeschlossen, um die türkischen Bedenken zu zerstreuen. Darin kommen beide Länder der türkischen Regierung sehr weit entgegen, was Terrorbekämpfung und künftige polizeiliche Zusammenarbeit angeht. Viele Schweden sind der Ansicht, ihre Regierung sei Ankara damit schon zu weit entgegengekommen.

Am vergangenen Montag, direkt nach Erdogans kaum verhohlener Drohung, Finnland alleine aufzunehmen, betonte der finnische Außenminister Pekka Haavisto, Finnland plane weiterhin, der Nato gemeinsam mit Schweden beizutreten, schließlich sei das Nachbarland "unser engster Verbündeter sowohl in der Verteidigungs- als auch in der Außenpolitik". Auf die Frage eines Reporters, wie lange Finnland noch auf Schweden warten werde, sagte er: "Wir haben Geduld."

Das trifft freilich längst nicht mehr auf alle Finnen zu. Finnland teilt eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland, nach dem russischen Überfall der Ukraine verdoppelten sich quasi über Nacht die Zustimmungsraten zu einer Nato-Mitgliedschaft. Am Donnerstagmorgen, kurz bevor Marin in Stockholm landete, veröffentlichte das in Helsinki ansässige Meinungsinstitut Taloustutkimus eine Umfrage, der zufolge 53 Prozent der befragten Finnen erklärten, ihr Land müsse sich jetzt mit seinem Nato-Antrag von Schweden unabhängig machen.

Ähnlich äußerte sich am Morgen der Politologe und Sicherheitsexeperte Charly Salonius-Pasternak, der am Finnischen Institut für Außenpolitik arbeitet und in einem Interview sagte, Finnland könne selbstverständlich auch ohne Schweden dem Verteidigungsbündnis beitreten. Marin betonte hingegen mehrfach in der Pressekonferenz, man werde bei der bisherigen Linie bleiben: "Finnland und Schweden haben sich gemeinsam beworben, und es ist im Interesse aller, dass wir gemeinsam der Nato beitreten."

Eine aufgehängte Erdoğan-Puppe, ein brennender Koran - Ankara wütet

Die schwedisch-türkischen Beziehungen sind in den vergangenen Wochen auf einen Allzeittiefpunkt gesunken: Erst war bei einer Demonstration in der Stockholmer Innenstadt eine Erdoğan-Puppe an den Füßen aufgehängt worden. In der Woche darauf verbrannte der dänisch-schwedische Rechtsextreme Rasmus Paludan in der Nähe der türkischen Botschaft einen Koran. Kurz danach stellte sich heraus, dass die Demonstrationsgebühren von Chang Frick, einem ehemaligen Mitglied der rechtspopulistischen Schwedendemokraten, gezahlt worden waren. Frick sagt, die Idee sei ihm gekommen, als die sozialistische Zeitschrift Flamman dazu aufgerufen hatte, Erdoğan-Karikaturen einzureichen, von denen einige erwartungsgemäß sehr obszön geraten sind.

Den Kontakt zwischen Frick und Paludan hatte der schwedische Rechtsradikale Christian Peterson hergestellt. Der lud ein Video der Koran-Verbrennung hoch und schrieb auf Telegram: "Wir haben es geschafft, Leute. Wir haben für 320 schwedische Kronen den Eintritt in die Nato gestoppt." Peterson arbeitet für das rechtsextreme Online-Medium Exakt 24, das enge Verbindungen nach Russland unterhält. Chang Frick ist bekennender Putin-Anhänger, weshalb viele die Koranverbrennung nun als Teil der hybriden Kriegsführung durch den Kreml sehen.

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Ob das nun stimmt oder nicht, Fakt ist, dass Paludans Aktion die schwedisch-türkischen Beziehungen belastet wie nichts zuvor. Sowohl die schwedische Botschaft in Ankara als auch das Generalkonsulat in Istanbul mussten schließen, der schwedische Außenminister, der Ankara besuchen wollte, wurde ausgeladen, das türkische Außenministerium hat eine Reisewarnung für "Länder in Europa" herausgegeben. Als Begründung nannte das Ministerium die starke Zunahme antitürkischer Proteste von "Gruppen mit Verbindungen zu Terrorgruppen", womit die verbotene und als Terrororganisation eingestufte PKK gemeint sein dürfte.

Die Situation könnte sich in den kommenden Wochen weiter zuspitzen: Paludan hat angekündigt, ab jetzt jeden Freitag einen weiteren Koran zu verbrennen, zwar jeweils vor der türkischen Botschaft in Kopenhagen. Paludan lebt in Dänemark, aber für die Erdoğan-treuen Medien in der Türkei ist er trotzdem weiter der schwedische Isam-Hasser. Am Mittwoch, dem Tag vor dem schwedisch-finnischen Gipfel, berichtete SVT Nyheter, eine türkische Hackergruppe namens Türk Hack Team habe der Zeitung eine E-Mail geschickt, in der sie drohten, "alle sensiblen persönlichen Daten der Schweden zu verbreiten, wenn Sie den Koran noch einmal entweihen".

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