Türkei:Rassist im Rathaus

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Etwa 3,7 Millionen Syrer leben in der Türkei, wie hier in Istanbul. Sie begegnen zunehmender Fremdenfeindlichkeit wie andere Migranten auch. (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Der Bürgermeister des türkischen Städtchens Bolu inszeniert sich ungeniert als Flüchtlingshasser. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Land, das weltweit die meisten Flüchtlinge beherbergt.

Von Tomas Avenarius, Bolu

Auch wenn es bitter ist für die Bewohner von Bolu: Ohne diesen Bürgermeister würde von ihrem Städtchen kaum einer reden. Aber bitter ist diese Geschichte ohnehin, für Bolu und für die Türkei. Ja, die nette, kleine Stadt auf halber Strecke zwischen Istanbul und Ankara ist bekannt für ihre herrlichen Berge, Wälder und Seen, türkische Touristen finden hierher für ein erholsames Wochenende in der Natur. Aber mittlerweile steht die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordwesten Anatoliens für etwas anderes: Bürgermeister Tanju Özcan gibt sich so ausländerfeindlich, dass er - und damit seine kleine Stadt - zum hässlichen Gesicht der Türkei wird.

Bolu mit seiner ewig langen, blitzsauberen Fußgängerzone - in der Mitte verläuft ein himmelblauer Fahrradstreifen - hat eigentlich nette Helden. Den Volkshelden Köroğlu etwa, den türkischen Robin Hood, sein Reiterdenkmal steht vor dem Rathaus, auf dem "Platz der Demokratie". Der "Sohn des Blinden" soll den Armen gegeben haben, was er den Reichen genommen hatte. Und er war der Legende zufolge mit der Saz, der türkischen Laute, ähnlich behände wie mit dem Säbel.

Aber heute schreibt in Bolu die Legenden ein anderer. Es ist der 2019 ins Amt gewählte Tanju Özcan. Der Bürgermeister behauptet von sich, auch ein Volksheld zu sein: "Ich weiß, dass mir in den sozialen Medien und auf der Straße 90 Prozent zustimmen", hat er der Zeitung Sözcü gesagt. Wozu? Bürgermeister Özcan verbietet den Syrern und Irakern, in Bolu Schilder in arabischer Schrift aufzuhängen. Er sagt: "Warum ich arabische Ladenschilder verbiete? Die sollen sich hier nicht wohlfühlen. Die sollen nicht denken, dass sie zu dieser Stadt gehören."

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Bei den Schildern bleibt es nicht. Özcan, ein Rechtsanwalt, will Nichttürken - und das sind in Bolu-Stadt mit seinen nicht einmal 250 000 Einwohnern nun einmal Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan - zehnmal so hohe Strom- und Wasserrechnungen schreiben wie Einheimischen. Bei Hochzeiten will er von den Migranten 100 000 Lira für die Registrierung, umgerechnet rund 7000 Euro. Türken zahlen 250 Lira, keine 20 Euro. Im Stadtrat bekommt der Bürgermeister Mehrheiten dafür.

Für die Süddeutsche Zeitung hat Özcan keine Zeit, er schickt seinen Stellvertreter Rasim Özdemir. Auch der betont: "Der Bürgermeister redet nicht nur für Bolu, er spricht für die ganze Türkei." Özdemir macht seinem Chef alle Ehre: "Zu den Flüchtlingen gibt es klar kulturelle Unterschiede. Sie stehen den Tag über in Gruppen auf der Straße herum, das ärgert die Menschen." Özdemir und sein Chef haben besonders die Syrer im Blick: "In Syrien ist Krieg. Warum gehen sie nicht zurück und kämpfen für ihr Heimatland? Stattdessen müssen wir unsere Armee schicken. Die Syrer leben in der Türkei, aber in Syrien sterben türkische Soldaten? Das missfällt den Bürgern, in Bolu und in der Türkei."

In der Türkei leben inzwischen 3,7 Millionen Syrer

Das mit den 90 Prozent Zuspruch in den sozialen Medien kann man glauben oder nicht. Aber der Bürgermeister zeigt sich so ungeniert als Flüchtlingshasser, dass die meisten Türken seinen Namen inzwischen kennen dürften. Und manche ihm offen zustimmen. Optikerin Nadire, die ihren Laden an der Flaniermeile hat, sagt, die Syrer starrten Frauen unverhohlen an. "Und dann, wie die aussehen und wie die sich bewegen - wie richtige Terroristen." Ihr Kollege weiß mehr: "Ich kenne einen Flüchtling, der fährt Mercedes. Und jetzt hat er noch einen Rover gekauft."

Özcan selbst schwadroniert in Interviews davon, dass die Flüchtlinge demnächst als Mafiosi Schutzgelder von türkischen Geschäftsleuten erheben würden. Und er behauptet, die weltweite Flüchtlingskrise sei "ein amerikanisches Projekt", um in imperialistischer Manier "die Türkei zu destabilisieren".

Man könnte all das als Einzelfall abtun, aber was in Bolu passiert, wirft ein Schlaglicht auf das Land. Eigentlich sind die Türken Migranten gegenüber offen: Das Land mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern beherbergt 3,7 Millionen Syrer. Hunderttausende Afghanen kommen dazu, außerdem Hunderttausende andere Illegale aus aller Welt: Mit mehr als fünf Millionen Ausländern ist die Türkei zur weltweit größten Flüchtlingsherberge geworden.

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Doch die Ausländerfeindlichkeit nimmt zu, ausgelöst vor allem durch die Wirtschaftslage. Die Wirtschaft wächst zwar wieder, aber die Inflation liegt bei mehr als 20 Prozent, die Lira hat in einem Jahr fast die Hälfte ihres Wertes verloren. Die Preise sind auch in der Türkei der Maßstab für den Normalbürger, der kein Aktiendepot pflegt, sondern beim Einkauf feststellt, dass die Tomaten mehr kosten, das Geld für Fleisch nicht reicht. Da wendet sich die Stimmung. Da findet einer wie Özcan Zuspruch.

Özcans Partei distanziert sich von seiner Haltung - offiziell jedenfalls

Özcan ist Mitglied der sozialdemokratisch ausgerichteten CHP, der wichtigsten nationalen Oppositionspartei. Auch die CHP achtet auf die Stimmung in der Bevölkerung. Sie weiß, dass für die jahrelang großzügige Flüchtlingspolitik Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verantwortlich ist. Der sagte vor einigen Monaten über die Syrer: "Solange wir an der Macht sind, werden wir die Gläubigen Allahs, die bei uns Zuflucht gesucht haben, nicht zurück in die Arme von Mördern schicken."

Offiziell fremdelt die CHP mit dem Bürgermeister. Bolus CHP-Vorsitzender Kazım Karsu sagt kleinlaut, Özcan verstoße mit seinen Schikanen "klar gegen türkisches Recht". Ein internes Verfahren laufe, "aber ein Parteiausschluss ist schwierig". Der lokale CHP-Häuptling Karsu weiß nur zu genau, was sein eigener Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu Anfang August gesagt hat, als er verfrüht in den Wahlkampfmodus verfiel: "Mein Wort an diese Nation ist: Ich werde alle, alle Flüchtlinge, in spätestens zwei Jahren mit Pauken und Trompeten zurück in ihre Heimatorte schicken." Da passt Bolus Bürgermeister Özcan gar nicht mehr so schlecht ins Bild.

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