Terrorismus:Türkei rätselt über Hintergründe des Anschlags

Lesezeit: 3 min

Polizisten sperren nach der Bombenexplosion am Sonntag in Istanbul den Tatort ab. Könnten Islamisten für den Anschlag verantwortlich sein? (Foto: Emrah Gurel/AP)

Eine junge Syrerin hat die Bombe in Istanbul gelegt - unwissentlich, sagt sie. Die Regierung macht den syrisch-kurdischen Arm der PKK und die USA verantwortlich, die rechte Opposition schürt die Ausländerfeindlichkeit.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Nach dem Terroranschlag auf der Istanbuler Einkaufsmeile İstiklal Caddesi besteht weiter Unklarheit über die Täter. Die türkische Regierung hatte zwar von Anfang an die türkische Kurdenorganisation PKK und deren syrischen Ableger YPG/PYD verantwortlich gemacht. Die PKK, die in der Türkei und in der EU als Terrororganisation geführt wird, hatte jedoch jede Verwicklung bestritten, ebenso die YPG/PYD. Der Bombenanschlag am vergangenen Sonntag im Zentrum von Istanbul hatte sechs Menschen das Leben gekostet. Von den mehr als 80 Verletzten befanden sich zwei im Verlauf der Woche noch in Lebensgefahr.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat war eine 23-jährige syrische Staatsbürgerin in Istanbul festgenommen worden. Sie soll der Polizei zufolge der YPG/PYD angehören oder zumindest nahestehen. Später kam es zu weiteren Festnahmen. Die Regierung, allen voran Innenminister Süleyman Soylu, hatte sofort den syrischen Ableger der kurdischen PKK verantwortlich gemacht.

Die Kurdenorganisationen erklärten dagegen, Ankara suche nur nach einem Vorwand für eine neue Militäroperation im Nachbarland Syrien. Einzelne türkische Beobachter hatten erklärt, dass einiges für ein Attentat vonseiten einer islamistischen Terrorgruppe spreche und nicht für einen kurdischen Anschlag.

Die türkische Armee hat bereits mehrere Operationen in den syrischen Kurdengebieten gegen die YPG/PYD unternommen. Reuters berichtete unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Offiziellen, dass die Regierung "in der einen oder der anderen Art" auf den Anschlag reagieren werde. Die Zustände im Nachbarland Syrien bedrohten die "nationale Sicherheit" der Türkei.

Immer noch ist wenig bekannt über die Hauptverdächtige

Unklar ist allerdings weiter, um wen es sich bei der Hauptverdächtigen eigentlich handelt. Die junge Syrerin war wenige Stunden nach dem Anschlag in ihrer eigenen Wohnung in Istanbul festgenommen worden; sie soll sich vor dem Anschlag bereits mehrere Monate in der Türkei aufgehalten haben.

Ihren eigenen Aussagen zufolge sei ihr die Tasche mit der Bombe von einem Freund gegeben worden, so die Polizei. Sie habe aber nicht gewusst, dass es ein Sprengsatz war. Auf Bitten des Freundes sei sie mit der Tasche auf die İstiklal-Einkaufsstraße gegangen, habe sich dort auf eine Bank gesetzt und in die Tasche geschaut. Sie haben darin ein Päckchen gesehen. Dann habe sie einen Anruf erhalten und sei angewiesen worden, die Tasche auf der Bank liegen zu lassen und wegzugehen. Sie sei in ein Geschäft gegangen und habe kurz darauf eine Explosion gehört.

Der Freund, ebenfalls ein Syrer, ist nach Polizeiangaben flüchtig. Unklar blieb auch, von wo in Syrien die Verdächtige gekommen ist. Zu Beginn hieß es vonseiten der Behörden, sie stamme aus Afrin, einer Stadt im syrischen Kurdengebiet. Später wurde erklärt, die Frau sei aus der Provinz Idlib angereist. Idlib ist die Hochburg der syrischen Rebellen. Die meisten der dort seit mehr als zehn Jahren gegen das Assad-Regime kämpfenden Aufständischen sind aber keine Kurden, sondern syrisch-arabische Islamisten und Dschihadisten.

Newsletter abonnieren
:SZ am Sonntag-Newsletter

Unsere besten Texte der Woche in Ihrem Postfach: Lesen Sie den 'SZ am Sonntag'-Newsletter mit den SZ-Plus-Empfehlungen der Redaktion - überraschend, unterhaltsam, tiefgründig. Kostenlos anmelden.

Auch die türkische Opposition schaltete sich ein. Sie warf Präsident Recep Tayyip Erdoğan Versäumnisse in seiner Sicherheitspolitik vor. "Im Kampf gegen den Terrorismus sind keine Fehler erlaubt", sagte Meral Akşener, Chefin der nationalkonservativen İyi Parti, im Parlament. Terroristen müssten ausgeschaltet werden, bevor "auch nur die Nase unserer Bürger blutet", so die einflussreiche Oppositionspolitikerin laut dpa. Die Regierung hätte nie dulden dürfen, dass eine "als Flüchtling getarnte Terroristin vier lange Monate illegal in unserem Land lebt".

In der Türkei wächst die Ausländerfeindlichkeit

Zugleich sprach die Oppositionspolitikerin von einer "unkontrollierten Migrationspolitik". Die türkischen Grenzen ähnelten einem "Sieb". Seit die Ausländerfeindlichkeit in der Türkei mit ihren mindestens 3,7 Millionen syrischen Flüchtlingen wächst, schlägt auch die Opposition immer wieder ausländerfeindliche Töne an. Das Attentat spielt ihr nun in die Hände.

Ali Babacan, Chef der Oppositionspartei Deva, nahm sich den türkischen Innenminister Soylu vor. Der Minister gebe im Zusammenhang mit dem Istanbuler Bombenanschlag keine Fehler zu, sondern versuche, anderen die Schuld zuzuschieben. Innenminister Soylu hatte die USA nach dem Attentat ungewöhnlich heftig angegriffen: Er hatte Washington für den Terrorakt mitverantwortlich gemacht und sich jede Beileidsbekundung der US-Regierung verbeten. Der Grund: Die US-Regierung hat mit den syrischen Kurden der YPG/PYD ein Bündnis geschlossen im Kampf gegen den "Islamischen Staat" und sieht diese nicht als Terrorgruppe an, sondern unterstützt sie und liefert ihr Waffen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Türkei
:Eine Bombe mit politischer Sprengkraft

Nach dem tödlichen Anschlag in Istanbuls Innenstadt präsentiert die Regierung eine Hauptverdächtige - und beschuldigt eine in Syrien aktive Kurdenmiliz, für das Attentat verantwortlich zu sein. Das bringt auch die USA in ein Dilemma.

Von Tomas Avenarius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: