Erdoğan in Kairo:Lass uns reden

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Abdel Fattah al-Sisi (re.) empfängt Recep Tayyip Erdoğan (li.) am Flughafen in Kairo. (Foto: Reuters)

Jahrelang hat sich Recep Tayyip Erdoğan geweigert, mit seinem ägyptischen Amtskollegen al-Sisi auch nur an einem Tisch zu sitzen. Jetzt besucht er ihn in Kairo - weil er Hilfe braucht.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Abdel Fattah al-Sisi kam sogar zum Flughafen, um den Gast abzuholen, der sich in Ägypten schon lange nicht mehr hatte blicken lassen. Seit 2011, genauer gesagt, da war al-Sisi noch nicht im Amt. Und so stand der ägyptische Staatschef am Mittwochnachmittag an der Treppe, über die Recep Tayyip Erdoğan seiner Boeing 747 entstieg. Mit fast identischen Sonnenbrillen, Modell "Aviators", schritten die beiden den roten Teppich entlang - immerhin schon mal eine Gemeinsamkeit.

Viel verband die beiden Politiker nicht in den vergangenen Jahren. Manche türkische Medien wunderten sich vor dem Besuch in Kairo: Was wohl vorgefallen sei, dass Erdoğan den ägyptischen Amtskollegen nur noch brav mit "Herr Präsident" anspreche? Frühe habe Erdoğan für al-Sisi doch andere Namen benutzt. Diktator. Tyrann. Putschist. Killer. Nie werde er sich auch nur an einen Tisch mit al-Sisi setzen, ließ Erdoğan wissen.

Gern dagegen zeigte der Türke das Rabia-Zeichen, eine Hand mit vier gestreckten Fingern, nur den Daumen eingeklappt. Es ist das Symbol der Ägypter, die 2013 für ihren gewählten Präsidenten Mohammed Mursi auf die Straße gingen - den General al-Sisi soeben aus dem Amt geputscht hatte. Al-Sisi ließ deren Protestcamp auflösen. Seine Sicherheitskräfte töteten dabei mindestens 800 Menschen, manche schätzen die Opfer auf mehrere Tausend. Für Erdoğan war es ein Einschnitt. Mit dem Putsch in Kairo war es auch mit seinen Hoffnungen vorbei, er könne im Nahen Osten eine führende Rolle spielen - im Bündnis mit islamisch-konservativen Staatschefs wie Muslimbruder Mursi.

Al-Sisi hat sich an die Macht geputscht - für Erdoğan gibt es kaum Schlimmeres

Putschist - aus Erdoğans Sicht gibt es wenig schlimmere Beleidigungen, immerhin hat er selbst im Jahr 2016, drei Jahre später, einen Putschversuch überstanden. Immer wieder sagte der türkische Präsident, wie verstörend er es fände, dass sich der Westen mit al-Sisis Herrschaft abfand. Nebenbei war dieser Umstand für Erdoğan auch immer Bestätigung, dass man dem Westen nicht trauen könne.

Jahrelang sprach die Türkei nicht mit Ägypten, beide Länder zogen ihre Botschafter ab. Beste Verbindungen dagegen pflegte Erdoğan weiterhin zur Hamas, den palästinensischen Freunden der Muslimbrüder - der Intimfeinde al-Sisis. Die türkische Armee kämpfte in Libyen an der Seite der dortigen Regierung, gegen General Haftar, den al-Sisi unterstützte. Jahre vergingen, Erdoğans Groll blieb. Noch 2019 sagte er ein Dinner bei den Vereinten Nationen in New York ab, weil al-Sisi daran teilnahm. Und heute? Verliert Erdoğan über all das kein Wort mehr. Zum ersten Mal gab er al-Sisi dank katarischer Vermittlung die Hand, im November sahen sich Erdoğan und al-Sisi in Riad.

Die Türkei braucht dringend Investoren

Ägypten ist für die Türkei nur eins der Länder, mit denen man wieder bessere Beziehungen haben will. Saudi-Arabien ist ein anderes, die Vereinigten Arabischen Emirate. Auch die Europäer, selbst der schwierige Nachbar Griechenland. Bald, glauben viele, könnte Erdoğan gar den syrischen Diktator Baschar al-Assad treffen, einen anderen, den er Killer genannt hat. Die Liste könnte fortgesetzt werden. Es war um die Türkei einsam geworden.

Dem türkischen Journalisten Murat Yetkin ist klar, wer sich bewegt hat. "Nicht Griechenland hat sich verändert, nicht Ägypten", schrieb Yetkin diese Woche. "Die Türkei hat sich verändert." Was sich in einem Wort erklären lasse: die Wirtschaft. Erdoğans Versöhnungstour habe damit zu tun, dass sein Land dringend Investoren braucht. Und Partner wie Ägypten, mit dem sich zum Beispiel kooperieren lässt, was die Gasreserven im östlichen Mittelmeer betrifft. Auf 15 Milliarden US-Dollar wolle man das Handelsvolumen erhöhen, sagte Erdoğan später am Nachmittag, als er mit al-Sisi vor die Presse trat.

Dabei war die Wirtschaft das eine Thema, die Situation in Gaza das andere. Kurz vor Erdoğans Ankunft landete in Ägypten ein türkischer Militär-Airbus, darin Hilfsgüter für Gaza. In dem Krieg inszeniert sich Erdoğan mal wieder als Anführer, als Stimme der Solidarität mit den Palästinensern - in Gegnerschaft, mal wieder, zum Westen. Auch Abdel Fattah al-Sisi will im Konflikt zwischen Israel und der Hamas vermitteln - und in jedem Fall vermeiden, dass der Krieg die Menschen aus dem Gazastreifen über die Grenze nach Ägypten treibt. Erdoğan sagte, ein solches Szenario sei "völlig inakzeptabel".

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Erdoğan und al-Sisi zeigten sich einig, dass Israel den Krieg beenden müsse. Man stehe gemeinsam "mit den ägyptischen Brüdern für ein Ende des Blutvergießens", so der türkische Präsident. Al-Sisi forderte einen Waffenstillstand. Allerdings verbindet den Türken und den Ägypter auch, dass beide ihre diplomatischen Beziehungen zu Israel trotz aller Rhetorik nicht abgebrochen haben. Anders als zueinander, damals 2013. Erdoğan hatte sich vor dem 7. Oktober sogar mit Benjamin Netanjahu getroffen, er wollte einen Neuanfang auch mit Israel. Nicht ausgeschlossen, dass er nur auf den nächsten israelischen Premier wartet, um den Gesprächsfaden mit Jerusalem wieder aufzunehmen. Im Zugehen auf alte Gegner ist er aktuell gut in Form.

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