US-Justiz:Das ungeschriebene Gesetz

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Unter Eid nicht die Wahrheit gesagt. Aber nachdem er 25 000 Dollar Strafe gezahlt hatte, war alles wieder gut: Präsident Bill Clinton 1998 im Weißen Haus. (Foto: J. Scott Applewhite/AP)

Warum bisher weder ein amtierender noch ein aus dem Amt geschiedener US-Präsident je rechtlich belangt wurde.

Von Reymer Klüver

Für Amerikas Präsidenten gilt ein ungeschriebenes Gesetz. Sie können eigentlich kein Unrecht tun, jedenfalls kein strafwürdiges Verbrechen begehen, solange sie im Weißen Haus residieren. Das war schon bei George Washington so, und bei Donald Trump ist es nicht anders gewesen. Präsidenten können impeached werden, also vom Repräsentantenhaus, der unteren Kammer des US-Kongresses, angeklagt und gegebenenfalls vom Senat, dem Oberhaus, verurteilt und ihres Amtes enthoben werden - was aber ebenfalls noch nicht geschehen ist. Wie man es zuletzt auch bei Trump erleben konnte.

Der Republikaner wurde als bisher einziger Präsident wegen erkennbarer Rechtsbrüche gleich zwei Mal Ziel eines Impeachment-Verfahrens, wurde aber vom Senat aus politischen Gründen freigesprochen: Die Demokraten hatten nicht genug Stimmen für die erforderliche Zweidrittelmehrheit zusammen. Vor einem ordentlichen Gericht musste noch nie ein amtierendes US-Staatsoberhaupt erscheinen. Da genießen die Präsidenten de facto Immunität. Das wird rein pragmatisch damit begründet, dass sie sonst vermutlich ständig mit Gerichtsverfahren beschäftigt wären und keine Zeit mehr für eine ordentliche Amtsführung hätten.

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Etwas anderes ist es, wenn die Präsidenten aus dem Amt geschieden sind. Rechtlich gesehen haben sie dann keinen anderen Status als alle anderen Amerikanerinnen und Amerikaner auch. "Rein formal gesehen", so schrieb der Jurist Paul Rosenzweig ein paar Monate, ehe am 6. Januar 2021 ein gewalttätiger Mob auf Antreiben Donald Trumps das Kapitol stürmte, im Magazin Atlantic Monthly, "gibt es kein rechtliches Hindernis für die Anklage eines Präsidenten nach seiner Amtszeit."

Der Republikaner Rosenzweig weiß, wovon er redet. Er war Ende der 1990er-Jahre im Juristenteam, das mit der Untersuchung möglicher Verfehlungen des damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton beauftragt war. Es ging unter anderem um dessen sexuelle Eskapaden im Weißen Haus. Vor Ende seiner Amtszeit gestand Clinton sogar, dass er darüber unter Eid die Unwahrheit gesagt, also Meineid begangen hatte. Doch belangt wurde er dafür nie. Mit der Zahlung von 25 000 Dollar an die Staatskasse war die Sache erledigt.

Einzige Ausnahme: ein Ticket fürs Rasen mit dem Pferdewagen

Auch für Ex-Präsidenten galt bisher also eine Regel, die zwar nirgendwo schriftlich fixiert war, aber an die sich alle hielten. Selbst nach dem Ausscheiden aus dem Amt müssen sie sich für mögliche Verfehlungen juristisch nicht rechtfertigen. Keiner der bisher 44 Amtsinhaber vor Trump wurde je angeklagt. Dafür gibt es ebenfalls rein pragmatische Überlegungen, wie Rosenzweig seinerzeit schrieb. Demokraten wie Republikaner sähen das als eine Garantie dafür, dass die "Übergabe der Macht von einer Partei an die andere friedlich" verlaufen wird. An diese Grundlage hat sich Trump bekanntlich nicht gehalten, als er das Ergebnis der jüngsten Präsidentschaftswahl zu seinen Gunsten verändern wollte.

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Eine kleine Ausnahme, was die Strafverfolgung amtierender Präsidenten angeht, hat es allerdings schon gegeben. Die Angelegenheit liegt aber schon anderthalb Jahrhunderte zurück. Sie traf den Bürgerkriegshelden Ulysses S. Grant. Der Ex-General war 1869 ins Weiße Haus gewählt worden. Drei Jahre später stoppte ein schwarzer Polizist ihn in Washington in seinem Pferdegespann und verwarnte ihn, weil der Präsident zu schnell unterwegs gewesen war.

Als er ihn tags darauf wieder mit überhöhter Geschwindigkeit erwischte, nahm er Grant, so die Anekdote, mit den Worten fest: "Sie sind Chef der Nation, und ich bin nichts als ein Polizist. Aber Pflicht ist Pflicht." Der Präsident, ein Republikaner, musste mit auf die Wache, wo seine Personalien festgestellt wurden und er brav 50 Dollar Strafe zahlte. Dieses Rechtsverständnis dürfte Donald Trump fremd sein.

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