Proteste in Amerika:Bad Cop Trump

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Ich, Donald: US-Präsident Trump als Graffito des Künstlers Dugudus in Paris. Er kniet auf dem Hals von George Floyd, in einer Hand die Bibel. (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Masha Gessen erklärt, wie weit Donald Trump die Demokratie in den USA schon ausgehöhlt hat. Ihre Analyse ist klar und scharf, ihre "Regeln zum Überleben" formuliert sie allerdings wie eine Aktivistin.

Rezension von Matthias Kolb

Dass Sachbücher zu aktuellen Themen in der Zeit zwischen Abschluss des Manuskripts und Veröffentlichung teils von der Realität überholt werden können, gehört zu den Risiken des Genres. Geht es um Donald Trump, ist dies quasi unvermeidbar. "Autokratie überwinden", das neue Buch von Masha Gessen, hat allerdings durch die vergangenen Wochen an Relevanz nur gewonnen: Die US-Autorin beschreibt darin, wie weit Trump im Bestreben gekommen ist, die Demokratie auszuhöhlen und appelliert an die Bürger, mit einer neuen Sprache und höheren "moralischen Ansprüchen" zu kontern.

Wieso der US-Präsident Anfang Juni friedliche Demonstranten von der Polizei aus dem Lafayette-Park vertreiben ließ, damit er vom Weißen Haus zur nahe gelegenen Kirche stolzieren konnte, um mit einer Bibel zu posieren, wird nach der Lektüre des Buches klarer. Kaum ein Verb verwendet er während der Black-Lives-Matter-Protesten öfter als "dominieren"; es geht ihm darum, Kontrolle auszuüben.

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In ihrem Buch "The Art of Her Deal" schreibt eine Journalistin der Washington Post, die First Lady habe sicherstellen wollen, dass der gemeinsame Sohn Barron mit den anderen Trump-Kindern gleichgestellt ist.

Gessen hat 20 Jahre aus Moskau berichtet und ihr Sachbuch "Die Zukunft ist Geschichte" über Wladimir Putin erhielt viele Preise. Russlands Präsident und Trump, denen sie "kleingeistige Mittelmäßigkeit" bescheinigt, verbinde eines: "Beide sind ehrgeizig in dem Sinne, dass sie immer noch mächtiger und wohlhabender werden wollen, aber keiner will besser werden oder auch nur diesen Anschein erwecken."

Ihre Verachtung für Trump verbirgt Gessen nie. Zwei Tage nach dessen Wahlsieg 2016 veröffentlichte sie im New York Review of Books den Essay "Autokratie: Regeln zum Überleben", aus dessen sechs Thesen nun das Buch entstand. Auf ihre Zustandsbeschreibung "Nachrichten über Trump mögen uns zwar noch schockieren, aber überraschen kann uns das alles kaum noch" folgt eine angenehm komprimierte Schilderung von dessen Präsidentschaft.

Gessen ist überzeugt, dass Bürgern und Journalisten das Vokabular fehlt, um die aktuellen Vorgänge zu beschreiben. Lügen als solche zu benennen, wäre ein Anfang. Ähnliches habe sie in den Neunzigerjahren in Osteuropa erlebt, weshalb sie auf einen Intellektuellen aus der Region verweist. Der ungarische Soziologe Bálint Magyar hat das Konzept des "postkommunistischen Mafia-Staats" entwickelt, in dessen Zentrum ein Mann sitzt, der Macht und Geld verteilt. Wie in Viktor Orbáns Ungarn geschehe der Umbau der Demokratie langsam. Laut Magyar folgt auf den "autokratischen Versuch" der "autokratische Durchbruch", der dann konsolidiert werde.

Gessen beschreibt, wie das politische System der USA über Jahre anfällig wurde für einen "autokratischen Versuch". Zur wachsenden "Machtkonzentration in der Exekutive und der Ehe von Geld und Politik" und sozialer Ungleichheit kommt seit 9/11 und dem "Krieg gegen den Terror" das Gefühl der Bedrohung von außen. Trump ist also weniger Ursache als Symptom.

Auf eine These kommt sie oft zurück: "Die Institutionen werden euch nicht retten." Wieso das US-System aber etwa in Trumps zweiter Amtszeit kollabieren würde, erläutert sie kaum. Gessen kritisiert die Republikaner, die weder an die Verfassung noch an die Interessen ihrer Wähler denken würden: Sie "performen" nur für Trump, damit dieser nicht per Tweet die Basis mobilisiert. Loyalität ist alles für einen Autokraten, und Trump hat bewiesen, dass er mangelnde Gefolgschaft bestraft.

Masha Gessen: Autokratie überwinden. Aus dem Amerikanischen von Henning Dedekind und Karlheinz Dürr. Aufbau-Verlag, Berlin 2020. 299 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro. (Foto: Aufbau-Verlag)

Mit vielen Beispielen arbeitet Gessen heraus, wie der Präsident durch seine Rhetorik das "Wir" immer kleiner macht. Muslime, Migranten, Schwarze und die LGBT-Community haben keinen Platz in Trumps Amerika, das eine Idealwelt für gesunde, weiße heterosexuelle Männer sein solle. Zentral ist der Hinweis, dass Trump jene am härtesten attackiert, die wie der Bürgerrechtler John Lewis an Amerikas hohe moralische Ansprüche erinnern. Die Popularität der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez erklärt Gessen nicht mit deren linken Vorschlägen, sondern mit der Vision eines besseren und gerechten Amerikas.

"Militante Inkompetenz"

Schwierig wird die Lektüre immer dann, wenn Gessen zwischen der Rolle der Analystin und jener der Aktivistin wechselt. Auch sie nutzt oft das Wort "wir", doch damit ist nur das progressive Amerika der Küsten und Uni-Städte gemeint. Den Versuch, die Trump-Wähler zu verstehen, unternimmt sie nicht. So klingt ihr Appell, die Institutionen mit Moral neu aufzuladen, nicht nach etwas, was die polarisierte US-Gesellschaft zusammenführen könnte.

Macht Corona Trumps Abwahl wahrscheinlicher? Gessen ist pessimistisch: Covid schürte weltweit "die Angst vor ,den anderen' und führte zur Schließung von Grenzen." Dies nutze Trump, heißt es im letzten Kapitel. Im Interview mit The Nation sagte sie, dass dessen "militante Inkompetenz" schon lange unübersehbar war. Weil die bekannten Regeln längst nicht mehr gelten würden, blickt sie zurück auf die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts: "Wenn Leute in Angst und Terror leben, dann ist das ideal für einen Anführer wie Trump."

© SZ vom 15.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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