Syrien:Wenn die Zukunft vertrocknet

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Blick über den Euphrat: ein Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens nördlich der Stadt Raqqa. (Foto: Rodi Said/Reuters)

In Ostsyrien müssen die Menschen neben dem Krieg auch katastrophalen Wassermangel ertragen. Schuld haben der Klimawandel und die Türkei.

Von Thore Schröder, Beirut

Als der Krieg 2013 nach Raqqa kam, war Abdel Fattah al-Mishwar dankbar für das Land, das ihm sein Vater hinterlassen hatte: eineinhalb Hektar Ackerfläche direkt am Euphrat, zwei Kilometer östlich der Stadt, weitere fünf Hektar in einiger Entfernung zum Fluss. "Als Lehrer hatte ich meine Arbeit verloren wegen der Kämpfe, außerdem wurde die Stadt ja ständig beschossen", erinnert sich der 49-Jährige. Wie schon sein Vater baute er Baumwolle, Weizen und Gerste nahe dem Ufer an, er zog auch Gemüse, auf dem anderen Land erntete er Weizen. So überstanden er, seine Frau und die acht Kinder die Zeit, in denen die Terrorbewegung Islamischer Staat (IS) in Raqqa ihre Hauptstadt einrichtete und die Koalitionstruppen dort bombardierten. "Ich dachte, wir hätten Glück", sagt al-Mishwar.

Am Ende eines langen Arbeitstags ist er per Whatsapp zu erreichen, er spricht langsam, klingt müde. Fast kann man die Trockenheit aus seiner kehligen Stimme hören. Mehrere Monate im Jahr steigt das Thermometer jeden Tag über 40 Grad in seiner Gegend. "Seit zwei Jahren haben wir fast keinen Regen mehr hier erlebt", sagt al-Mishwar. 2020 waren es 50 Millimeter Niederschlag, früher hatte es 350 bis 400 Millimeter gegeben. Die Fläche abseits des Flusses benötigt unbedingt Regen. "Ich habe 100 Prozent meiner Investitionen dort verloren: Saatgut, Pflugmiete, Dünger, Ertrag", sagt al-Mishwar. Davor sei die Arbeit bereits schwierig gewesen, weil durch die Kämpfe Feuer ausbrachen, die Ernten vernichteten. Doch die Krise jetzt ist längerfristig, strukturell.

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Um zumindest das Leben seiner Familie zu sichern, hat Abdel Fattah al-Mishwar ein Drittel seiner Fläche am Euphrat verkaufen müssen: "Das andere Land ist nichts mehr wert." Auch am Fluss wird der Anbau schwieriger. Er sagt: "Gurken wachsen dort nicht mehr."

Abed al-Khalaf, Agraringenieur in Raqqa, kann die Ausführungen bestätigen. "Die Bauern in unserer Gegend verlieren mit ihren Ernten auch ihre Futtermittel", erklärt er bei Whatsapp. Eben noch Einnahmequelle, werden die Tiere dann zur Belastung. "In der Dürre frisst ein Schaf ein anderes", zitiert er ein syrisches Sprichwort. Verschärft wird die Lage durch trockenheitsbedingte Plagen: Baumwollwürmer, Pilze, Unkraut. Seit Anfang des vergangenen Jahres ist der Euphrat geschrumpft, sagt al-Khalaf und schickt zum Beweis ein Video: In der Mitte des Stroms sind begraste Inseln zu sehen. Der Rückgang des Wassers ist selbst für den unwissenden Betrachter nachvollziehbar.

Die Wassernot führt auch zu weniger Strom - ein Teufelskreis

Die Schuld liegt neben der schlimmsten Dürre seit 70 Jahren flussaufwärts: "Die Türken leiten nicht genug Wasser an uns weiter", sagt Abdel Fattah al-Mishwar. Tatsächlich kontrolliert das nördliche Nachbarland die Quellen des Euphrats und seiner Nebenflüsse. "Die Türkei leidet selbst an einer langwierigen Dürre", sagt Wim Zwijnenburg von der niederländischen NGO Pax. Das Land hält Wasser mit Dämmen zurück, um eigene Bedürfnisse zu stillen. Nördlich der Grenze werden durstige Pflanzen wie Baumwolle und Mais kultiviert. "Ich glaube nicht, dass es ein Plan ist, die Selbstverwaltung zu bestrafen, obwohl die Türkei vielleicht nicht so unglücklich ist über diesen Effekt", sagt Zwijnenburg. Der Nordosten Syriens wird von den Syrian Democratic Forces (SDF) regiert, einer kurdischen Gruppierung, die der mit Ankara verfeindeten PKK nahesteht.

Einst galt das Gebiet als Kornkammer Syriens. 70 Prozent des Weizens kam aus den Provinzen Hasaka, Raqqa und Deir az-Zor. Nun verschärft die dortige Dürre den Hunger im ganzen Land. In dem Gebiet unter kurdischer Verwaltung leben fünf bis sechs Millionen Menschen, 600 000 von ihnen sind Binnenvertriebene. Verschiedene Hilfsorganisationen warnten vor Kurzem vor der Katastrophe: Zwölf Millionen Menschen in Syrien und dem Irak sind von der Dürre existenziell gefährdet.

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"Viele Menschen leiden an direkt oder indirekt vom Wassermangel bedingten Krankheiten wie Leishmaniose, Cholera, Durchfall und auch Corona", erklärt Franziska Jörns. Die Deutsche ist für Care vor Ort im Einsatz. Die Hilfsorganisation versucht, die Folgen des Wassermangels aufzufangen, etwa durch den Bau von Pumpen und Sanitäranlagen. "Der Wassermangel führt auch dazu, dass immer weniger Elektrizität geliefert wird, weil die Wasserkraftwerke stillstehen", sagt Jörns, "viele Bewohner haben nur noch zwei Stunden Strom täglich. Auch Krankenhäuser und Gesundheitszentren sind davon betroffen." Weil das Wasser oft nicht mehr aus der Leitung kommt, sind viele Gemeinden auf Tanklaster angewiesen. Doch das gelieferte Wasser wird immer teurer. "Ein Liter in einer Flasche abgefülltes Wasser kostet bereits mehr als ein Liter Diesel", weiß Jörns.

Für Abdel Fattah al-Mishwar bleibt nur die Hoffnung: "Dass es bald doch noch mehr regnet." Andernfalls müsse er sich einen neuen Job suchen, um seine Schulden zu begleichen - oder emigrieren. "Viele meiner Bekannten sind schon gegangen, nach Libanon, in die Türkei und nach Europa", sagt er. In seinen Lehrerjob kann al-Mishwar nicht mehr zurück: "Der brächte mir heute noch 30 bis 40 Dollar pro Monat. Das ist zu wenig."

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