Syrien:Die Mittel der Diplomatie im Syrien-Krieg sind erschöpft

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Trauer in den Trümmern Aleppos: Die Bombardements sind seit mehr als einer Woche heftig, die Tochter dieses Mannes kam dabei um. (Foto: Karam al-Masri/AFP)

Russland kanzelt das amerikanische Ultimatum zu Syrien als "emotionalen Ausbruch" ab. In Washington wird indes Plan B durchgespielt: die Rebellen besser zu bewaffnen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Sergej Riabkow hatte eine doppelte Botschaft im Gepäck, als er am Morgen in Moskau vor die Presse trat: Zum einen kanzelte der russische Vizeaußenminister das amerikanische Ultimatum zu Syrien ab als "emotionalen Ausbruch". Zum anderen erklärte er, Moskau sei zu einer 48-stündigen Waffenruhe für humanitäre Zwecke bereit - ein Signal, dass Moskau die Gespräche mit Washington aufrecht erhalten will.

Am Abend zuvor hatte US-Außenminister John Kerry seinen Kollegen Sergej Lawrow wissen lassen, die USA würden alle Kontakte nach Moskau in der Syrien-Frage einstellen, wenn das Bombardement des von Rebellen gehaltenen Ostteils Aleppo nicht unverzüglich gestoppt werde.

Dort sind seit Beginn der syrisch-russischen Großoffensive vergangene Woche Hunderte Zivilisten getötet und wiederholt Krankenhäuser bombardiert worden. Auch am Donnerstag gab es heftige Luftangriffe im Raum Aleppo.

Ein letzter Versuch für eine diplomatische Lösung aus Washington

Der scharfe Ton aus Washington, so sehen es Kerrys Kritiker im eigenen Land, wird den Kreml kaum beeindrucken. "Keine Tête-à-Têtes mit Seeblick mehr in Genfer Fünfsternehotels", ätzte Senator John McCain mit Blick auf Kerrys Treffen mit Lawrow, da werde Präsident Wladimir Putin bestimmt "seine Bärenjagd abbrechen" und das Ende der Luftangriffe befehlen.

Indes ist Kerrys Drohung nur der eine, öffentlich verbreitetet Teil der Gleichung - und ein letzter Versuch, auf diplomatischen Wege das Töten zu stoppen und wieder zu einer Waffenruhe zu kommen. Deutlich vernehmbar werden in Washington aber andere Optionen durchgespielt, der "Plan B", von dem Kerry schon das eine oder andere mal geredet hatte. Darunter an vorderster Stelle die Lieferung "besserer Ausrüstung" an die Rebellen. Gemeint sind Waffen, mit denen sie sich besser gegen die Offensive verteidigen könnten. Das ist zunächst eine Drohkulisse, um Moskau zum Einlenken zu bewegen, aber sie könnte sehr schnell Realität werden.

Ganz oben auf der Wunschliste der Rebellen finden sich schultergestützte Luftabwehrraketen, die zumindest tiefer fliegenden Hubschraubern des Regimes gefährlich werden könnten. Diese Waffen sind die Amerikaner nach wie vor nicht bereit zu liefern. Sie fürchten, dass diese sehr mobilen Systeme in falsche Hände gelangen und für Anschläge verwendet werden, etwa auf Zivilflugzeuge, die bei Start und Landung äußerst verwundbar sind. Offen ist, ob und wie lange sich Regionalstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder die Türkei an Vereinbarungen mit den USA gebunden fühlen, solche Waffen nicht zu liefern.

Gezielte Angriffe auf Assad mit Marschflugkörpern sind dem Weißen Haus zu gefährlich

Erwogen wird in Washington aber, "weniger mobile" Luftabwehrsysteme zu liefern, ohne dass Regierungsmitarbeiter bisher erläutern, was gemeint ist. Auch Panzerabwehrraketen vom Typ Tow könnten bald wieder in größerer Zahl zu den Rebellen finden. Mit ihnen hatten sie erfolgreich die erste Welle von Bodenoffensiven der Regierungstruppen abgewehrt, nachdem Russland vor einem Jahr mit der Luftwaffe und später auch mit Spezialeinheiten am Boden intervenierte. Zuletzt waren die Lieferungen weitgehend eingestellt worden, klagten Rebellen-Kommandeure.

Gezielte Angriffe etwa mit Marschflugkörpern gegen Präsident Baschar al-Assads Luftwaffe dagegen gelten dem Weißen Haus weiter als zu riskant, auch weil dabei russische Soldaten gefährdet werden könnten. Präsident Barack Obama bekräftigte auf dem Armee-Stützpunkt Fort Lee in Virginia seine Skepsis: Er sehe "kein Szenario, in dem wir einen Bürgerkrieg stoppen können, ohne dass wir eine große Zahl von Soldaten entsenden", um dann genau dies erneut auszuschließen mit Blick auf Afghanistan und den Irak, wo noch Tausende US-Soldaten stationiert sind.

Die maßgeblich von Kerry vertretene Grundlage der US-Politik zu Syrien war mindestens seit Beginn der russischen Intervention, dass Moskau den Krieg militärisch ebenso wenig gewinnen kann wie die Rebellen - und die Annahme, dass dies Präsident Putin und Russlands Militärführung bewusst ist. Das eröffnete nach Kerrys Ansicht die Chance einer diplomatischen Lösung, in die Russland dann Assad zwingen müsste.

Die Offensive in Aleppo weckt Zweifel an Russlands Interessen

Einiges sprach dafür, etwa die auch von russischen Militäranalysten geteilte Ansicht, dass Assads Armee nicht in der Lage ist, das ganze Land zurückzuerobern. Und das von Kerry und vielen westlichen Diplomaten unterstellte Interesse Moskaus, schon wegen der Krise der russischen Wirtschaft und des Afghanistan-Traumas Dauer und Umfang der Intervention überschaubar zu halten. Zugleich gingen sie davon aus, dass es Putin, mehr als um Assads Machterhalt, um den Status Russlands gehe - darum, wieder als Großmacht und entscheidender Akteur der Weltpolitik anerkannt zu werden.

Zumindest an den ersten beiden Annahmen weckt die Offensive in Aleppo große Zweifel. Russland hat jüngst wieder Erdkampfflugzeuge vom Typ SU-25 nach Syrien verlegt, die dazu ausgelegt sind, Bodentruppen zu unterstützen. Das werten einige in der US-Regierung als Zeichen, dass Moskau Assad unterstützen will, einen militärischen Sieg zu suchen. Oder zumindest einen Zermürbungskrieg, bei dem die Zivilbevölkerung in Rebellengebieten ausgehungert und ausgebombt wird, bis die Rebellen kapitulieren, wie bei der Belagerung von Homs oder jüngst im Damaszener Vorort Daraya.

© SZ vom 30.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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