Südkorea:Oppositionsführer im Hungerstreik

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Lee Jae-myung hat seit 18 Tagen nichts mehr gegessen. Parteifreunde drängen ihn dazu, den Hungerstreik zu beenden. (Foto: KIM HONG-JI/REUTERS)

Der komplette Verzicht auf Nahrung ist als letztes Mittel gegen Willkür nichts Außergewöhnliches - auch nicht in Südkorea, wo Lee Jae-myung seit 18 Tagen nichts mehr gegessen hat. Einiges deutet darauf hin, dass er seine Ziele verfehlen wird.

Von Thomas Hahn, Seoul

Der Sonntag war für den südkoreanischen Oppositionsführer Lee Jae-myung der 18. Tag im Hungerstreik. Ihm geht es den Umständen entsprechend, also nicht so gut. Anfangs veranstaltete Lee sein Protestfasten gegen die konservative Regierung in einem Zelt vor dem Nationalparlament in Seoul, mittlerweile ist er so geschwächt, dass er in sein Abgeordneten-Büro umgezogen ist. Parteifreunde von der Demokratischen Partei (DP) drängen ihn, aufzuhören. Aber so einfach ist das nicht, denn Präsident Yoon Suk-yeol reagiert einfach nicht. Kein Einlenken, nirgends. Ist Südkoreas Politik mittlerweile so herzlos, dass man dort selbst die Lebensgefahr des Gegners hinnimmt?

Der Hungerstreik ist ein altes Hausmittel gegen Macht und Willkür. Der indische Freiheitskämpfer und Asket Mahatma Gandhi etablierte ihn in den 1930er-Jahren gegen die britischen Kolonialherren als letzte Lösung des edlen, gewaltfreien Aufstands. Als solche setzte er sich auch in Südkorea durch. Hannes Mosler, Professor für sozialwissenschaftliche Ostasienstudien an der Universität Duisburg-Essen, kann Beispiele von Hungerstreiks aufzählen, die in den Achtzigern zur Demokratisierung des Landes beitrugen. "Ein Hungerstreik von Politikern ist in Südkorea nichts Außergewöhnliches", sagt er. Der des Oppositionschefs Lee ist trotzdem nicht normal. Mosler nennt ihn "grotesk".

Lee hat Probleme. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Korruption vor

In der Tat fehlt Lee Jae-myung diese gandhihafte Selbstlosigkeit, die einen Hungerstreik erst wirkungsvoll macht. Lee ist ein linksnationalistischer Populist, der schon als Bürgermeister von Seongnam, später als Gouverneur der Provinz Gyeonggi mit seiner zupackenden Art auffiel. In der DP eroberte er die Position des Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im März 2022 und lieferte sich mit dem heutigen Regierungschef Yoon einen Wahlkampf, der eher einer Schlammschlacht glich. Lee verlor knapp, wurde DP-Chef - und hat jetzt Probleme. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Korruption aus seiner Zeit als Bürgermeister vor. Sie hätte Lee längst ins Gefängnis gesteckt, wenn seine Partei nicht im Parlament für seine Immunität als Abgeordneter gestimmt hätte.

Jetzt will Lee Jae-myung eine gute Figur machen. Die politischen Voraussetzungen dafür sind günstig. Yoon ist ein Machtmensch ohne Gespür für gesellschaftliche Wirklichkeiten, und die DP hat noch mindestens bis zur nächsten Parlamentswahl im April 2024 die Mehrheit in der Nationalversammlung. Mit kluger Oppositionspolitik könnte Lee viel erreichen. Stattdessen spielt er den hungernden Helden - und zwar nicht sehr geschickt. Lees Forderungen sind so umfangreich und vage, dass keiner weiß, was genau seinen Streik beenden könnte. Unter anderem soll Yoon sich dafür entschuldigen, dass er Südkoreas Demokratie beschädigt, und sein Kabinett umbilden.

Die Regierung bewegt sich nicht nur nicht - sie hat dem Streikenden nicht einmal einen Höflichkeitsbesuch abgestattet, wie sich das sonst immer gehörte. In der Vergangenheit sind Hungerstreikende, auf die niemand hörte, nach 45 bis 61 Tagen gestorben. Lee Jae-myung hat also noch Zeit. Trotzdem reicht es. Ein ausgezehrter Oppositionsführer ist das Letzte, was Südkorea gerade gebrauchen kann.

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