Prozess um Stuttgart 21:Wer soll das bezahlen?

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Baustelle seit 14 Jahren: Der neue Hauptbahnhof in Stuttgart. In den nächsten Wochen soll sich klären, ob wenigstens ein Teil Ende 2025 eröffnet werden kann. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 könnte am Ende rund 11,5 Milliarden Euro kosten - sieben Milliarden Euro mehr als gedacht. Ein Gericht muss jetzt die Frage klären, ob die Bahn die Mehrkosten allein übernehmen muss.

Von Roland Muschel, Stuttgart

Vor dem Gerichtsgebäude verteilen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 an diesem Aprilnachmittag einen Flyer mit zwei Karikaturen. Auf der ersten Abbildung: ein Sockel, darauf fünf Männer, die in die Kamera lächeln. Auf dem Sockel werden sie als "Die Projektpartner" von S21 ausgewiesen. Auf der zweiten Karikatur: das gleiche Bild, diesmal von hinten. Jeder der Männer, die in der Frontalansicht auf gute Partnerschaft machen, hat hinterrücks ein Messer gezückt.

Drinnen, im größten Sitzungssaal des Verwaltungsgerichts Stuttgart, geben die Projektpartner tatsächlich nicht das beste Bild ab. Die Deutsche Bahn AG als Bauherr hatte sich 2009 mit dem Land Baden-Württemberg, mit der Stadt sowie der Region Stuttgart und mit dem Stuttgarter Flughafen auf die Finanzierung des damals auf maximal 4,5 Milliarden Euro taxierten Vorhabens verständigt, Risikopuffer inklusive. Inzwischen liegen die Kostenangaben aber bei bis zu 11,5 Milliarden Euro, eine Steigerung um sieben Milliarden Euro.

Nun ist die große Frage, wer für diese enorme Summe aufkommen soll. Die Bahn findet: sicher nicht sie allein. Sie hat deshalb mit diversen Tochterunternehmen die Projektpartner auf Mitfinanzierung verklagt. Die jedoch finden, dass sie schon genug bezahlt haben. Und dass sie auch gar nicht in der Lage wären, die geforderten Summen so einfach nachzuschießen. Die Klage würde die Stadt Stuttgart mit bis zu 1,3 Milliarden Euro treffen, sagt der Anwalt der Stadt. Dann müsste Stuttgart seine Investitionstätigkeit "weitgehend einstellen". Den Flughafen würde die Klage mit knapp 600 Millionen Euro treffen, sagt der Anwalt des Airports. Das wäre "existenzbedrohend". Auch die Bahn, kontert deren Anwalt, sei finanziell "nicht auf Rosen gebettet".

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Das Projekt sollte einmal "die Zukunftsfähigkeit Deutschlands" beweisen

Der Bau von S21 sollte mal für etwas Großes stehen, für nichts weniger als "die Zukunftsfähigkeit Deutschlands". So hatte es die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2010 intoniert. Die Argumente der Befürworter überzeugten bei der Volksabstimmung 2011 dann auch eine Mehrheit der Baden-Württemberger. Beim Geld jedoch endet die Einigkeit.

Bereits 2016 hatte die Bahn gemeinsam mit Tochterunternehmen Klage eingereicht. Auf die DB-Gesellschaften entfällt dem Finanzierungsvertrag zufolge rund ein Drittel der dort geregelten Kosten in Höhe von maximal 4,5 Milliarden Euro. Sie wollen nun nicht hundert Prozent der Mehrkosten tragen.

Es ist ein kompliziertes Verfahren, das sich nicht zuletzt um die Deutung der sogenannten Sprechklausel dreht. Im Finanzierungsvertrag von 2009 steht nämlich ein Satz, der nur auf den ersten Blick klärt, wie man verfahren will, wenn die Kosten 4,5 Milliarden Euro überschreiten. Dort heißt es: "Im Falle weiterer Kostensteigerungen nehmen die Eisenbahn-Infrastruktur-Unternehmen und das Land Gespräche auf."

Nur, was heißt das? Bedeutet Gesprächs- auch Zahlungsbereitschaft, weil man sonst ja nicht reden müsste? So sehen es die Kläger. Oder ist die Formulierung bewusst so offen gewählt, weil das Land explizit keine weitere Verpflichtung eingehen wollte? So argumentieren die Beklagten. Kein Wunder, dass die 2014 aufgenommenen Sprechklausel-Gespräche scheiterten, woraufhin die Bahn ihre Klage einreichte.

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Wann der Bahnhof eröffnet wird, steht immer noch nicht fest

Zu Beginn des vierten Verhandlungstages muss erst einmal das Rubrum korrigiert werden, die Auflistung der Kläger ist etwas überholt. Beim Kläger Bahn ist als Vertreter noch Rüdiger Grube aufgeführt, der seit Februar 2017 nicht mehr Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG ist. Zwei ebenfalls klagende DB-Töchter sind inzwischen zu einer verschmolzen, auch das muss korrigiert werden, samt neuer Anschrift: Adam-Riese-Straße. "Rechnen können sie eh nicht", spottet ein Veteran der Anti-S21-Proteste in den gut gefüllten Zuschauerrängen. Dann geht es wieder um Hilfsanträge und Hilfswiderklagen, um juristische Feinheiten im Milliardenstreit.

Man habe nun viel Beratungsbedarf, erklärt der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern am Ende des vierten Verhandlungstages. Möglicherweise kommt es am 7. Mai zu einem Urteil, das die unterlegene Seite aber ziemlich sicher anfechten wird. Der Rechtsstreit dürfte noch Jahre andauern.

Wann der neue Tiefbahnhof, um dessen Finanzierung die Partner vor Gericht streiten, den bisherigen Kopfbahnhof ersetzt, ist ebenfalls offen. Der bestehende Hauptbahnhof soll nach aktuellem Stand bis mindestens Ende 2026 in Betrieb bleiben; in den nächsten Wochen soll sich klären, ob der neue Tiefbahnhof Ende 2025 wenigstens teileröffnet werden kann. Noch ist also unklar, wer am Ende schneller sein wird: die Gerichte mit einem letztinstanzlichen Urteil zur Kostenaufteilung oder die Bahn mit der Kompletteröffnung von S21.

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