Psychologie:Höher, schneller, stressiger

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Zu viel, zu lange, zu schnell? "Angestellte prahlen oft, wie sehr sie unter Stress stehen, als gebe es dafür eine Verdienstmedaille", schreiben Wissenschaftler der University of Georgia. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Warum es keine besonders gute Idee ist, ständig mit dem Ausmaß der persönlichen Belastung zu prahlen.

Von Sebastian Herrmann

In Kantinen, Büroküchen und natürlich in den sozialen Netzwerken läuft ein scharfer Wettbewerb. Die Kombattanten ringen in Gesprächen und Postings darum, wer es am schwersten habe. Alle sind gestresst, ganz schlimm gestresst sogar, weil natürlich die Anforderungen stets unmenschlich hoch sind. Das gilt es laut zu beklagen. Der Burn-out steht stets vor der Bürotür, hinter der Angestellte einander von ihren Krisen erzählen. Nur Anfänger fügen noch den Begriff der Doppelbelastung in ihr Klagelied ein. Die Erfahrenen sprechen hingegen von Mehrfachbelastungen, ach was, von Vielfachbelastungen. Wer nicht unter Druck steht, der steht im Abseits.

"Angestellte prahlen oft, wie sehr sie unter Stress stehen, als gebe es dafür eine Verdienstmedaille", schreibt gerade ein Team um Jessica Rodell von der University of Georgia im Fachjournal Personnel Psychology. Es sei ein relativ neues Phänomen, dass sich so viele Leute mit ihrem Stress brüsten, unter dem sie stehen, schreiben die Forscher. Eigentlich seltsam, denn wer zur Angeberei neige, so Rodell und Kollegen, der schmiere anderen doch eigentlich Erfolgsgeschichten auf das Pausenbrot. Stattdessen sei das große Stress-Prahlen ausgebrochen. Wem Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol das Wohlbefinden verätzen, der muss wohl sein Umfeld davon in Kenntnis setzen, wohl auch, um seine Leistung und Unersetzlichkeit zu betonen.

Natürlich stehen Angestellte, Freiberufler, Selbständige und wirklich alle anderen, die in dieser Aufzählung fehlen, oft unter Stress, ist doch klar. Zeitdruck, Erwartungen, unerfüllte Wünsche, unerfüllbare Anforderungen - die Mischung aus Überforderung, Versagensangst, Anspannung und anderen schlechten Gefühlen setzt den Menschen zu. Aber was haben Büroklagesänger und ihre Internetkollegen davon, so laut den Grad ihres Stresses mitzuteilen? Nicht viel, so lautet die Antwort, die auf Basis der Studie der Forscher um Rodell zu geben ist. Klar, auf Linkedin gibt es vielleicht ein paar aufmunternde Kommentare und Likes für die Office-Grusel-Geschichte, aber mehr nicht.

Im Gegenteil: In Versuchen mit mehreren Hundert Teilnehmern zeigte sich eher ein negativer Effekt des Stress-Prahlens. Dick aufzutragen und im Büro vom Druck und den Anforderungen zu erzählen, trübte die Meinungen der Kollegen über die Klagenden ein. Sie wurden im Schnitt als weniger kompetent wahrgenommen. Zudem wurden die Jammernden als weniger "warm" bewertet. Dieses Attribut setzt sich, zumindest im Kontext der Studie, aus den Komponenten Freundlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Aufrichtigkeit zusammen.

Eine Medaille gibt es für den offensiven Stress-Aufschneider also nicht zu gewinnen. Dafür schwappt der Stress zu einem Teil auf die Kollegen über: Die negativen Prahlereien erzeugten im Publikum offenbar Stressreaktionen. Es strengt an, die Belastungsbeweihräucherungen der anderen zu hören, selbst wenn diese über einen wahren Kern verfügen. Was also tun, ab ins nächste Business-Achtsamkeitsseminar? Vielleicht reicht es, hin und wieder auch mal über gute Seiten des Lebens und der Arbeit zu sprechen.

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