Streit um die EM 2012:Die falsche richtige Entscheidung

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Die Uefa entschied bereits 2007, dass die EM 2012 auch in der Ukraine stattfinden soll. Damals standen Julia Timoschenko und die Vertreter der Orangenen Revolution vor einem Sieg über den russlandfreundlichen Wahlbetrüger Viktor Janukowitsch. Doch dann kam alles anders.

Markus C. Schulte von Drach

Vielleicht hätte man ahnen können, dass sich die Politik in der Ukraine nach 2007 nicht in eine Richtung entwickeln würde, wie man sich das im Westen wünschte. Zu unklar waren die Mehrheitsverhältnisse: Auf der einen Seite hatte der russlandfreundliche Viktor Janukowitsch Anfang des Jahres das Amt des Ministerpräsidenten inne. Zugleich aber war der westlich orientierte Viktor Juschtschenko Präsident.

Zuvor war Julia Timoschenko bereits Ministerpräsidentin gewesen. Gemeinsam hatten sie und Juschtschenko die Orangene Revolution angeführt und verhindert, dass Janukowitsch 2004 durch Wahlbetrug zum Präsidenten werden konnte. Die beiden Revolutionäre hatten sich jedoch fast sofort verstritten. 2006 konnte Janukowitsch, der trotz aller Betrugsvorwürfe großen Rückhalt in der Bevölkerung besaß, Timoschenkos Posten übernehmen. Auch das ging jedoch nicht lange gut. Ein Machtkampf wurde durch einen anderen ersetzt.

Am 2. April, wenige Tage, bevor die Europäische Fußball-Union ( Uefa) die Vergabe der Europameisterschaft an Polen und die Ukraine bekannt gab, löste Präsident Juschtschenko das Parlament auf. Und im September 2007 kam es zu Neuwahlen. Eine Neuauflage der Zusammenarbeit der Vertreter der Orangenen Revolution brachte Julia Timoschenko erneut ins Amt der Ministerpräsidentin unter Juschtschenko. Und erneut wuchs im Westen die Hoffnung, die beiden Revolutionäre würden das Land gemeinsam in Richtung EU lenken.

Hätte man also wirklich ahnen können, dass Timoschenko und etliche andere Politiker wenige Jahre später im Straflager sitzen würden? Dass die Ukraine sich in ein Land verwandeln würde, das zunehmend an Weißrussland erinnert?

Kritik, die an der Entscheidung der Uefa aufkam, das Land gemeinsam mit Polen die EM 2012 ausrichten zu lassen, bezog sich jedenfalls nicht auf die politischen Verhältnisse in der Ukraine. Vielmehr beschwerten sich Ungarn und Kroatien, die sich ebenfalls gemeinsam beworben hatten, und Italien, das immerhin vier der zwölf Stimmen im Entscheidungsgremium der Uefa erhalten hatte, aus völlig anderen Gründen.

Tamas Gyarfas etwa, Präsident des Bewerbungskomitees Ungarn/Kroatien, behauptete, die Mitglieder des Uefa-Exekutivkomitees hätten "uns hereingelegt". Und in Italien erklärte Sportministerin Giovanna Melandri, man habe Polen als Hauptakteur der EU-Erweiterung und die Ukraine als neues Mitglied der europäischen Sportfamilie belohnen wollen. Luca Pancalli, Vorsitzender des italienischen Bewerbungskomitees, erklärte, die Wahl sei eine "politische" gewesen. Das bestätigte der Präsident der Uefa, der französische ehemalige Fußballprofi Michel Platini, der sich den Vorwurf gefallen lassen musste, es wäre zu stark darum gegangen, die kleineren Fußballnationen Europas zu fördern.

Ansonsten kommentierten insbesondere Sportler die Wahl - und eher positiv. So sagte etwa Deutschlands Nationaltrainer Joachim Löw, er erhoffe sich einen "zusätzlichen Schub" für den Fußball in der Ukraine und Polen.

Politiker äußerten sich nicht wahrnehmbar zu der Entscheidung. Auch in den folgenden Jahren kam Kritik lediglich daran auf, dass die Ukraine mit den Vorbereitungen auf die EM nicht nachkam.

Die Uefa zeigte Verständnis dafür, dass politische Gründe - insbesondere die Neuwahlen 2007, die Timoschenko wieder ins Ministerpräsidentenamt brachten - die Arbeit bremsten. "Als die EM 2007 vergeben wurde, war Julia Timoschenko gerade dabei, an die Regierungsspitze aufzusteigen", erklärte Uefa-Chef Michel Platini nun. Die EM nicht an Länder wie die Ukraine zu vergeben, weil alles nicht so gefestigt sei wie in westeuropäischen Demokratien, sei keine Lösung.

Die Politiker im Westen dürften dies zu dieser Zeit ähnlich gesehen haben. So betätigte etwa die grüne Sportpolitikerin Viola von Cramon in der taz: "Als die Vergabe im April 2007 anstand, gab es in der Ukraine andere politische Voraussetzungen als heute."

Spätestens seit 2010 allerdings wäre Zeit gewesen, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Im März siegte Viktor Janukowitsch bei der Präsidentenwahl gegen Julia Timoschenko - ab Mai ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die ehemalige Ministerpräsidentin, im August 2011 kam sie in Untersuchungshaft. Schon im Oktober 2011 wurde sie wegen Amtsmissbrauch zu sieben Jahren Haft verurteilt und in ein Straflager geschickt.

Der Westen kritisierte den Prozess als politisch motiviert. Bereits zu dieser Zeit hätten Politiker und Vertreter der Uefa Druck auf Janukowitsch ausüben können. Zumal der Umgang mit Timoschenko nur die Spitze des Eisbergs darstellte. Die Opposition wurde zunehmend unter Druck gesetzt, etliche ehemalige Regierungsmitglieder sitzen inzwischen in Haft oder U-Haft, die Presse- und Meinungsfreiheit wurde nach und nach aufgehoben. Die Sportfunktionäre interessierten sich jedoch nur dafür, ob die Infrastruktur im Land eine erfolgreiche EM gewährleisten würde.

Kurz bevor Mitte April 2012 ein zweiter Prozess gegen Julia Timoschenko beginnen sollte, trat die schwer kranke Politikerin aus Protest gegen Misshandlungen und die Haftbedingungen in einen Hungerstreik. Doch erst seit der Entscheidung des Bundespräsidenten Joachim Gauck, die Ukraine nicht zu besuchen, äußern sich Politiker und Sportfunktionäre zu der Frage, ob man auf einen Besuch der Spiele dort verzichten oder gar die ganze Veranstaltung boykottieren sollte.

Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägt offenbar, die Spiele in der Ukraine nicht zu besuchen - etwas, das auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, Grünen-Chefin Claudia Roth und sogar der Geschäftsführer des Bundesligisten Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, fordern.

Davon, die EM in der Ukraine ganz abzublasen, spricht kaum jemand. Uefa-Chef Platini schon gar nicht. Er sieht nicht den Fußballverband in der Pflicht, sondern die Politik. Doch Fußball ist keine unpolitische Sache, stellt etwa Reinhard Rauball, Präsident der Deutschen Fußball-Liga, fest. Und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach verkündete: Der Fußball muss sich an die Seite der Politik stellen, wenn es um Grundwerte im menschlichen Miteinander geht."

In der Sportlerszene sind solche Statements allerdings nicht unumstritten. "Der Sport darf nicht zum Knüppel der Politik werden", erklärte etwa Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, der Nachrichtenagentur dpa. Genauso wenig darf allerdings eine Regierung, die Politik mit dem Knüppel betreibt, die Gelegenheit bekommen, Sport als PR-Instrument zu missbrauchen.

Das hätte die Uefa in den vergangenen zwei Jahren berücksichtigen müssen.

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