Rico Badenschier bekommt zurzeit sehr viel mehr überregionale Aufmerksamkeit als sonst. Der 44-jährige Sozialdemokrat ist seit 2016 Oberbürgermeister von Schwerin, am kommenden Sonntag muss der Radiologe in die Stichwahl um das höchste Amt in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt. Badenschiers Gegenkandidat: der 52-jährige AfD-Politiker Leif-Erik Holm, der vor seiner politischen Karriere als Radiomoderator arbeitete.
Seit dem Wahlergebnis vor knapp zwei Wochen wird bundesweit eine Frage diskutiert: Stellt die rechtsextremistische Partei bald zum ersten Mal den Oberbürgermeister in einer Landeshauptstadt? Das wäre ein Novum in Deutschland - wenn auch in Schwerin eher unwahrscheinlich. Der Vorsprung des Amtsinhabers Badenschier ist deutlich, er hatte am 4. Juni 42 Prozent der Stimmen geholt.
Eigentlich ein Ergebnis, über das sich die SPD im Jahr 2023 freuen würde. Vor allem angesichts der anhaltenden Negativschlagzeilen über Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Seit Putins Angriffskrieg muss sich die einstige Hoffnungsträgerin der SPD für das Debakel um Nord Stream 2 rechtfertigen. Auch wenn eine Oberbürgermeisterwahl immer zuallererst eine Personenwahl ist, färbt es natürlich auch auf das Wahlergebnis der SPD ab, wenn die parteieigene Ministerpräsidentin des Landes strauchelt.
Der AfD-Mann Holm konnte im Straßenwahlkampf punkten
Doch Grund zur Freude gibt es für die SPD gerade noch nicht, da wäre noch das Wahlergebnis von AfD-Mann Leif-Erik Holm, der mit 27,4 Prozent auf den zweiten Platz kam. Sollte er die Stichwahl gewinnen, hatte Holm angekündigt, sein Bundestagsmandat niederlegen zu wollen.
Die AfD befindet sich derzeit im Umfragehoch; bundesweit sehen Umfragen sie bei bis zu 18 Prozent und damit gleichauf mit der SPD, immerhin die Partei des aktuellen Bundeskanzlers. Besonders im Osten Deutschlands ist die AfD stark, hier führt sie die Umfragen an. In Thüringen könnte die AfD bald erstmals einen Landrat stellen, ihr Kandidat geht in Sonneberg als Favorit in die Stichwahl.
Das Ergebnis in Schwerin hat auch das Internationale Auschwitz-Komitee alarmiert, deren Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner sagte: "Für Überlebende des Holocaust ist das Erstarken der AfD in Deutschland auch im Zusammenhang der Popularisierung rechtsextremer Hasswelten in Europa eine besondere Herausforderung."
Wolfgang Muno von der Universität Rostock hat das Wahlergebnis in Schwerin nicht überrascht. Leif-Erik Holms Erfolg sei schnell erklärt, so der Politikwissenschaftler: Er habe einerseits von seiner Prominenz profitiert, sei einer der bekanntesten Landespolitiker und zudem gebürtiger Schweriner. Zudem sei Holm ein "geschickter Kommunikator und Demagoge", was ihm im Straßenwahlkampf genutzt habe. Hinzu komme, dass Holm auch die Diskussion über das Erscheinungsbild der Bundesregierung in die Hände gespielt habe.
Der Amtsinhaber von der SPD sagt, er mache sich keine Sorgen
Auf seinen Wahlplakaten hatte Holm zum Beispiel einen Aufnahmestopp für Geflüchtete in Schwerin gefordert. Ein klassisches AfD-Thema, das zurzeit in vielen Regionen des Landes verfängt. Am Wahlabend hatte Holm im NDR gesagt: "Wir haben an jedem Infostand bei jeder Veranstaltung gemerkt: Die Leute machen sich richtig Sorgen um ihre Stadt."
In einem Interview mit der Zeitung Welt vor einigen Tagen hatte Amtsinhaber Badenschier gesagt, es störe ihn, dass ihm gerade nur noch Fragen zur AfD gestellt würden. "Es ist nicht gut, dass wir jetzt in Schwerin zwei Wochen lang bundesweite Aufmerksamkeit bekommen wegen der AfD." Besorgt sei er aber nicht, hatte Badenschier der Reporterin mitgegeben: "Wir sind hier nicht in Sachsen oder Thüringen oder in Oder-Spree." In dem brandenburgischen Landkreis ist neulich ein AfD-Kandidat sehr knapp bei der Landratswahl gescheitert. Die SPD in Schwerin sei "dichter an den Menschen und ihren Alltagssorgen", sagt Badenschier.
Schwerin ist eine Stadt zwischen Märchenschloss und Plattenbauten, die einerseits sehr beliebt ist bei gut situierten Rentnern, andererseits in ganz Mecklenburg-Vorpommern die höchste Jugendarbeitslosigkeit aufweist. Etwa 79 000 Menschen sind hier am Sonntag zur Stichwahl aufgerufen - die Mehrheit der anderen Parteien und anderen Ex-Kandidaten hat eine eindeutige Wahlempfehlung für SPD-Mann Badenschier ausgesprochen - nur die FPD nicht. Deren Landeschef ließ sich in der Schweriner Volkszeitung mit den Worten zitieren: "Ich vertraue den Schwerinerinnen und Schwerinern, darüber zu entscheiden, wer demokratisch ist und wer nicht."