Ari Fleischer ist zurück. Der Sprecher von Präsident George W. Bush erklärt im Fernsehen, wie immer ein bisschen süffisant, man müsse halt ein paar Opfer bringen, um den Terrorismus zu bekämpfen. Wenn man Fleischer so reden hört, kann man am Ende dieser Woche das Gefühl bekommen, in den Bush-Jahren zu leben, in denen die Vereinigten Staaten die Terroristen der al-Qaida zurückkämpften und die Bürgerrechte einschränkten.
Soeben hat die Öffentlichkeit von der neuesten Volte erfahren: Der Geheimdienst NSA fischt die Daten ausländischer Internetnutzer direkt bei den Servern von nicht weniger als neun großen Anbietern ab, unter ihnen Microsoft, Google und Facebook. Die Anbieter beteuern, dass sie davon nichts wussten. Wenige Stunden vorher hat sich herausgestellt, dass die Regierung seit Jahren auch Telefondaten abgreift, unter anderem so gut wie alle Verbindungsdaten des Anbieters Verizon. Sie weiß, welcher Anschluss in den USA wie lange mit welchem anderen Anschluss verbunden ist. Der US-Überwachungsstaat ist noch maßloser, als viele gedacht hatten.
Die Angst vor Terroranschlägen rechtfertigt vieles
George W. Bush aber wohnt schon seit vier Jahren nicht mehr im Weißen Haus, und Ari Fleischer ist auch nicht mehr dessen Sprecher. Stattdessen regiert Barack Obama, der Bushs Antiterrormethoden einst kritisiert hat, sie nun aber fortsetzt oder sogar ausbaut. Fleischer fühlt sich und seinen einstigen Chef bestätigt. "Drohnenangriffe, Lauschangriffe, Guantanamo, Entführungen, Militärtribunale", zählt er auf: "Obama verwirklicht Bushs vierte Amtszeit, dabei hat er Bush einst vorgeworfen, die Verfassung zu missachten."
Tatsächlich sind sich der demokratische Präsident und seine republikanischen Gegner in dieser Frage weitgehend einig: Der Staat kann im Zeitalter von Terror und grenzenloser Kommunikation nicht darauf verzichten, mit dem Schleppnetz zu sammeln. "Präsident Bush hat damit begonnen. Präsident Obama setzt es fort. Ich finde, dass wir es brauchen", sagt der konservative Senator Lindsey Graham.
Wer auch immer Präsident ist: Aus Sicht des Weißen Hauses rechtfertigt die Angst vor Terroranschlägen weiterhin vieles. Die massive Telefonüberwachung sei ein wichtiges Instrument, um das Land vor Terroristen zu schützen, sagte ein Sprecher Obamas am Donnerstag. Als die Öffentlichkeit wenig später auch vom Ausmaß der Internetkontrollen erfuhr, erklärte der oberste Geheimdienstaufseher James Clapper, das Programm liefere "wertvollstes Material" und schütze die USA vor einer "ganzen Bandbreite von Gefahren".
Das amerikanische Volk hat Barack Obama auch deshalb zum Präsidenten gewählt, weil der studierte Verfassungsjurist versprach, nach acht Jahren Bush den Rechtsstaat wiederherzustellen. Doch nach seiner Ankunft im Weißen Haus stellte Obama fest, dass Bush unter dem Druck von Öffentlichkeit, Parlament und Gerichten einige der schlimmsten Auswüchse schon selbst beseitigt hatte. Ihre Foltermethoden etwa hatte die CIA bereits in Bushs erster Amtszeit aufgegeben.
Manche Reformversuche Obamas wiederum sind am republikanisch beherrschten Parlament gescheitert, etwa die Schließung des Gefangenenlagers in Guantanamo. Doch in anderen Bereichen hat der Präsident die Geheimprogramme seines Vorgängers sogar noch ausgeweitet, wie zum Beispiel die Jagd auf Terroristen mit unbemannten Flugzeugen. Auch die Dauerlauschangriffe stammen aus der Zeit George W. Bushs, sind aber wegen der technischen Fortschritte unter seinem Nachfolger noch umfassender als einst.
Ein Sicherheitsapparat, der Daten hortet
Die Last der Verantwortung bewirkt offensichtlich, dass der Oberbefehlshaber Obama anders handelt als es der Professor Obama angekündigt hatte. Die oberste Pflicht des Oberbefehlshabers lautet, sein Land vor neuen Anschlägen zu schützen. Der Präsident hat dieses Dilemma jüngst in seiner Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik geschildert: Darin rief er das Ziel aus, den "Krieg gegen den Terror" eines Tages zu beenden, was freilich auch bedeutete, dass dieser Tag noch nicht gekommen sei.
Über die von Obama fortgesetzte Bush-Politik herrscht in Washington weitgehend Konsens. Nach den jüngsten Enthüllungen verteidigten sowohl republikanische als auch demokratische Wortführer den Präsidenten. Auch mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 möchte sich niemand dem Vorwurf aussetzen, Terroristen das Handwerk zu erleichtern. Eher waren es Bürgerrechtsgruppen und Medien, die das uferlose Ausmaß der Überwachung von Internet und Telefonen geißelten. Die Regierung, urteilte die sonst sehr Obama-freundliche New York Times, habe "jede Glaubwürdigkeit verloren".
Allerdings leidet die Debatte darunter, dass viele der Diskutanten gar nicht in voller Kenntnis der Sache reden können. Zwar verraten die neuesten Details, wie umfassend der US-Sicherheitsapparat auf die globale Kommunikation zugreift. Unklar bleibt aber, wie die Datenmenge gefiltert, verarbeitet, gespeichert und weiterverwendet wird. Wie alle heiklen Programme ist auch dieses prinzipiell geheim; nur wenige Personen in Regierung und Parlament dürfen überhaupt davon wissen.
Geheimniskrämerisch wie George W. Bush
Manche der Eingeweihten sind entsetzt über das, was sie erfahren. Und sie haben große Mühe, es für sich zu behalten. In den vergangenen Jahren machten die beiden Senatoren Ron Wyden und Marc Udall immer wieder kryptische Andeutungen. Sie warnten sehr allgemein vor einem Sicherheitsapparat, der Daten selbst über gesetzestreue US-Bürger horte. Erst in dieser Woche hat man begriffen, was die beiden Männer die ganze Zeit meinten.
Wyden und Udall sind Demokraten, wie Obama. Ihr Unbehagen erklärt sich nicht nur durch das, was sie in abhörsicheren Parlamentsräumen erfuhren und unter keinen Umständen weitersagen durften. Es erklärt sich auch damit, dass ihr liberaler Präsident plötzlich so geheimniskrämerisch handelte wie Bush. "Ich hätte mir gewünscht", sagt Udall, "dass die Regierung dem amerikanischen Volk als Erste von diesem Programm erzählt hätte."