Spionage-Affäre und BND-Überwachung:So ein Zufall aber auch

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Die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton auf einem Archivbild von 2010: Auch eins ihrer Telefonate wurde abgehört - vom BND. (Foto: dpa)

Gern stilisiert sich der Bundesnachrichtendienst seit Beginn der NSA-Affäre als völlig harmlos. Die Regierung zeigte sich empört über die Überwachung des Bundeskanzlerinnen-Handys durch die Amerikaner. Doch auch der BND ist im weltweiten Abhörgeschäft eine Größe. Der Mitschnitt des Telefonats von Hillary Clinton ist dabei alles andere als ein Einzelfall.

Von Georg Mascolo, Berlin

Anfang Juli war die ehemalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton in Berlin, sie tourte durch Fernsehstudios und traf im Halb-Stunden-Takt Journalisten, um ihr neues Buch zu promoten. Es heißt "Entscheidungen" und ist ein lesenswertes Resümee ihrer Zeit als oberste Außenpolitikerin der Regierung Obama. Nur Tage zuvor war bekannt geworden, dass die Bundesanwaltschaft einen mutmaßlichen Agenten der CIA beim Bundesnachrichtendienst (BND) verhaftet hatte - und so wurde Clinton mindestens so oft nach der neuesten Zuspitzung im deutsch-amerikanischen Spionagestreit gefragt wie nach ihrem Memoirenband.

Bei Spiegel Online entschuldigte sich Hillary Clinton gar wegen des Lauschangriffs auf das Handy von Kanzlerin Angela Merkel, mit der sie ein freundschaftliches Verhältnis verbindet: "Ich bin zwar nicht mehr in der Regierung, aber nun denn: Es tut mir leid."

Manchem im Kanzleramt mag damals schon geschwant haben, dass auch eine Entschuldigung bei Hillary Clinton angebracht sein könnte - denn in mindestens einem Fall war sie durch den BND belauscht worden. Der Vorgang soll sich so abgespielt haben: Clinton war mal wieder in ihrem Flugzeug unterwegs, in dem sie nach eigener Zählung in ihrer vierjährigen Amtszeit mehr als 2000 Stunden verbrachte und überflog eine Krisenregion, in der der BND die Kommunikation überwacht. So habe zur elektronischen Beute auch ein Telefonat gehört, dass Clinton aus der Maschine heraus geführt hatte.

Dem Merkel-Diktum "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" widerspricht diese Episode - zumal die Abschrift des Gesprächs im BND aufmerksam gelesen und offenbar sogar herumgereicht wurde. Erst danach soll die Vernichtung des Transkripts angeordnet worden sein. Und den Auftrag dazu soll ausgerechnet Markus R. erhalten haben.

Spion Markus R. übergab auch die Abschrift des Clinton-Telefonats an die CIA

R. hat nach eigenen Angaben zwei Jahre lang für die CIA spioniert, er arbeitete in der Registratur der BND-Abteilung "Einsatzgebiete, Auslandsbeziehungen" und hatte einen erstaunlichen Zugriff auf heikelste Interna des Geheimdienstes. Unter den mindestens 218 Dokumenten, die er für 25 000 Euro Agentenlohn an die CIA verriet, befindet sich auch das Clinton-Telefonat.

Vor der Vernichtung zog der BND-Mann schnell noch eine Kopie für seine amerikanischen Auftraggeber. Die Spitzen der Bundesregierung und auch die Kanzlerin kennen den Vorgang, weil bei Markus R. ein USB-Stick mit den an die Amerikaner übergebenen Daten gefunden wurde. So weiß Berlin, was man nun in Washington über den BND weiß.

Die US-Regierung soll das brisante Wissen auch gleich eingesetzt haben. Nach der Verhaftung von Markus R. und dem - inzwischen weitgehend ausgeräumten - Verdacht gegen einen Mitarbeiter aus dem Bundesministerium der Verteidigung hatte die Bundesregierung entschieden, den CIA-Residenten in Berlin zur Ausreise aufzufordern.

Um eine weitere Eskalation abzuwenden, soll Clintons Nachfolger John Kerry die Episode mit dem abgehörten Telefonat im Gespräch mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier angesprochen haben. "Das Signal war: Regt euch nicht auf, ihr macht das doch auch", soll die Botschaft gewesen sein. Auch Barack Obamas Stabschef Denis McDonough brachte den Vorgang angeblich zur Sprache, als er vor einigen Wochen in Berlin stundenlang mit Merkels Kanzleramtsminister Peter Altmaier darüber sprach, wie die Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen beendet werden könne.

Den Vorwurf, man betreibe Spionage ähnlich skrupellos wie die Amerikaner, wollen deutsche Regierungskreise dennoch nicht gelten lassen. Zwar seien immer mal wieder Gespräche amerikanischer Politiker - nicht nur Hillary Clintons - abgehört worden, aber es habe sich dabei stets um Zufälle gehandelt. In der Welt der elektronischen Spionage nennt man dies einen "Beifang". Solchen Beifang gab es offenbar ziemlich häufig, immer wieder landete die Kommunikation von befreundeten Politikern beim BND, der im weltweiten Abhörgeschäft eine Größe ist.

Hillary Clinton war also alles andere als ein Einzelfall. Bis zum vergangenen Jahr und dem Beginn der NSA-Affäre gab es sogar eine ausdrückliche Regelung, wie mit solchem Material zu verfahren sei: Es wurde dem jeweiligen BND-Präsidenten auf den Schreibtisch gelegt.

Im Flugzeug passierte es: Hillary Clinton überflog eine Gegend, in der der BND die Telefonate überwacht. Und die Deutschen hörten mit, was sie sprach. (Foto: Pornchai Kittiwongsakul/AFP)

Ob zufällig oder gezielt, manchem im BND und in der Bundesregierung muss trotzdem spätestens mit Beginn der Enthüllungen von Edward Snowden geschwant haben, dass diese Praxis besser beendet wird. Seit Sommer 2013 gilt deshalb eine Anweisung, die offenbar vom damaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla stammt: Abgehörte Telefonate oder aufgefangene Mails von befreundeten Politikern müssen ungelesen vernichtet werden. Der Kanzlerinnen-Satz, dass sich Spionage unter Freunden nicht gehört, wäre damit auch für den BND etwas gültiger geworden.

Wie der BND spioniert, können die Amerikaner nun ohnehin nachlesen

In der Regierung gibt es manchen, der sich über die frühere Praxis ziemlich ärgert - wenn sich auch alle einig zu sein scheinen, dass man diese nicht mit dem gezielten Lauschangriff auf das Handy der Bundeskanzlerin vergleichen kann. Und Agenten in der US-Regierung oder in den US-Geheimdiensten führe man schon gar nicht. Kurzum: Die Sache sei zugegeben peinlich, aber man dürfe sie auch nicht überbewerten.

Wie und wo die Bundesregierung spionieren lässt, können die Amerikaner nun ohnehin nachlesen: Denn Markus R. hat ihnen auch ein Dokument übergeben, das zu den geheimsten dieses Landes gehört. Es ist das "Auftragsprofil der Bundesregierung", kurz APB - so etwas wie das Aufgabenheft des deutschen Geheimdienstes.

Etwa alle vier Jahre legen das Auswärtige Amt sowie die Ressorts für Innen, Verteidigung, Wirtschaft, Finanzen und Entwicklung gemeinsam mit dem Kanzleramt fest, was die Bundesregierung im Ausland in Erfahrung bringen will. Länder und Regionen werden aufgelistet, Themen definiert. Der BND soll wissen, wo und wofür er spionieren soll - und wo nicht. Das APB, so formuliert es der BND etwas gewunden, "gibt die Detailtiefe der zu beschaffenden Erkenntnisse und damit auch den Ressourcenansatz vor". Um auf aktuelle Situationen reagieren zu können, werden regelmäßig Anpassungen vorgenommen.

Das System des APB stammt ursprünglich aus Amerika, da bekommen die Geheimdienste eine von der US-Regierung und oft dem Präsidenten selbst abgesegnete Aufgabenliste ("presidentially approved"). Dank Edward Snowden sind Teile dieser Listen bekannt. Aus ihnen ergibt sich auch, dass sich zum Beispiel die NSA für Entwicklungen in der deutschen Politik und Wirtschaft besonders interessiert.

Das deutsche Auftragsprofil liest sich an vielen Stellen wie eine Selbstverständlichkeit. Es geht um Terrorismus, Massenvernichtungswaffen, den Nahen Osten, China und Russland. Aber in dem Dokument befinden sich auch solche Interna, die die seit Beginn der NSA-Affäre gern gestreute Geschichte vom völlig harmlosen Bundesnachrichtendienst untergräbt. Und auch die von einer Regierung, die davon angeblich kaum etwas weiß. Geht es etwa um die sogenannten "Kernthemen" des Dienstes, darunter Terrorismus, darf der BND in so ziemlich jedem Land der Welt abhören oder von dort stammende Kommunikation verwenden. Und das tut er auch.

Überwachung in drei Stufen

Erst wenn es um politische und wirtschaftliche Aufklärung geht, legt die Bundesregierung dem Dienst Fesseln an. Sie unterscheidet dann zwischen "Kernländern", zu denen unter anderem Russland und China gehören dürften, sowie jenen Staaten, in denen deutsche Soldaten im Einsatz sind. In der zweiten Stufe kommen die sogenannten "Monitoring"-Länder, die ebenfalls beobachtet werden dürfen. Schließlich die "nicht aufgeführten Themen und Staaten", für die sich der Dienst nicht interessieren soll. Zu diesen gehörten lange alle Staaten der EU sowie der Nato - und so müsste es auch heute sein, wenn der Kanzlerinnen-Satz, dass sich Spionage unter Freunden nicht gehört, vollständig wahr und gültig wäre.

Nur findet sich im Auftragsprofil seit einigen Jahren auch ein Nato-Mitglied. Informationen des Spiegels zufolge soll es sich dabei um die Türkei handeln. Diese heikle Tatsache ist nur einer der Gründe, warum das Kanzleramt noch überlegt, ob das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags das Auftragsprofil zu sehen bekommt - obwohl dieses ausdrücklich alle Dokumente angefordert hat, die Markus R. verraten hat. Legt die Bundesregierung das Auftragsprofil nicht vor, könnte das noch Ärger mit dem Parlament nach sich ziehen.

Da trifft es sich, dass zumindest die deutsche und die amerikanische Regierung sich ein Harmonieprogramm verordnet haben. Am vergangenen Montag war CIA-Chef John O. Brennan zu einem Geheimbesuch im Kanzleramt. Man entschied, nun nach vorne zu schauen.

Hillary Clinton wiederum dürfte über all die Erkenntnisse nur mäßig empört sein. Auf die Frage der SZ, ob befreundete Dienste sich ausspionieren, antwortete sie vor einem Monat: "Immer. Ohne Ende. Überall auf der Welt."

© SZ vom 16.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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