Erfolg schafft Probleme. Das erlebt derzeit die SPD, die bis vor wenigen Monaten ja kaum noch wusste, wie Erfolg sich buchstabiert. Jetzt stellen die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion im Bundestag, was ihnen das Recht auf das Amt des Bundestagspräsidenten verschafft. Sie arbeiten mit Olaf Scholz an einer Ampel-Koalition, die aus dem Kanzlerkandidaten den nächsten Bundeskanzler machen soll. Und sie wollen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu einer zweiten Amtszeit verhelfen, auch wenn dessen SPD-Mitgliedschaft formal ruht. Alle drei Ämter faktisch in SPD-Hand - das weckt Erwartungen und Begehrlichkeiten.
Steinmeiers Chancen sind mit der Bundestagswahl rechnerisch gestiegen. Denn SPD, Grüne und FDP verfügen nun in der Bundesversammlung, die am 13. Februar 2022 das neue Staatsoberhaupt wählt, über eine rechnerische Mehrheit. Die Bundesversammlung setzt sich diesmal zusammen aus den 735 Bundestagsabgeordneten sowie noch einmal 735 Delegierten aus den Ländern, die wiederum nach einem komplizierten Berechnungssystem aus Bevölkerungszahl und Stimmanteilen in den Landtagen entsandt werden. Nach vorläufigen Berechnungen der Internetseite election.de hätte eine Ampel-Koalition in der Bundesversammlung eine Mehrheit von rund 40 Sitzen.
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Bei der Wahl eines möglichen neuen Bundesvorsitzenden sollten nach Ansicht des Niedersachsen die Mitglieder stärker einbezogen werden. Die FDP bekräftigt vor den anstehenden Ampel-Gesprächen ihre roten Linien.
Auch die CDU war schon in dieser Situation
Steinmeier hat seine Kandidatur bereits im Mai angekündigt, die SPD-Spitze sagte ihm Unterstützung zu, und auch FDP-Chef Christian Lindner sprach sich für eine zweite Amtszeit Steinmeiers aus. Die drei höchsten durch Wahl zu vergebenden Staatsämter, besetzt von einer Partei (die Präsidentschaft im Bundesrat rotiert nach einer festen Reihenfolge), das wäre in der Geschichte der Bundesrepublik zwar keine Seltenheit. Auch die SPD war schon in dieser Situation, als Johannes Rau Bundespräsident, Gerhard Schröder Kanzler und Wolfgang Thierse Bundestagspräsident waren. Und die CDU stellte zuletzt sowohl mit Horst Köhler wie auch mit Christian Wulff den Bundespräsidenten neben Kanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert.
In dieser Phase ging allerdings eines der drei Ämter stets an eine Frau. Dahinter dürfte die SPD nun kaum wieder zurückfallen wollen. Um die Kandidatur Steinmeiers nicht der Kritik aus den eigenen Reihen auszusetzen, müsste die SPD deshalb bis zur konstituierenden Sitzung des Bundestages Ende Oktober eine Frau als Parlamentspräsidentin vorschlagen. Damit könnte man zumindest in der SPD etwaigen Beschwerden vorbeugen.
Wie verhalten sich die Grünen?
Offen bleibt aber, wie sich die Grünen bei der Wahl des Staatsoberhaupts verhalten. Dass SPD, FDP und Grüne diese Frage formal zum Gegenstand von Koalitionsgesprächen machen, erscheint eher unwahrscheinlich, weil niemand sich den Vorwurf einhandeln will, die Würde des Amtes durch Herabstufung zur Verhandlungsmasse zu beschädigen. Zumal selbst Olaf Scholz nicht in der Lage sein dürfte, Steinmeier zu einem Rückzug von seiner Kandidatur zu bewegen.
Andererseits könnten die Grünen ein weiteres Amt gut gebrauchen, weil sich bei ihnen nicht zuletzt dank ihrer Tradition der Doppelspitze jede Menge Führungspersonal angesammelt hat, das sich für ministrabel oder auch für Höheres berufen fühlt. Vor allem auf die Grünen dürften sich deshalb die Blicke derer richten, die finden, Steinmeier brauche keine zweite Amtszeit, Deutschland aber endlich eine Frau an der Staatsspitze.