Antisemitismus:"Sozialismus der dummen Kerle"

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Zu Fuß für die Demokratie: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (links) 1925 beim Wahlkampf, rechts Anhänger der DNVP auf einem Lastwagen. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

In der Weimarer Republik bezog die SPD klar Front gegen den Antisemitismus, wie Christian Dietrich analysiert. Beim Kampf gegen die "Rassenhetze" wähnte sie sich zunächst auf gutem Wege. Bis die NSDAP zu stark wurde.

Rezension von Daniel Siemens

Ist die Sozialdemokratie imstande, die "Offensive für die Demokratie zu führen"? Diese angriffslustige Frage des 35 Jahre alten SPD-Politikers August Rathmann vom Herbst 1930 ist von der historischen Forschung überwiegend verneint worden. Dem Schwung der nationalsozialistischen Agitation und der Radikalisierung der rechtsnationalen Parteien habe die SPD nicht Entscheidendes entgegensetzen können.

Sie verlor in der Weltwirtschaftskrise sogar Teile ihrer traditionellen Wählerschaft - nach links, an die Kommunisten, aber auch nach rechts, ins nationalsozialistische Lager. Die NSDAP war bereits 1930 zur zweitstärksten Partei aufgestiegen und der Reichstag de facto lahmgelegt, weil der neue Kanzler Heinrich Brüning mit Notverordnungen regierte.

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Der politische Antisemitismus gehörte zu den erfolgreichsten Strategien der republikfeindlichen Kräfte. Den Sozialdemokraten war jederzeit bewusst, dass die Propaganda des völkischen Lagers nicht nur ein Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland, sondern auch direkt gegen die Demokratie von Weimar gerichtet war - verdichtet in der Parole von der "Judenrepublik". Dieser Zusammenhang markiert den Ausgangspunkt einer Studie von Christian Dietrich.

Im Zentrum seiner ideengeschichtlichen Untersuchung steht die Frage, wie sich die deutsche Sozialdemokratie gegen die antisemitischen Verleumdungen zur Wehr setze und wie sie ihre Haltung weltanschaulich begründete. Aus einer "nüchternen Rekonstruktion" des sozialdemokratischen Abwehrkampfes von Weimar und der Erfahrung der Niederlage erhofft Dietrich sich einen Lerneffekt für Gegenwart und Zukunft.

August Bebel setzte auf Aufklärung

Bis zum Ersten Weltkrieg war in der SPD die Ansicht vorherrschend gewesen, der in den 1890er Jahren politisch salonfähig gewordene Antisemitismus sei der "Sozialismus der dummen Kerle". Antisemitische eingestellte Wähler sollten, so meinte es August Bebel, durch Aufklärung erreicht und für die eigenen Partei gewonnen werden.

Wie Dietrich überzeugend zeigt, wurden die Auseinandersetzungen um den deutschen Kolonialismus und die sich wandelnde Bewertung des Zionismus wichtige Faktoren, die dazu beitrugen, dass sich die Sozialdemokratie mit der Bekämpfung des Antisemitismus in der Weimarer Republik programmatisch auseinandersetzte.

Auf dem revisionistischen Flügel mehrten sich Stimmen, die in den Versuchen, eine jüdische "Heimstätte" in Palästina zu errichten, eine geeignete Form sahen, das Problem der jüdischen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa zu lösen. Der "Arbeiterzionismus" sei kein imperialistisches Projekt, sondern ein Beitrag zur Kulturentwicklung Palästinas und außenpolitisch im deutschen Interesse. Innenpolitisch biete er eine Möglichkeit, die seit 1915 auch im Deutschen Reich heftig umstrittene "Ostjudenfrage" zu lösen, so die Argumentation.

Christian Dietrich: Im Schatten August Bebels. Sozialdemokratische Antisemitismusabwehr als Republikschutz 1918-1932. Wallstein-Verlag, Göttingen 2021. 319 Seiten, 34,90 Euro. (Foto: N/A)

Was den eigentlichen "Abwehrkampf" für die Republik angeht, der Juden wie Sozialdemokraten zur Zielscheibe rechtsnationalistischer Agitation machte, so hebt Dietrich hervor, dass sich viele Sozialdemokraten durch die Stärkung der Republik - etwa mit dem "Republikschutzgesetz" von 1922 - auch ein allmähliches Nachlassen antisemitischer Agitation erhofften. Der Erfolg der neuen Staatsform werde die plumpen Instinkte, an die der Antisemitismus appelliere, überwinden. Bis es soweit sei, müsse die SPD den Kampf gegen die "Rassenhetze" entschlossen führen.

An dieser klaren Frontstellung hielt die Partei bis zum Verbot 1933 fest. Sie druckte Broschüren mit Argumentationsstrategien gegen den "reaktionären Faschismus", organisierte Protestversammlungen und schärfte ihren Sympathisanten ein, dass Antisemitismus immer auch ein Angriff auf die Arbeiterschaft sei. Das 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold sollten die Interessen der Republik auf den symbolisch wichtigen Straßen des Landes verteidigen. Man wähnte sich zunächst auf gutem Weg.

Nach der Reichstagswahl vom September 1930 schlug die Stimmung um. Wilhelm Hoegner, der 1945 der erste bayerische Ministerpräsident werden sollte, zog 1931 ein bitteres Fazit: Dem Nationalsozialismus sei es gelungen, "die verschiedenartigsten Volksgruppen mit ganz entgegengesetzten Klasseninteressen zusammenzuschweißen im gemeinsamen Hass gegen das heutige Staatssystem, vor allem gegen die Sozialdemokratie."

Tatsächliche Solidarität wurde nicht gelebt

Knapp beleuchtet wird in dem Buch das Verhältnis zwischen SPD und dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), der damals bei weitem mitgliederstärksten jüdischen Organisation. Als bürgerlich-liberaler Verein verstand sich der CV bis zum Ersten Weltkrieg als patriotischer Gesinnungsverein, der Abstand zur Sozialdemokratie hielt. In den 1920er Jahren bewegten sich beide - mehr aus der Not denn aufgrund gemeinsamer politischer Grundüberzeugungen - aufeinander zu, ohne allerdings tatsächlich eine schlagkräftige Abwehrfront zu bilden. Die SPD war damals noch nicht Volks-, sondern blieb Milieupartei.

Dietrichs Buch ist aus den Quellen gearbeitet - Reichstagsreden, Parteiprogramme und Artikel der sozialdemokratischen Presse -, aber nicht besonders thesenstark. Alltagshandeln kommt selten in den Blick. So bleibt der Eindruck einer Partei, die in ihrer Ablehnung des politischen Antisemitismus niemals schwankte, aber kaum Konsequenzen daraus zog, als ihre Aufklärung wirkungslos blieb.

Das beklagten sowohl die 1931 gegründete Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), eine linke Abspaltung der SPD - die im Buch nur in einer Fußnote vorkommt -, aber auch die Autoren der seit 1930 erscheinenden Neuen Blätter für den Sozialismus. Tatsächliche Solidarität mit Juden, sofern sie nicht jüdische Sozialisten waren, wurde auch in der SPD nicht konsequent gelebt.

Daniel Siemens ist Professor für moderne europäische Geschichte an der Newcastle University in Großbritannien. 2019 erschien sein Buch "Sturmabteilung. Die Geschichte der SA" (Siedler-Verlag).

© SZ vom 15.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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