Spanien:Sexualstrafrecht entzweit das Regierungsbündnis

Lesezeit: 3 min

Nur Ja heißt Ja: Die Flamencokünstlerin Maria del Mar Suárez, bekannt als La Chachi, tanzt zum Weltfrauentag gegen patriarchale Gewalt in der Fußgängerzone von Málaga. (Foto: Jesús Mérida/Imago)

Erst seit fünf Monaten gilt ein Gesetz, das Frauen besser schützen soll. Doch seine Folgen haben eine Koalitionskrise ausgelöst, nun beschloss das Parlament eine Reform der Reform. Die Wut im Land ist groß.

Von Nadja Tausche

Spanien ist in Aufruhr. Das Land wird das Gesetz zur Neuregelung des Sexualstrafrechts wieder ändern, dabei gilt die unter "Nur Ja heißt Ja" bekannte Reform erst seit vergangenem Oktober. Das hat das Parlament nach einer hitzigen Debatte am Dienstagabend beschlossen. Denn das Gesetz hatte die unerwünschte Konsequenz, dass für Hunderte Straftäter die Haftstrafen verkürzt wurden.

Die Abstimmung hat die Wut im Land befeuert. Bei Dutzenden Demonstrationen gingen zum Internationalen Frauentag am Mittwoch im ganzen Land Spanierinnen und Spanier auf die Straße. In den vergangenen Monaten hatte sich viel angestaut: erst die lange Diskussion um die verminderten Haftstrafen, und jetzt eine reformierte Reform, die Gleichstellungsministerin Irene Montero als "schlechte Nachricht für die Frauen des Landes" bezeichnete.

In der Regierungskoalition hat der Streit um das Sexualstrafrecht eine heftige Krise ausgelöst. Denn die sozialdemokratische Partei PSOE, der auch Ministerpräsident Pedro Sánchez angehört, stellte sich bei der Abstimmung gegen den eigenen Koalitionspartner: die linke Partei Podemos, deren Gleichstellungsministerin das Gesetz initiiert hatte. "Was derzeit auf dem Spiel steht, ist nicht die Koalitionsregierung, sondern sind die Rechte der Frauen", sagte Montero am Mittwoch.

231 Abgeordnete stimmten für den Reformvorschlag, nur 56 dagegen

Das Gesetz funktioniere nicht, wie es solle, sagte die Sozialdemokratin Andrea Fernández Benéitez im Parlament. Deshalb müsse man es reformieren, das schulde man den Opfern sowie allen Spanierinnen und Spaniern. In Richtung von Podemos sagte sie: "Wir haben Ihre Tiraden satt." Podemos hielt dagegen: Tausende Frauen hätten auf der Straße für ein solches Gesetz protestiert, sagte die linke Abgeordnete Lucía Muñoz Dalda. Das Ergebnis war eindeutig: 231 Abgeordnete stimmten für die Reform der Reform, darunter die konservative Oppositionspartei Partido Popular. 56 stimmten dagegen, darunter Podemos, 58 enthielten sich.

Die konservative Abgeordnete Cuca Gamarra gab Ministerpräsident Pedro Sánchez die Schuld an den unerwünschten Folgen des Gesetzes: Die Regierung sei vor Inkrafttreten des Gesetzes gewarnt worden, dass die Strafen reduziert werden könnten. Eine Vertreterin der rechtsextremen Partei Vox sprach von einem "irreparablen Schaden", den das Gesetz angerichtet habe. Mehrere Abgeordnete stellten sich in der Debatte auch hinter "Nur Ja heißt Ja": Es sei ein wichtiges Gesetz, das international Beachtung gefunden habe. Sie kritisierten die Richter, die ja die Entscheidungen getroffen hatten, in den einzelnen Fällen das Strafmaß zu reduzieren.

Beide Regierungsparteien verfolgen eigentlich das gleiche Ziel

Die Reform der Reform sieht nun vor, das Strafmaß in vielen Fällen auf 15 Jahre Haft anzuheben. Ein Kriterium bei der Beurteilung ist künftig, ob es bei sexuellen Übergriffen zu Gewalt oder Einschüchterung kam. Diese Unterscheidung aufzuheben war allerdings eigentlich das Ziel der ursprünglichen Reform gewesen.

"Wir wollen keine Rückkehr zu einem patriarchalischen System, in dem man als Opfer gefragt wurde, ob man die Beine richtig geschlossen hatte", hatte Montero erklärt. Mit "Nur Ja heißt Ja" müssten Frauen künftig nicht mehr beweisen, dass sie Gewalt oder Einschüchterung erlebt haben. Sexuelle Handlungen sollten nur noch dann als einvernehmlich gelten, wenn alle Beteiligten ihnen zustimmen oder durch aktive Beteiligung Zustimmung signalisieren. Sexualisierte Übergriffe gegen den Willen einer Frau würden auch dann als Vergewaltigung gewertet, wenn diese sich nicht aktiv wehrt oder verbal widerspricht - was oft deshalb nicht geschieht, weil Vergewaltigungsopfer aus Angst oder im Schock stillhalten und schweigen.

Zum Problem ist geworden, dass die Regierung im Zuge der Reform auch das Strafmaß für die Vergehen angepasst hatte. Das Mindeststrafmaß wurde abgesenkt, das Maximalstrafmaß in Teilen angehoben, der Spielraum der Richterinnen und Richter für Strafen wurde also größer.

In Spanien können Fälle vor Gericht neu aufgerollt werden, wenn eine Gesetzesänderung einen verurteilten Straftäter günstiger stellt. Also beantragten viele Täter die Wiederaufnahme ihrer Verfahren. Etliche Richter nutzten die Möglichkeit, sich in bestimmten Fällen in Richtung der niedrigeren Mindeststrafe zu orientieren. Seit Oktober wurde bei mindestens 721 Straftätern das Strafmaß reduziert, 74 wurden bereits aus dem Gefängnis entlassen.

Podemos warnte vor einem "Verrat am Feminismus"

Diese Strafminderungen wollten eigentlich sowohl die Sozialdemokraten wie auch Podemos verhindern. Es geht bei der komplexen Debatte tief in juristische Feinheiten. Klar ist: Man wurde sich nicht einig, nach welchen Kriterien das Strafmaß künftig bemessen werden soll. Podemos hatte im Vorfeld der Debatte von "Verrat am Feminismus" gesprochen. Bei der Debatte selbst sprach Ministerpräsident Sánchez nicht, er hatte aber im Vorfeld der Debatte der Zeitung El País zufolge gesagt: "Wir haben versucht, eine Einigung zu erzielen, aber es war nicht möglich."

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Es ist das erste Mal, dass die beiden Parteien der Koalition gegeneinander stimmten - und das ausgerechnet im Wahljahr: im Mai sind Regional- und Kommunalwahlen, Ende des Jahres Parlamentswahlen.

Zuletzt hatte die Regierung eine ganze Reihe von neuen Regeln beschlossen, um die Rechte von Frauen zu stärken. Am Samstag kündigte Ministerpräsident Sánchez ein Gesetz an, das einen Anteil von mindestens 40 Prozent Frauen in der Regierung und in den Vorständen großer Unternehmen garantieren soll. Als erstes Land in Europa räumt Spanien künftig zudem Frauen die Möglichkeit ein, bei Menstruationsbeschwerden zusätzliche Krankheitstage zu nehmen. Die Kosten übernimmt die Sozialversicherung. Zugleich beschloss das Parlament Mitte Februar, auch das Recht auf Abbruch der Schwangerschaft auszuweiten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Spanien
:Wut über die Folgen des neuen Sexualstrafrechts

"Nur ja heißt ja": Ein neues Gesetz soll die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen stärken. Es hat aber eine paradoxe Konsequenz: Hunderte Straftäter wurden vorzeitig aus der Haft entlassen.

Von Nadja Tausche

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: