Spanien:Separatistenpartei stimmt gegen Amnestiegesetz

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Herbe Enttäuschung für Pedro Sánchez am Dienstagabend im Parlament in Madrid. (Foto: Javier Soriano/AFP)

Wochenlang verhandelt Spaniens sozialistische Regierungspartei mit katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern ein Amnestiegesetz. Doch die Abstimmung im Parlament gerät zur Posse.

Von Patrick Illinger, Madrid

Spaniens Regierung erlebte am Dienstagabend eine schwere Niederlage im Parlament. Das seit Wochen zwischen der sozialistischen Partei von Ministerpräsident Pedro Sánchez und katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern ausgehandelte Amnestiegesetz fiel bei der Abstimmung im Kongress durch. Paradoxerweise stimmten ausgerechnet die Abgeordneten von Junts per Catalunya dagegen, jener Partei, die der nach Belgien geflohene katalanische Ex-Präsident Carles Puigdemont lenkt. Junts hatte eine Amnestie für die Vorgänge um den Abspaltungsversuch Kataloniens von Spanien im Herbst 2017 als Gegenleistung für die Zustimmung zur Regierung von Sánchez gefordert.

Die sieben Junts-Abgeordneten im Kongress hatten in letzter Minute Änderungen an dem Gesetzestext verlangt, was die Sozialisten ebenso ablehnten wie alle anderen Parteien. Daraufhin entschied sich die Junts-Gruppe, gegen das Gesetz zu stimmen. Dadurch kam die nötige Mehrheit nicht zustande. Vorausgegangen war eine spannungsgeladene, teils aggressive Debatte, die deutlich machte, wie fragil die Regierungskonstellation von Ministerpräsident Pedro Sánchez ist.

Katalanische Abgeordnete wirft Separatisten "perverses Spiel" vor

Wochenlang hatten die Sozialisten mit den beiden im Kongress vertretenen katalanischen Separatistenparteien den Text ausgehandelt und auf Verfassungskonformität geprüft. Doch bei der Debatte am Dienstag nannte Junts-Sprecherin Míriam Nogueras den Text plötzlich einen "guten Startpunkt", an dem noch einiges zu tun sei. Das war für die Abgeordneten der Sozialistenpartei PSOE ein Schlag ins Gesicht.

Auch die anderen Koalitionspartner der PSOE, unter ihnen die ebenfalls separatistisch orientierte Katalanenpartei ERC, drängten darauf, der Gesetzesvorlage zuzustimmen. "Unverständlich", nannte der Sánchez-Vertraute und Justizminister Félix Bolaños die Entscheidung der Junts-Abgeordneten gegen das ausgehandelte Gesetz. Aina Vidal, eine katalanische Abgeordnete des Linksbündnisses Sumar, warf der Puigdemont-Partei "ein perverses Spiel" vor. Man könne nicht jedes Mal bis zur letzten Sekunde verhandeln. Damit bezog sie sich auf eine Parlamentssitzung von Mitte Januar, bei der Junts ebenfalls während der Debatte Nachbesserungen an Sozialgesetzen verlangt hatte.

Vieles an dem Verhältnis zwischen den Sozialisten von Sánchez und der Puigdemont-Partei ähnelt einer toxischen Paarbeziehung, bei der ein Partner sich bis zur Selbstaufgabe bemüht, dem anderen alles recht zu machen, aber es genügt nie. Zugleich wissen beide, dass eine Trennung unmöglich ist. Sánchez hätte ohne die Stimmen von Junts nicht die nötige Regierungsmehrheit. Und für Junts bieten die Sozialisten die einzige Chance auf eine Amnestie. Mit Konservativen und Rechten wäre ein solcher Deal kaum möglich.

Das Scheitern des Gesetzesentwurfs kommentierte Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo von der konservativen Partei PP entsprechend scharf: Sánchez führe eine Regierung "unter künstlicher Beatmung". "Glauben Sie mir: Die Geschichte wird Sie nicht freisprechen", rief er den Sozialisten zu.

Querschläge der Justiz vor Abstimmung

Ganz von ungefähr kam die Kehrtwende allerdings nicht. In den Tagen unmittelbar vor der Abstimmung gab es Querschläge vonseiten der Justiz. Zwei hochrangige Richter, einer am Strafgerichtshof Audiencia Nacional in Madrid, der andere in Barcelona, brachten den katalanischen Separatismus mit Terrorismus und Hochverrat in Verbindung. Beides seien Straftatbestände, die das derzeit verhandelte Amnestiegesetz nicht abdecke.

Der Richter der Audiencia Nacional bezieht sich dabei auf eine Aktion einer Protestgruppe namens Tsunami Democràtic, bei der 2019 der Flughafen von Barcelona besetzt wurde. Ein Passagier aus Frankreich erlag damals einem Herzinfarkt. Aus dem Gericht in Barcelona sickerten unterdessen Dokumente unter anderem an Investigativ-Journalisten des SWR durch, die neue Details zur "Causa Voloh" offenbarten. Diese seit einigen Jahren bekannte Affäre zeigt Verbindungen der katalanischen Separatisten mit der Regierung Putins, was den Straftatbestand des Hochverrats erfüllen könnte. Aufgrund neuer Hinweise will der zuständige Richter die Untersuchung des Falls bis zum Sommer fortsetzen.

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Das schafft eine neue Bedrohungslage für Puigdemont und seine Mitstreiter. Unter anderem aus diesem Grund versuchte seine Partei in letzter Minute, auch Anklagen wegen Terrorismus und Hochverrat mit dem Amnestiegesetz auszuschließen. Ob das noch gelingt, dürfte sich in den kommenden Wochen zeigen, wenn der Gesetzestext im Justizausschuss des Kongresses von Neuem verhandelt wird. Doch Zweifel sind angebracht: Terrorismus und Hochverrat lassen sich, so sagen es spanische Juristen, nicht per Amnestiegesetz regeln, ohne mit der Verfassung zu kollidieren.

Pikant ist auch, dass die richterlichen Schachzüge unmittelbar vor der Parlamentsdebatte über das Amnestiegesetz bekannt wurden. Das Timing legt den Verdacht nahe, dass einige Vertreter der spanischen Justiz versuchen, die Amnestie mit ihren eigenen Mitteln zu torpedieren. Mehrere Abgeordnete in der Parlamentsdebatte sprachen am Dienstag von "lawfare", womit eine Art Kriegsführung der Justiz gemeint ist. Es ist ein schwerer Vorwurf in einer Demokratie, die auf Gewaltenteilung und unabhängiger Justiz basiert.

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