Spanien:Separatistenführer mit unverhoffter Macht

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Carles Puigdemont auf einer Pressekonferenz in Belgien. Die Abgeordneten seiner Partei würden für eine linke Regierung stimmen - unter bestimmten Bedingungen. (Foto: John Thys/AFP)

Carles Puigdemont, der nach Belgien geflohene Anführer der katalanischen Separatisten, ist plötzlich ein gefragter Mann in Spanien. Denn die Stimmen seiner Partei sind entscheidend für die Regierungsbildung.

Von Patrick Illinger, Madrid

Es ist ohne Zweifel kurios, zumal in einer westlichen Demokratie, wenn ein Mitglied der Regierung ins Ausland reist, um dort einen flüchtigen Straftäter um Unterstützung zu bitten. Am Montag dieser Woche hat die stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens, Yolanda Díaz, genau dies getan: Sie ist nach Brüssel aufgebrochen, um sich mit Carles Puigdemont zu treffen, dem ehemaligen Präsidenten der Autonomieregierung von Katalonien. Puigdemont ist wegen des Vorwurfs der Rebellion seit sechs Jahren auf der Flucht vor der spanischen Justiz. 2017 hatte er den illegalen Abspaltungsversuch Kataloniens angeführt.

Seit den nationalen Parlamentswahlen vom 23. Juli ist Puigdemont vom Paria zur gefragtesten Figur der spanischen Politik avanciert - und das, obwohl seine Partei Junts per Catalunya an Stimmen verloren hat. Der Grund für seinen plötzlichen Bedeutungsgewinn ist denn auch weniger ein politischer als ein arithmetischer: Die sieben Junts-Abgeordneten im neuen Kongress sind unerlässlich, um eine Regierungsmehrheit zu formen.

Puigdemont fordert kein neues Referendum in Katalonien - noch nicht

Rein rechnerisch könnte Puigdemont mit den Junts-Stimmen auch einer konservativen Mehrheit zur Macht verhelfen. Wahrscheinlicher ist, dass das den Autonomiebestrebungen traditionell gewogenere linke Lager die Junts-Abgeordneten auf ihre Seite bekommt. Sicher ist: Ohne die Zustimmung der separatistischen Katalanen kann der seit 2018 amtierende Ministerpräsident Pedro Sánchez seine Regierung nicht fortsetzen. Dafür reichen die Stimmen seiner Sozialistenpartei PSOE plus die seines Wunschkoalitionspartners, der linken Sammlungsbewegung Sumar, nicht.

Sánchez muss daher mit Puigdemont reden - allerdings ohne mit ihm zu reden. Den für viele Spanier empörenden Annäherungsversuch unternahm nun Yolanda Díaz, Chefin von Sumar und Arbeitsministerin im Kabinett von Sánchez. Offiziell war sie nicht als Regierungsvertreterin nach Belgien gereist, und offiziell heißen die Sozialisten der PSOE die Reise auch nicht gut. Aber es bestehen wenig Zweifel daran, worum es geht: zu erkunden, welche Gegenleistung Carles Puigdemont fordert, damit die sieben von ihm ferngesteuerten Junts-Abgeordneten in Madrid einer Fortsetzung der Regierung Sánchez zustimmen.

Seine Bedingungen nannte Puigdemont dann am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Brüssel: Er fordert ein Amnestiegesetz für sich und seine Mitstreiter von 2017, von denen einige lange Haftstrafen verbüßen. Auch will er Änderungen am Autonomiestatut. Überraschend ist das nicht. Interessanter ist, was er nicht fordert, sondern erst "in einer zweiten Phase" erreichen will: ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien.

Damit zeigt Puigdemont eine realpolitische Ader, die in der Vergangenheit wenig zum Vorschein kam. Denn die Forderung nach einem Referendum über die Abspaltung Kataloniens hätte keine Partei, weder Sumar noch PSOE, akzeptieren können. Die Sache mit der Amnestie ist heikel genug, denn mit einem entsprechenden Gesetz würde die Gewaltenteilung in Spanien beschädigt: Die Legislative würde der Justiz in die Parade fahren.

Die Konservativen schimpfen über eine "demokratische Anomalie"

Der Anführer der konservativen Partei Partido Popular, Alberto Núñez Feijóo, kann dem Schauspiel in Brüssel und den Bemühungen der linken Parteien derzeit nur einigermaßen tatenlos zusehen. Aus seiner Partei ist zwar Kritik an der Annäherung an Puigdemont zu hören, "ungehörig" und eine "demokratische Anomalie", schimpfte Feijóo über den Vorstoß von Yolanda Díaz. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass am Ende auch die Konservativen noch bei Puigdemont vorstellig werden. Rein inhaltlich sind die Junts-Leute eher wirtschaftsliberal eingestellt, also näher beim Partido Popular als bei den Sozialisten, wäre da nicht die Sache mit dem Separatismus.

Derzeit hat Feijóo, dessen Partei die meisten Abgeordneten im Kongress hat, noch den königlichen Auftrag zur Regierungsbildung. Aber in den vergangenen Wochen hat der Konservative seine Karten erfolglos ausgespielt. Die meisten Kleinparteien, die auch das rechte Lager für eine Mehrheitsbildung bräuchte, scheuen die Zustimmung zu einer Koalition, in der die ultrakonservative Partei Vox eine Rolle spielt. Deren 33 Kongressabgeordnete sind für eine konservative Mehrheit unerlässlich.

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Und auch Feijóos Versuch, Sánchez und die Sozialisten von der Duldung einer befristeten PP-Regierung zu überzeugen, um radikale Kräfte fernzuhalten, schlug fehl. Seiner eigenen Entmachtung stimmte Sánchez nicht zu. Er hofft weiterhin auf ein buntes Parteienbündnis für die erforderliche Mehrheit bei der investidura, der entscheidenden Abstimmung im Parlament.

Dafür braucht Sánchez allerdings noch mehr als die Stimmen von Junts. Kein Wunder also, dass die mit Junts konkurrierende, linksgerichtete, ebenfalls separatistisch orientierte Katalanenpartei ERC sich ihrerseits beeilt, Bedingungen zu stellen. Auch die Stimmen der ERC-Abgeordneten braucht Sánchez, will er an der Macht bleiben.

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